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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2019: Über die AfD und wie man sie bekämpfen kann - Interview mit Andreas Kemper


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 4, April 2016
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

"Das Grundproblem ist die ungerechte Verteilung"
Andreas Kemper über die AfD und wie man sie bekämpfen kann

Interview der SoZ-Redaktion mit Andreas Kemper


Stutzen die Landtagswahlen vom vergangenen März die politischen Verhältnisse in Deutschland jetzt auf europäisches Normalmaß? Bekommen wir jetzt auch hier eine rechtsextreme Partei mit Massenanhang, die anschlussfähig zu militanten rechtsextremen Gruppen und zu völkisch-nationaler Ideologie ist? Die AfD ist gefährlich, weil sie den unterschiedlichsten, sich oft widersprechenden Strömungen eine gemeinsame Plattform bietet, meint der Rechtsextremismus-Experte Andreas Kemper. Ob diese zusammenbleiben können, hängt maßgeblich davon ab, ob eine linke und antirassistische Öffentlichkeit es schafft, sie in den Augen ihrer Wählerinnen und Wähler zu diskreditieren.
Andreas Kemper ist ein genauer Kenner der AfD und hat mehrere Bücher über sie veröffentlicht. In SoZ 6/2014 wurde sein Buch Rechte Euro-Rebellion. Alternative für Deutschland und Zivile Koalition vorgestellt. Andreas Kemper ist Soziologe und befasst sich schwerpunktmäßig mit Klassismus und organisiertem Antifeminismus.


SoZ: Die Ergebnisse der Landtagswahlen sind schockierend, obwohl sie angekündigt waren. Müssen wir nun auch in Deutschland damit rechnen, dass wir eine Front National bekommen?

Andreas Kemper: Das wird sich zeigen. Die AfD ist ja gespalten, die Leute um Markus Pretzell, Frauke Petry usw. orientieren sich eher in Richtung FPÖ, während sich Poggenburg und Höcke eher in Richtung Front National orientieren, irgendwas dazwischen wird es auf jeden Fall sein.


SoZ: Können wir davon ausgehen, dass die AfD sich bei uns dauerhaft als rechtsextreme Partei etabliert, sie damit erstmals erreicht hätte, was die extreme Rechte - Stichwort: Republikaner, DVU, NPD - seit Jahrzehnten versucht, nämlich eine wahlpolitische Vertretung des rechten Rands?

Andreas Kemper: Auf jeden Fall hat die Flüchtlingsdebatte sehr viel dazu beigetragen, dass die Werte für die AfD so hochgeschnellt sind. Ohne die Flüchtlingsdebatte wäre die AfD in Sachsen-Anhalt sehr wahrscheinlich in den Landtag gekommen, ob aber in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, das ist nicht sicher. Die Flüchtlingsdebatte hat schon sehr viel damit zu tun. Wenn die so bleibt und keine Gegenbewegung sich durchsetzt, die Vorbehalte abbaut, dann kann die AfD sich auf hohem Niveau festigen.


SoZ: Du meinst, ihr hohes Ergebnis verdankt sich Proteststimmen gegen die Flüchtlingspolitik von Merkel?

Andreas Kemper: Ja, zum Teil. Die AfD ist ja nicht in der Flüchtlingsdebatte entstanden, sie ist vorher, in der sog. Eurokrise entstanden, da sind europaweit die rechten Parteien stärker geworden, vor allem in den wirtschaftlich starken Ländern. In jedem Nachbarland von Deutschland haben wir eine ähnliche Partei wie die AfD mit einem Wähleranhang von 20, 30%, in Ungarn und Polen sitzen diese Parteien sogar in der Regierung. Auch ohne Flüchtlingsdebatte gäbe es also eine AfD.

Jetzt kommen neue Streitigkeiten. Die AfD hat immer noch widerstreitende Flügel, die eigentlich nicht miteinander zu vereinbaren sind. Da sind auf der einen Seite die Neoliberalen, die wollen, dass die Armen ärmer und die Reichen reicher werden. Ein anderer Flügel ist eher christlich-fundamentalistisch ausgerichtet, der will, dass die Geschlechterrollen wieder konservativer werden, dass es keine Adoptionsrechte für Schwule und Lesben gibt usw. Schließlich gibt es den Flügel um Björn Höcke (Fraktionsvorsitzender der AfD im Landtag von Thüringen), der völkisch-nationalistisch auftritt. Wie das zusammenpasst, wird der Programmparteitag Ende April zeigen.


