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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1897: Daimler-Arbeiter in Bremen streiken gegen Outsourcing und prekäre Arbeit


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 2 - Februar 2015
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

"Die IG Metall, das sind wir"
Daimler-Arbeiter in Bremen streiken gegen Outsourcing und prekäre Arbeit

Von Jochen Gester


Die politische Marschroute der "Sozialpartner" in der deutschen Automobilindustrie ist recht einfach zu beschreiben: Die großen Konzerne in Deutschlands wichtigster Industriebranche besitzen große Marktmacht, die verteidigt und ausgebaut werden will. Die "Besitzstände" der Belegschaften stehen dauernd auf dem Prüfstand und werden mit immer neuen Restrukturierungsprogrammen angegriffen.
Die IG Metall begreift sich als Partner in diesem Wettbewerb, lediglich bedacht darauf, dass die Einschnitte ein "sozialverträgliches" Maß behalten. Verhandelt wird letztlich nur noch über das Ausmaß und die Geschwindigkeit der Verschlechterung der Arbeitsstandards. Doch nicht überall wird dieser triste Utopieverzicht von den Belegschaften hingenommen. Wie vielfach bereits für tot gehaltene Tugenden der Arbeiterbewegung plötzlich wieder gelebt werden, demonstrieren die Beschäftigten im Bremer Werk der Daimler AG.


Ausgangspunkt des aktuellen Konflikts ist das Ziel des Daimler-Managements, die Profitabilität des Unternehmens bis 2020 so zu steigern, dass die Konkurrenten BMW und Audi überflügelt werden. Dafür soll der Anteil der lokalen Zulieferer - rund um den Globus sind es 1500 - deutlich erhöht werden. Für die nächste Generation in der Kompaktklasse sind 80% angestrebt. Um das zu realisieren, wurden beim Start dieser Baureihe in Bremen - die Stadt ist weltweit der führende Standort bei der Produktion der C-Klasse und die zweitgrößte Produktionsstätte des Konzens innerhalb Deutschlands - die Zulieferer gewechselt. Seit Februar 2014 werden Kotflügel, Türen und Motorhauben nicht mehr von Daimler-Beschäftigten produziert. Weitere fremdzuvergebende Teile sollen folgen. Diese Entscheidung des Managements hat einschneidende Folgen für den Arbeitsstatus und das Lebensniveau der Beschäftigten. Deutlich wird dies am Beispiel der neuen Lieferanten "Brose Fahrzeugteile" und "Boysen Abgassysteme". Sie beschäftigen vorwiegend Leiharbeiter. Doch Daimler denkt darüber hinaus: an Werksverträge.


Mindestlohn in der Autoindustrie?

Gerwin Goldstein, Betriebsrat im Bremer Werk, verdeutlichte gegenüber der Taz die Befürchtungen der Kollegen:

"Sie befürchten, dass die Leiharbeit noch ausgebaut wird?
Schlimmer: die Fremdvergabe, also Werkverträge. Das sind die billigsten Arbeitskräfte, Ausbeutung ohne Ende. Es bedeutet auch eine Spaltung im Betrieb: Die Kollegen haben kein Streikrecht und arbeiten länger für weniger Geld.
Daimler-Mitarbeiter haben hingegen ja keinen schlechten Lohn. Viele sagen, Sie jammern auf hohem Niveau...
Wir haben uns unser Geld erkämpft, es war ja nicht der Konzern, der das Geld ausgeschüttet hat. Ich bin 37 Jahre dabei und habe das alles mitgemacht. Zudem ist der Grundlohn auch nicht so hoch, wie alle denken. Ich sage es Ihnen: Ich verdiene 3700 Euro Brutto im Monat, ein Leiharbeiter verdient knapp 2500 Euro. Bei uns bekommt er 18,03 Euro in der Stunde, weil wir es als Betriebsrat geschafft haben, dass er mindestens so viel erhält, wie die unterste Lohngruppe bei Daimler. Bei Werkverträgen, wie sie jetzt kommen sollen, bekommen die Arbeiter teilweise nur 8,50 Euro. Das ist ein Skandal.
Werksleiter Kellermann spricht von einer "Erfolgsgeschichte" der Firma, bei der es nur ein Kommunikationsproblem mit den Mitarbeitern gebe...
Eine Erfolgsgeschichte? Ja, Daimler baut Autos. Aber wer genau baut die Autos denn? Die Kollegen. Wenn ich weiß, dass in den nächsten Jahren bis zu 80.000 Autos mehr gebaut werden sollen, sehe ich vor allem eine enorme Mehrbelastung. Wir haben am Band einen 67-Sekunden-Takt und im Werk Bremen einen Altersdurchschnitt von 49 Jahren. Am Ende der Woche sind die Kollegen fertig. Der Konzern aber macht Riesengewinne."


