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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2263: "Bildet Bündnisse, ob Ver.di das will oder nicht"


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 6 · Juni 2018
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

"Bildet Bündnisse, ob Ver.di das will oder nicht"

Gespräch mit Axel Hopfmann vom Hamburger Pflegebündnis von Violetta Bock


Die Bewegung für mehr Personal in den Krankenhäusern geht weiter. Nach den Streiks an der Charité, im Saarland und anderen Orten wurden in Berlin, Bremen und Hamburg Initiativen für Volksentscheide ergriffen. Das Beispiel Hamburg zeigt: Das kann auch zu Auseinandersetzungen vor Gericht führen. Obwohl die Aktiven ganz bewusst Ver.di unterstützen und unter den Beschäftigten eine Bewegung für einen neuen Tarifvertrag aufbauen, gibt es dabei Konflikte mit bestimmten Ver.di-Instanzen.
Violetta Bock sprach mit Axel Hopfmann, Sprecher des Hamburger Pflegebündnis für mehr Personal in den Krankenhäusern.


SoZ: Wie ist das Hamburger Pflegebündnis entstanden?

Axel Hopfmann: Das ist eine lange Geschichte. Es gibt seit geraumer Zeit eine Bewegung für mehr Personal in den Krankenhäusern und die Beschäftigten verlangen durch einen Tarifvertrag Entlastung. In Hamburg haben wir eine Besonderheit: Ein kleiner, sehr mächtiger Teil des Ver.di-Fachbereich 03 für die Gesundheit will nicht so richtig - vor allem Berufsbetriebsräte einiger großer Krankenhäuser und Hauptamtliche im Gewerkschaftshaus. Das hat damit zu tun, dass sie seit jeher eine enge Beziehung zur SPD haben, die in Hamburg seit Jahren mit kleinen Unterbrechungen an der Regierung ist.

Jetzt gab es aber vor eineinhalb, zwei Jahren eine Beschlusslage bei Ver.di, dass das Thema Entlastung angegangen wird, wofür breite Bündnisse zur Unterstützung gebildet werden sollten. Was taten sie? Sie starteten eine Unterschriftenliste, einen Appell für mehr Personal im Krankenhaus und wollten damit das breite Bündnis erledigt haben. Wir entschieden daraufhin mit etlichen Leuten - teils ehemalige Pflegekräfte bzw. Patientenvertretungen - dass wir das ernst nehmen und dieses Bündnis tatsächlich machen und wie wir mit diesem Bündnis sowohl die bundesweite Bewegung unterstützen als auch die Bewegung hier vor Ort vorantreiben können.


SoZ: Gibt es nun mehr Unterstützung durch Ver.di?

Axel Hopfmann: Die Ver.di-Leute, die vorher nicht dafür waren, sind es immer noch nicht, trauen sich das aber nicht offen zu sagen. Aber wir sind in Kontakt mit den Klinikbetriebsgruppen und zwei großen Krankenhäusern in Hamburg. Das ist angesichts von 37 Plankrankenhäusern nicht so viel. Diese Betriebsgruppen ärgerten sich, weil sie von der Bürokratie so ausgebremst wurden. Deshalb starteten wir Aktionen, am 12.5. gingen wir an die Öffentlichkeit. Gut war, dass der Landesbezirksvorsitzende, ein Ehrenamtlicher, mit aufgetreten ist.

Ver.di rief bundesweit zu Aktionen zum Tarifvertrag Entlastung auf. In Hamburg gab es keine Streikaktionen, sondern nur Unterstützungskrankenhäuser. Unterstützung hieß konkret, dass sich alle vorschriftsgemäß die Hände desinfizieren. Das dauert jeweils 30 Sekunden, bei 150 Patientenkontakten pro Schicht pro Pflegekraft hat das eine streikähnliche Wirkung. In einem großen Krankenhaus verteilten wir Kärtchen an Patienten, Angehörige und Pflegekräfte mit der Bitte, dass sie die Aktion unterstützen und verteilten Blumen an die Pflegekräfte. Das war an einem Nachmittag, von der Leitung war niemand mehr da, weshalb wir uns ziemlich frei bewegen konnten. Dann organisierten wir eine Demo.

Das alles wurde vom Fachbereich 03 etwas misstrauisch beäugt, bei Gesamt-Ver.di haben wir aber wohl eine sichere Mehrheit auf unserer Seite. In anderen Städten, wo es solche Bündnisse gibt - das ist eine ganze Menge -, werden diese praktisch von Ver.di initiiert und gruppieren sich um die Gewerkschaft. Der Ver.di-Landesbezirksvorstand hat z.B. beschlossen, dass Ver.di Hamburg Mitglied von unserem Bündnis ist.


SoZ: Wie ist der Volksentscheid entstanden?

Axel Hopfmann: Bei unseren Überlegungen stießen wir auf die Möglichkeit, die Volksgesetzgebung zu nutzen. Das ist ein dreistufiges Verfahren, ähnlich wie in anderen Bundesländern. Das erste ist die Volksinitiative, das zweite das Volksbegehren und das dritte der Volksentscheid. Wir haben die erste Stufe geschafft. Ende März haben wir die erforderlichen Unterschriften abgegeben.

Wir hätten ein halbes Jahr Zeit gehabt, schafften es aber binnen drei Wochen und übererfüllten das Soll um das Zweieinhalbfache. Jeder, den man anspricht, sagt: Natürlich unterschreibe ich für mehr Personal im Krankenhaus. Die Grundforderungen sind ähnlich wie in Berlin, jedoch an unser Landesrecht angepasst. Wir wollen erst mal das Gesetz durchbringen. Da dies dann von einer Behörde umgesetzt werden muss, darf man sich da keine großen Illusionen machen. Außerdem benötigt die Organisation von so etwas einen beträchtlichen Aufwand.

