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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2049: Festanstellung statt Scheinselbständigkeit - Eine polnische Hebamme zieht vor Gericht


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 6, Juni 2016
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Festanstellung statt Scheinselbständigkeit
Eine polnische Hebamme zieht vor Gericht

Von Norbert Kollenda


Die Kliniken in Polen haben eine Form gefunden, um den Mangel am mittleren medizinischen Personal zu bewältigen. Zunehmend stellen sie Arbeitskräfte auf zivilrechtlicher Basis - also als Scheinselbstständige - ein, die dürfen sogar bis zu 350 Stunden im Monat arbeiten. Bei der Arbeitslosigkeit in vielen Gegenden sind Frauen dankbar dafür, haben die Männer doch oft keine Arbeit. Und die Kolleginnen und Patienten haben es mit Gestressten zu tun.

Dies hat auch Barbara Rosolowska von der Gewerkschaft "ArbeiterInitiative" erfahren müssen. Bis 2007 hat sie in der Klinik in Kostrzyn (Küstrin auf der polnischen Oderseite) gearbeitet, aber dann kam der Gerichtsvollzieher wegen der enormen Schulden der Klinik. Daraufhin wurden die Löhne nicht ausgezahlt und die Klinik privatisiert - die ausstehenden Löhne gab es erst nach sieben Jahren, nach vielen Aktionen und Protesten. Auch Barbara wurde entlassen. Nach zwei Jahren ließ sie sich darauf ein, im Regionalkrankenhaus als Scheinselbständige zu arbeiten, arbeitslos wollte sie nicht bleiben. Mit ihren 14 Diensten im Monat zu je 12 Stunden bleiben ihr bei 4200 brutto 2000 Zloty - etwa 500 Euro.

Sie hätte es sich auch einfach machen können. Stündlich fahren Züge nach Berlin, die Fahrzeit ist zwar doppelt solang, aber sicherlich bekäme sie dort den dreifachen Lohn!

Doch als Mitglied der Basisgewerkschaft "ArbeiterInitiative" will sie auch ein Zeichen setzen und die Kolleginnen und Kollegen dazu anregen, auch gegen die Scheinselbstständigkeit vorzugehen. Sie reichte Klage gegen ihren Arbeitgeber ein, um eine Festeinstellung nach dem Arbeitsgesetz zu erreichen. Der dritte Verhandlungstag war am 24. Mai. Die Vertreterin des Arbeitgebers hat versucht, die Sache als einen Einzelfall zu behandeln. Doch die Vertretung der Klägerin hat auch andere Betroffene als Zeugen aufgerufen, die bestätigen, dass sie in einer ausweglosen Situatin gehandelt haben: Entweder sie blieben arbeitslos, oder sie akzeptierten Knebelverträge mit einer Mindestarbeitszeit von 168 Stunden im Monat (14mal 12 Stunden) zu 25 Zloty (5,60 Euro) die Stunde ohne Urlaub und ohne Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung. Ein anderes Angebot gibt es nicht.

Die Verhandlung wird in einem Monat fortgesetzt.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 6, 31. Jg., Juni 2016, S. 11
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Juli 2016

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