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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2098: Banken und Börsen - Phantomschmerzen und echte Probleme


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 12 · Dezember 2016
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Banken und Börsen
Phantomschmerzen und echte Probleme
Trotz Austeritätspolitik ist die Verschuldung gestiegen

von Ingo Schmidt


"Das Geld erklärt dem ganzen Menschengeschlecht den Krieg"
(Pierre de Boisguillebert, 1704)  

Die Deutsche Bank, für viele Linke die Inkarnation des Finanzkapitals und seiner imperialistischen Begehrlichkeiten, für den internationalen Finanzstabilitätsrat ein systemisch bedeutsames Institut, ist für Börsianer nicht viel mehr als Ramsch. 2007, dem Jahr vor der großen Finanz- und Wirtschaftskrise, zahlten Anleger für Aktien der Deutschen Bank über 100 Euro, gegenwärtig pendelt der Kurs um die 13 Euro, im Oktober lag er schon mal unter 10 Euro.

Noch schlimmer erwischte es die Commerzbank, deren Papiere vor der Krise zu Preisen über 200 Euro gehandelt wurden und dann innerhalb eines Jahres auf 20 Euro abstürzten. Die mit dem Mut der Verzweiflung betriebene Übernahme der Dresdner Bank 2009 führte zwar zu einer kurzzeitigen Verdoppelung des Kurses, doch danach ging es nur noch steiler bergab. Mittlerweile sind Commerzbank-Aktien für etwa 6 Euro zu haben.

Mit Blick auf die Börsenkurse erscheinen die Banken tatsächlich als die großen Verlierer der Finanzkrise, ihre Aktien vor allem sind gesunken, die Allianz verzeichnet einen Rückgang ihres Kurswerts zwischen 2007 und heute von 180 auf 140 Euro. Ansonsten ist das Bild gemischt: Aktien der Münchener Rückversicherung sind im selben Zeitraum von 140 auf 175 Euro gestiegen. Der DAX, in dem neben den Kursen von Finanzunternehmen auch Handels-, Energie- und Industrieunternehmen erfasst werden, stieg von Werten um 8000 vor der Krise auf Werte um die 10000 in diesem Jahr. Diese Kursentwicklung ist nicht so berauschend, wie Börsianer es sich wünschen, stellt aber doch eine im Winter 2008/2009 kaum für möglich gehaltene Erholung dar. Nur die Banken haben sich nicht erholt. Misstrauischen Kunden und Aktionären gegenüber erklären sie, die Bankenregulierung und die Nullzinspolitik der EZB lasse ihnen kaum noch Gewinne, somitgebe es auch wenig, worauf Börsenanleger spekulieren könnten.


Null Zins - Null Gewinn?

Besonders die Kritik an der EZB liegt den privaten Geschäftsbanken am Herzen. Bei einem politisch festgesetzten Leitzinsniveau lassen sich eben keine Gewinne erwirtschaften. Mit dieser Behauptung greifen sie sehr geschickt die unter Kleinsparern verbreitete Angst auf, die niedrigen Zinsen fräßen ihre Ersparnisse und private Altersvorsorge auf. Banker und Sparer, so die unterschwellige Botschaft, sitzen im gleichen Boot, das von einer unverantwortlichen EZB in ein Meer billigen, aber leider wertlosen Geldes gelotst wird.

Die Botschaft mag verfangen, hat mit empirisch belegbaren Fakten aber wenig gemein. Die Deutsche Bundesbank, deren Direktor kaum eine Gelegenheit zur Kritik an der ihm vorgesetzten EZB auslässt, hat unlängst eine Studie über die reale Verzinsung von Spareinlagen vorgelegt. Daraus geht hervor, dass Sparbücher in der Vergangenheit auch nicht rentierlicher waren als heute. Es schien nur so, weil die nominalen Zinsen deutlich höher waren. Stellt man jedoch den mit der Inflation verbundenen Kaufkraftverlust in Rechnung, ergibt sich ein anderes Bild. In der Vergangenheit waren nämlich nicht nur die nominalen Zinsen, sondern auch die Inflationsrate höher. Beide Werte sind in den letzten Jahren gesunken, die reale Verzinsung - Nominalzins minus Inflationsrate - hat sich dagegen wenig verändert.