SoZ: Ein Grund zur Sorge ist auch die Tatsache, dass die AfD große Wahlerfolge erzielt hat, obwohl sich ihr konservativ-bürgerlicher Flügel vorher abgespalten hat und sie mit rechtsextremen Parolen in den Wahlkämpfen aufgetreten ist. Würdest du sagen, die AfD hat wegen dieser Parolen so starken Zulauf bekommen, oder haben die Wähler darüber hinweggeguckt?

Andreas Kemper: Doch, die Parolen haben auf jeden Fall eine Rolle gespielt, das hat auch der Fraktionsvorsitzende in Brandenburg, Alexander Gauland, gesagt. Auch Lucke meinte schon, als die AfD gegründet wurde: Wir müssen stärker auf solche Parolen setzen, wenn wir Stimmen haben wollen. Doch er hat dann irgendwann eine Grenze gezogen. Allerdings hatte der Rauswurf von Lucke und Henkel weniger damit, sondern in erster Linie mit der Tatsache zu tun, dass sie sich transatlantisch positioniert haben: Sie waren für das TTIP, für Sanktionen gegen Russland - und das hat die Mehrheit der AfD nicht mitgetragen, weil sie eher für Putin ausgerichtet ist. Neoliberale sind immer noch sehr stark in der AfD und sie haben ein krasses Feindbild: weg vom Sozialstaat, weg mit dem Antidiskriminierungsgesetz, alles privatisieren...


SoZ: Die AfD ist stark in sozialdemokratisches Milieu eingebrochen. Das ist ein Widerspruch, denn dieses Milieu hat mit wirtschaftsliberalen Positionen nichts am Hut, traditionell war der Hauptfeind der Gewerkschaften immer die FDP, nicht die Union. Wie passt das zusammen?

Andreas Kemper: Da die AfD noch kein klares Grundsatzprogramm hat, ist sie Auffangbecken für alle möglichen Strömungen. Bislang wurde das toleriert, ich kann mir vorstellen, dass Leute sagen, OK, einige in der AfD wollen, dass die Armen ärmer und die Reichen reicher werden, aber das ist jetzt nicht mein Thema, mein Thema ist die Flüchtlingspolitik. Einigen ist ihr Rassismus halt wichtiger als ihre sexuelle Orientierung oder die soziale Gerechtigkeit.


SoZ: Das versteh ich nicht ganz. Für viele Menschen aus den unteren Schichten ist die Flüchtlingspolitik deshalb wichtig, weil sie in den Flüchtlingen eine Konkurrenz auf dem Wohnungsmarkt, auf dem Arbeitsmarkt, um die sozialen Leistungen usw. sehen. Doch die Vorschläge, die die AfD dazu macht, haben mitnichten etwas mit sozialer Gerechtigkeit zu tun.

Andreas Kemper: Genau. Und ich denke, das wird demnächst auffallen. Bislang gab es ja noch gar kein Grundsatzprogramm, das ist so kurz vor der Wahl rausgekommen, dass es noch keine Rolle spielen konnte. Nach dem Programmparteitag wird das anders sein. Mit den Aussagen aus dem Grundsatzpapier, wo gesagt wird, die Arbeitgeberanteile müssen gestrichen werden, das ALG I muss privatisiert werden, das Renteneintrittsalter muss angehoben werden - mit all diesen Punkten hat die AfD ja gar keinen Wahlkampf gemacht.


SoZ: Du meinst, die Leute haben noch gar nicht mitbekommen, was sie sich da für eine Laus in den Pelz gesetzt haben.

Andreas Kemper: Es gibt eine Analyse der UKIP (United Kingdom Independent Party) in Großbritannien. Diese Partei gibt es schon länger, sie vertritt ähnliche Positionen wie die AfD, sie ist auch extrem gegen Flüchtlingspolitik und extrem neoliberal. Diese Partei wird hauptsächlich von Ärmeren gewählt, die sich davon versprechen, dass mehr soziale Gerechtigkeit einkehrt - und das obwohl die Positionen der UKIP bekannt sind.


SoZ: Zurück zur AfD: Du meinst, wenn es möglich ist, in der Flüchtlingsfrage die Stimmung wieder in eine humanitäre Richtung zu kippen, dann könnte die AfD mindestens in den westlichen Bundesländern wieder unter 5% gedrückt werden?