"Wir kommen sonst wieder"

Schon in den letzten beiden Jahren gab es immer wieder Protestaktionen von Teilen der Belegschaft gegen Fremdvergabe, Ausweitung der Arbeitszeiten und Sonderschichten. Die Bereitschaft und Fähigkeit zu diesen Aktionen beruht nicht unwesentlich auf der außergewöhnlichen Tatsache, dass es in diesem Werk eine nahezu ungebrochene Tradition von Gewerkschaftslinken gibt, die dem Kurs ihrer Organisation auf Co-Management Widerstand entgegensetzen. Dieser Widerstand versandete nicht wie anderswo im Lauf der 90er Jahre, sondern bewies seine Lebensfähigkeit mit einem Streik gegen die geplante Abschaffung der 100%igen Lohnfortzahlung im Krankheitsfall durch die Regierung Kohl.

Die jetzigen Proteste begannen nach der Ankündigung des Jahresprogramms 2015, das massive Sonderschichten und weitere Fremdvergabe vorsieht. Auf den Betriebsversammlungen wurde das Programm massiv kritisiert und ein alternatives Szenario gefordert:

1. Aufhebung aller in den letzten fünf Jahren beschlossenen Werkverträge, Übertragung der Arbeiten an Daimler-Beschäftigte und Ende der Fremdvergaben.
2. Umwandlung aller Leiharbeitsverhältnisse in feste Arbeitsverträge und in Zukunft Verzicht auf Leiharbeit.
3. Ausschluss der Sindelfinger Betriebsvereinbarung [hier werden zu große Zugeständnisse gemacht] für das Werk in Bremen.

Da die Werksleitung keine Anstalten machte, darüber zu verhandeln, erhöhte die Belegschaft den Druck. 130 Beschäftigte machten eine Exkursion zum Betriebsratsbüro. Die meisten kamen aus der Logistik und standen auf der Liste der Fremdvergabe. Die Werksleitung reagierte mit Abmahnungen, die jedoch dank dem Einsatz der Vertrauensleute der A- und B-Schicht wieder zurückgenommen wurden. Die Vertrauensleute hatten der Werksleitung am 24. November einen Besuch abgestattet und klar gemacht: "Wir kommen sonst wieder, aber dann mit alle Mann."

Da das Management nur die Abmahnungen kassierte, jedoch am Programm "Zukunft 2020" uneingeschränkt festhalten wollte, gab es nun richtig Zoff. 2000 Arbeiter der Frühschicht legten am 1.Dezember für zweieinhalb Stunden die Arbeit nieder, die Hälfte von ihnen zog trotz eisiger Kälte auf die Straße. Dabei blieb es nicht. Am 11. Dezember standen die Bänder für eineinhalb Stunden komplett still. 2500 Arbeiter zitierten den Werksleiter in die Halle und empfingen ihn mit einem Pfeifkonzert. Streikende zogen durch sämtliche Hallen mit viel Getöse und Rufen wie: "Wollt ihr 92 Sonderschichten? Raus, raus, raus." Die Mehrheit der Nachtschichtler verabschiedete sich nach einer Kundgebung um 1 Uhr nach Hause. Bemerkung eines Kollegen: "Das kann eine Abmahnung geben. Zwei Möglichkeiten: Ihr könnt euch damit den Arsch abwischen oder ihr könnt sie einrahmen und euren Enkeln zeigen."


Die IG Metall - traurige Rolle

Die Abmahnungen ließen nicht auf sich warten. Dem Betriebsrat sind 700 Schreiben bekannt. Doch der Geist des Protests lässt sich nicht so einfach verkorken. Gerwin Goldstein: "Rein rechtlich könnte den Kollegen bei einer zweiten Abmahnung gekündigt werden, aber dann stünde das Werk still."

Nach Information aus der Betriebszeitung der oppositionellen Metaller wurden Dutzende von Streikenden ins Personalbüro zitiert, wo "die Heilige Inquisition sie mit Fragen traktierte". Doch die Hoffnung auf Denunzianten, die Auskunft über "Rädelsführer" geben, war vergebens. Alle blieben standhaft und erklärten, in der Dunkelheit nicht viel mitbekommen zu haben. Auf Druck vieler Vertrauensleute startete die Vertrauenskörperleitung eine Unterschriftensammlung gegen die Abmahnungen.