Falsch ist auch die Behauptung, das niedrige Nominalzinsniveau würge den Banken ihre Gewinne ab. Bankengewinne, soweit sie aus dem Kreditgeschäft und nicht aus Gebühren oder eigenen Spekulationsgeschäften entstehen, haben mit dem Zinsniveau überhaupt nichts zu tun. Sie entstehen vielmehr aus der Differenz zwischen den Zinsen, die Banken ihren Einlegern zahlen, und den Zinsen, die sie von ihren Kreditnehmern verlangen. Zentralbanken spielen dabei nur insofern eine Rolle, als sich Geschäftsbanken über die bei ihnen getätigten Einlagen hinaus Geld von der Zentralbank leihen, das sie an Kreditnehmer weitergeben können. Die mit dieser Kreditaufnahme bei der Zentralbank verbundenen Refinanzierungskosten sind nun aber gerade infolge der öffentlich gescholtenen Niedrigzinspolitik der EZB seit 2012 drastisch gesunken. Während der Finanzkrise 2008/09 - und dann noch einmal während der Eurokrise 2010 - ist die Zinsmarge (Kreditzinsen minus Einlagezinsen) vorübergehend geschrumpft, weil sich in der akuten Krisensituation die alten Zinssätze bei potenziellen Kreditnehmern nicht mehr durchsetzen ließen. Seit 2012 haben die Geschäftsbanken ihre Einlagezinsen mit Verweis auf die böse Zentralbank aber im wohlverstandenen Eigeninteresse immer weiter gesenkt und zugleich ihre Kreditzinsen wieder auf Vorkrisenniveau angehoben. Die sich daraus ergebenden steigenden Margen führten trotz flauer Entwicklung des Kreditvolumens zu ganz ordentlichen Gewinnen.


Boni statt Rückstellungen

Tatsache ist, dass die Banken trotz beständigen Wehklagens auch nach der Finanz- und Eurokrise Gewinne gemacht und diese großzügig in Form von Dividenden und Boni an ihre höhergestellten Beschäftigten verwendet haben. So hat die Deutsche Bank von 2006 bis 2015 5,2 Mrd. Euro an Dividenden ausgeschüttet und allein von 2009 bis 2015 24,5 Mrd. Euro an Boni gezahlt. Die Abschreibung fauler Kredite kam dagegen schleppend bis gar nicht voran. Einigen Schätzungen zufolge sitzen die Banken in der Eurozone auf 900 Mrd. Euro Altschulden, die ihre Bilanzen belasten und im Fall steigender Zinsen oder einer neuerlichen Finanzkrise zur Zahlungsunfähigkeit vieler Banken beitragen werden. Es sei denn - worauf viele Banker setzen dürften -, der Staat springt wieder mit Steuergeldern ein und steht dann als der große Lügner da.

Immerhin haben Politiker quer durch die Eurozone nach der letzten Finanzkrise versprochen, dass die Banken in Zukunft aus eigenen Mitteln, insbesondere durch entsprechende Rückstellungen aus Gewinnen, aber auch durch die Ausgabe neuer Aktien, Vorsorge für Krisenzeiten betreiben müssten. Entsprechend sahen die ursprünglichen Pläne für die Europäische Bankenunion Rückstellungsvorschriften vor, die zum Aufbau von Notfallgeldern führen sollten. Mit dem Argument, solche Polster lüden Banken in Südeuropa dazu ein, ihre unsolide Geschäftspraxis fortzuführen, konnten die deutschen Banken diese Pläne zu Fall bringen - und setzen nun ihre unsoliden Geschäfte ohne nennenswerte Einlagensicherung fort.

Anstelle umfassender Rückstellungen im Rahmen der Bankenunion verabschiedete der Basler Ausschuss der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, einem Zusammenschluss von Zentralbanken, 2010 neue Eigenkapitalvorschriften. Danach mussten Geschäftsbanken ihre Eigenkapitalquote - also den Anteil des Eigenkapitals an der Bilanzsumme - von 2013 bis 2015 von 3,5 auf 4,5% erhöhen.

Die zugrundeliegende Idee ist ganz richtig: Wenn ein Kredit ausfällt und die kreditgebende Bank diesen Verlust aus eigenen Mitteln tragen muss, werden Dritte nicht in Mitleidenschaft gezogen. Hat die Bank aber Dritten gegenüber Verbindlichkeiten, kann der Ausfall eines Kredites eine Kettenreaktion auslösen. Die Bank kann dann ihre Verbindlichkeiten nicht mehr erfüllen und stürzt ihre eigenen Geldgeber in Zahlungsschwierigkeiten.