Andreas Kemper: Ja. Nicht sofort natürlich, aber man hat bei der Piratenpartei gesehen, wie schnell das gehen kann, und auch bei der AfD selbst: Nach ihren Wahlerfolgen im Osten im letzten Jahr stand sie bei über 10%, danach gab es die parteiinternen Auseinandersetzungen, wo ihre Wortführer Bernd Lucke und Olaf Henkel das Handtuch geworfen haben, dann ist sie nach dem Essener Parteitag bundesweit unter 3% gesunken, innerhalb von einem Dreivierteljahr. Das kann jetzt auch wieder passieren.

Ich denke, das Problem bei der AfD ist gar nicht mal so sehr, dass sich da extreme Rechte trotz aller Unterschiede zu einer Partei zusammengefunden haben, sondern die Partei von ihnen als Plattform benutzt wird. Ich würde unterscheiden zwischen zwei verschiedenen Typen innerhalb der AfD: solchen, die die AfD als Karrieresprungbrett betrachten, um ihren persönlichen Finanzausgleich hinzukriegen, und ideologischen Fanatikern. Leute wie Petry und Pretzell könnten auch in einer anderen Partei sein, die wollen in der AfD Karriere machen, denen ist es wichtig, dass die AfD stark ist, die Ideologie interessiert sie erst in zweiter Linie. Leute wie Beatrix von Storch und Björn Höcke aber sind Fanatiker, denen ist die AfD gar nicht so wichtig, denen ist wichtig, dass es eine nationale Bewegung gibt, und da ist die AfD Mittel zum Zweck. Für Beatrix von Storch ist die AfD Teil ihres Kampagnennetzwerks. Die AfD stärkt sowohl das Kampagnennetzwerk als auch die nationale Bewegung.


SoZ: Worauf erstreckt sich dieses Kampagnennetzwerk?

Andreas Kemper: Das ist Teil eines weltweit agierenden Netzwerks christlich-fundamentalistischer Gruppierungen, die das ganze Wertesystem wieder zurückdrehen wollen. Die "Zivile Koalition" von Beatrix von Storch ist ein Teil davon.


SoZ: Ist die Tea Party auch dabei?

Andreas Kemper: Ja, indirekt die Tea-Party-Bewegung und direkt evangelikale Gruppierungen. Vor einiger Zeit organisierten sie einen Familienkongress in Salt Lake City, davor zusammen mit der russisch-orthodoxen Kirche einen in Moskau. Auf katholischer Seite gibt es das auch, es gibt auch in Deutschland katholische Gruppierungen, die das Zentralkomitee der deutschen Katholiken bekämpfen, das denen viel zu moderat ist, viel zu gutmenschlich; auf evangelikaler Seite wird die EKD bekämpft - dabei geht es um Geschlechter- und Familienpolitik. Das ist das Beatrix-von-Storch-Spektrum.


SoZ: Stecken die auch hinter den Initiativen der Lebensschützer?

Andreas Kemper: Ja klar. Natürlich. Das ist eines ihrer Kernanliegen. Ein anderes Kernanliegen ist das Verbot der Adoptionsrechte für Schwule und Lesben und die Abschaffung des Sexualkundeunterrichts an Schulen.


SoZ: Wie stellst du dir vor, kann die AfD bekämpft werden?

Andreas Kemper: Da kann ich nur sagen: aufklären. Die AfD lebt ganz stark davon, dass sie mit Verschleierungen und Verdrehungen arbeitet, da ist es wichtig aufzuklären. Man muss auch genau hinschauen: Wo bietet sie Angriffspunkte? Von wem bekommen sie Geld? Oder auch: Was vertritt sie wirklich? Wo mischt sie überall mit? Wer tut da was?

Vielleicht würde sich die AfD von selbst erledigen, wenn nicht mehr so viele Flüchtlinge kämen. Aber das wäre keine wirkliche Lösung, weil das Grundproblem dann immer noch da ist, und das Grundproblem ist der unterschwellige Rassismus. Beziehungsweise, besser gesagt: Das Grundproblem ist die ungerechte Verteilung in Deutschland, denn die Armen werden tatsächlich immer ärmer und die Reichen immer reicher. Wer meint, dass er dagegen wenig tun kann, zeigt gern auf einen Sündenbock und sagt dann: Ich kann nichts gegen die Reichen tun, aber ich kann dafür sorgen, dass zumindest die Flüchtlinge nicht das kriegen, was eigentlich mir zusteht. Die Flüchtlingsfrage ist ganz zentral eine Verteilungsfrage, und die stellt sich auch unabhängig von den Flüchtlingen.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 4, 31. Jg., April 2016, S. 5
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. April 2016

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