Eine ganz traurige Rolle in diesem Konflikt spielt die örtliche IG Metall, die sich öffentlich von den Aktionen distanzierte. Geschäftsführer Volker Stahmann offenbarte der Belegschaft, ein Streik für politische Ziele - wie der Kampf für die Abschaffung der Leiharbeit - sei in Deutschland verboten. Der Gesetzgeber müsse frei von Zwänge entscheiden können. Andernfalls würden die Gewerkschaften Politik ohne parlamentarische Mehrheiten machen. Auch sei er "kein Freund französischer Verhältnisse".

Überdeutlich wird hier, dass in der IG Metall die Geschichte des Arbeitskampfrechts und real vorhandenen Rechtspositionen für politisch begründete, gewerkschaftliche Kampfaktionen auf kein Interesse mehr stoßen, um nur ja die Politik des Co-Managements nicht zu gefährden.

Betriebsrat Goldstein sagt dazu: "Die IG-Metall-Führung ist sehr unsolidarisch. Deren Bremer Geschäftsführer Volker Stahmann hat auf der Betriebsversammlung ernsthaft die Sechs-Tage-Woche vorgeschlagen. Das ist den Kollegen unheimlich aufgestoßen. Wir haben früher dagegen unter dem Motto 'Samstags gehört Papi mir' gestreikt. Dieses Tor nun als Gewerkschafter aufzumachen, ist unsolidarisch, demoralisierend und in meinen Augen gewerkschaftsschädigend."


Klare Worte

Die Betriebszeitung der oppositionellen Vertrauensleute und Betriebsräte vom 22. Dezember trägt den Titel "Die IG Metall - das sind wir." Es wird darin eine scharfe Kritik an der gegenwärtigen Politik der IG Metall formuliert:

"Was aber irritiert, ist ein IG-Metall-Bevollmächtigter, der nicht nur vor der ganzen Mannschaft, vor den protestierenden Logistikern, sondern vor dem versammelten Management Ohrfeigen austeilte. Nein, nicht dem Werkleiter für sein menschenverachtendes Sparprogramm, sondern ausgerechnet jenen Kollegen, die durch ihre Taten bewiesen haben, wer die IG Metall tatsächlich ist: nämlich die kämpfenden Kollegen selbst. Der Auftritt im Namen der IG Metall (!) lief so ab: Die Aktionen gegen Fremdvergabe im letzten Jahr hätten nichts gebracht; die Aktionen in diesem Jahr hätten nichts gebracht und sie würden auch im nächsten Jahr nichts bringen. Frenetischer Beifall der Führungskräfte, Höflichkeitsklatschen einiger nicht so ganz aufmerksamer Kollegen, die einem IGM-Vertreter grundsätzlich unterstellen, dass er auf ihrer Seite steht. Haben wir das richtig verstanden, Kollege Stahmann: Der Streik der Logistiker in der Nachtschicht, die Streiks von A- und B-Schicht in den letzten Wochen - sie alle haben genauso gar nichts gebracht, wie auch die 5000 Unterschriften, wie die vier Aktionen und Streiks im vergangenen Jahr? Der Mann, der in der Vertrauensleutesitzung, der in der IGM-Delegiertenversammlung, der auf der Protestversammlung in Halle 7 am 1. Dezember es nicht für nötig hielt, gegen die Angriffe des Kapitals auf uns, auf unsere Gesundheit, auf unsere Existenz auch nur ein Wort zu sagen, fällt den Kollegen, die gegen ihre Fremdvergabe kämpfen, in aller Öffentlichkeit in den Rücken und buhlt in aller Öffentlichkeit um die Gunst der Werkleitung? Wer verhandelt, ohne die gewerkschaftliche Kampfkraft zu nutzen, der kann nur verlieren. Wer Leiharbeit 'regeln' will, erkennt damit die Fremdvergabe an. Wer Leiharbeit 'regeln' will, unterschreibt die Spaltung, die Rechtlosigkeit, den Streikbruch, macht uns wehrlos im Krieg des Kapitals. So einfach ist das. Wichtig dürfte es im Zukunft sein, auch die direkte Kooperation mit Kolleginnen und Kollegen der Zulieferbetriebe zu suchen, damit es zu einem standortübergreifenden Schulterschluss kommen kann."

Die Sprache der Bremer wird woanders durchaus verstanden und mit Sympathie aufgenommen. Sie erhielten ein Solidaritätstelegramm der NUMSA, der südafrikanischen Schwesterorganisation der IG Metall. Die NUMSA empfindet die Aktionen ihrer deutschen Kollegen als "sehr ermutigend."

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 2, 30. Jg., Februar 2015, Seite 10
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
SoZ-Verlag, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Februar 2015

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