Dies ist der Mechanismus, der Finanzkrisen zu allgemeinen Wirtschaftskrisen werden lässt. Dass eine Eigenkapitalquote von 4,5% diesen Mechanismus im Krisenfall außer Kraft setzt, wird selbst in Bankerkreisen bezweifelt. Dafür wären manchen Schätzungen zufolge Quoten zwischen 20% und 30% nötig.

Doch selbst die unter dem Namen Basel III bekannt gewordenen Eigenkapitalquote von 4,5% wird von Bankensprechern öffentlich als geschäftsschädigende Strangulierung dargestellt. Was die zur Erfüllung dieser Auflagen angehenden Summen angeht, sind dies Klagen über Phantomschmerzen. Aber den Bankern geht es eben ums Prinzip und da trifft ihre Kritik den wunden Punkt bei allen Vorschlägen zur Bankenregulierung: Um wirksam zu sein, müssten sie das gesamte Geschäftsvolumen auf ein Niveau zurückführen, das zur Finanzierung von Investitionen in Produktionsmittel ausreicht.

Der spekulative Überbau, der 2008 zu einer weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise geführt hat, ist seither aber nicht abgebaut, sondern wurde zu Teilen in Staatshaushalte und Zentralbankbilanzen verschoben, zu anderen Teilen aber schlicht in den Bilanzen der Geschäftsbanken fort-, statt abgeschrieben.


Lieber Finanzkrisen als Finanzreformen

Der IWF beklagt in seinem jüngsten Finanzstabilitätsreport denn auch, dass die Verschuldung gemessen am Sozialprodukt seit der Finanzkrise weltweit weiter angestiegen ist. Die Verschuldungsquote liegt mittlerweile bei 252% und darin sind die Schulden des Bankensektors nicht einmal mitgerechnet. Angesichts dieser globalen Verschuldung, aber auch der speziellen Probleme des Bankensektors in Europa, mahnt der IWF dringende Reformen an, hält sich mit Vorschlägen aber zurück. Am konkretesten sind noch die Ermahnungen an die Regierungen, sie sollten den Fuß von der Schuldenbremse nehmen und durch kreditfinanzierte Ausgabenprogramme für mehr Wachstum sorgen. Dadurch käme es zwar kurzfristig zu einem weiteren Anstieg der Verschuldung, aber mittelfristig würde es zu höherem Wachstum kommen. Dann ließen sich Schulden leichter tilgen bzw. faule Altschulden schmerzfreier abschreiben.

Solche auf Ankurbelung der privaten Investitionen ausgerichteten Programme hat es in der Vergangenheit freilich immer wieder gegeben. Zusammen mit dem Krisenzyklus der privaten Kapitalakkumulation haben sie in die Sackgasse geführt, in der die Wirtschaft zumindest in Deutschland und anderen Ländern des Westens festsitzt.

Fortwährende Umverteilung spült den großen Unternehmen soviel Geld in die Taschen, dass sie ihre Investitionen in hohem Maße aus Eigenmitteln finanzieren können. Die gesamtwirtschaftliche Ersparnis, zu denen Unternehmensgewinne, Privatvermögen aber auch Schäubles Haushaltsüberschüsse beitragen, übersteigen den Finanzierungsbedarf für Investitionen in Produktionsmittel bei weitem. Das Überangebot an Ersparnissen bzw. Finanzierungsmöglichkeiten gegenüber der Investitionsnachfrage drückt den Zinssatz und fließt letztlich in die Finanzierung von Spekulationsgeschäften aller Art, seien es Aktien, Derivate, Grundstücke oder Rohstoffe. Ein Schuldenabbau, der das Kreditvolumen wieder in Einklang mit der Akkumulation des produktiven Kapitals brächte, würde zugleich die mit diesen Spekulationsgeschäften verbundenen Gewinnerwartungen und damit auch die private Investitionsneigung zerstören. Einen solchen Schuldenabbau kann der IWF nicht vorschlagen, er ginge in der Tat mit einem revolutionären Umbau des Wirtschaftssystems einher. Angesichts solcher Alternativen erscheint den Reichen und Mächtigen das Risiko künftiger Finanzkrisen ganz sicher als das kleinere Übel.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 12, 31. Jg., Dezember 2016, S. 12
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Januar 2017

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