In der zweiten Phase brauchen wir mindestens 60.000 Unterschriften, de facto noch mehr, da in der Regel 20 Prozent davon ungültig sind. Dafür muss man eine Infrastruktur schaffen. Die 20.000 der ersten Runde (nötig waren nur 10.000) schafften wir mit einigem Aufwand, jetzt streben wir aber mehr als das Doppelte an, da reichen die vorhandenen organisatorischen Mittel nicht. Deshalb bauen wir eine Struktur auf, stets im engen Kontakt mit den Krankenhäusern.

Wir machen Aktionen vor bestimmten Krankenhäusern und sprechen Beschäftigte an, die bisher von Ver.di nicht angesprochen worden sind. Interessanterweise halten die Krankenhausbeschäftigten diese Unterschriftensammelaktion für eine Ver.di-Aktion. Der Ver.di-Fachbereich will das aber gar nicht, also die Teile, die da das Sagen haben. Der Landesbezirksvorstand wird erst demnächst entscheiden, ich denke dass sie dann den Fachbereich überstimmen werden.


SoZ: Wie reagieren die Beschäftigten darauf, dass es nicht von Ver.di ist?

Axel Hopfmann: Die meisten sind völlig überrascht und auch empört. Das Gute ist, wir gewinnen dadurch Kontakte in den Krankenhäusern und Aktive, die dann in den Krankenhäusern selber etwas machen. Wir bauen also Strukturen in den Krankenhäusern auf. Ver.di ist dort traditionell schwach. So kommen wir in Krankenhäuser rein und an Beschäftigte ran, wo das Ver.di bisher nicht gelungen ist.

Wir sagen den Leuten immer, das muss eine Ver.di-Struktur sein, die ihr da aufbaut. Denn ohne Arbeitskampf kriegen wir keine ordentliche Personalbemessung hin. Auch wenn man tolle Gesetze über Volksentscheide durchsetzen kann, ändert das dann nicht unbedingt was in den Krankenhäusern. Unser Ziel ist, den Fachbereich 03 dazu zu kriegen, mehr für den Tarifvertrag Entlastung zu machen. Dieser Tarifvertrag hat ja eine Besonderheit: Die Einhaltung muss kontrolliert werden, wofür auch Strukturen in den Krankenhäusern benötigt werden. Solche Strukturen sind potenziell Gegenmachtstrukturen, weshalb wir die mit initiieren wollen. Darüber hinaus gibt es Regionalstrukturen, die sich in den Stadtteilen in der Regel um die Krankenhäuser herum bilden.


SoZ: Orientiert ihr euch dabei an der Struktur der Tarifberater?

Axel Hopfmann: Genau, die Tarifberaterstruktur an der Berliner Charité ist unser Vorbild, weil das durch mehr Beteiligung den Arbeitskampf anders gestaltet, nicht wie oft üblich: Man wird aufgerufen, geht zu einer Kundgebung, friert sich die Füße ab, und geht wieder heim. Diese Tarifberaterstruktur ist ein Beteiligungsmodell, das in eine Kontrollstruktur überführt werden kann. Ob das gelingt, wissen wir nicht, wir brauchen aber eine solche Struktur.

Das zweite, was daran charmant ist: Die Personalbemessung ist ein unmittelbarer Eingriff in die unternehmerische Freiheit, weshalb die Krankenhausträger immer dagegen protestieren, da sie das für einen Eingriff ins Eigentumsrecht halten. Da würde ich sagen: Ja, ist es, und eben deswegen machen wir's. Und wenn man einen Eingriff ins Eigentumsrecht im Krankenhaus wirklich durchsetzt, wäre das ein Vorbild für andere Branchen.

Wir haben also einige interessante Zutaten: Etwas, was die Verfügungsgewalt der Eigentümer auf die Firma in Frage stellt, die Notwendigkeit Kontrollstrukturen der Beschäftigten einzuführen, mit der Möglichkeit, dass diese irgendwann mal eine Gegenmacht entwickeln. Strategisch können wir im Prinzip antikapitalistische Politik machen im Zusammenhang mit einem super konkreten Sachverhalt, den man unmittelbar einsieht. Die Bedürfnisse des Menschen müssen über dem Profitinteresse stehen, da muss man nicht lange diskutieren. Jeder hört da sofort zu, weshalb es eine Bewegung mit viel Potenzial ist.


SoZ: Wie hat der Senat bisher reagiert?

Axel Hopfmann: Der Senat hat sich bisher nicht inhaltlich mit dem Thema auseinandergesetzt. Sie sagen, dass das wegen der Gesetzgebungskompetenz formal gar nicht geht, was juristisch umstritten ist, und wollen uns vorm Landesverfassungsgericht verklagen. Obwohl es blödsinnig ist, sich auf die formale Ebene einzulassen, müssen wir das, wenn sie uns verklagen. Das andere ist, ich bin Beschäftigter in der Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz, also genau der zuständigen Behörde. Da wurde mein Arbeitscomputer durchwühlt und ich wurde abgemahnt, da Sachen von der Volksinitiative gefunden wurden. Da gab es in der Lokalpresse Wirbel, der für unsere Senatorin nicht gemütlich war. Gestern haben wir dagegen protestiert: Etwa 30 Radfahrerinnen haben unter dem Motto "Umsetzen statt Unterdrücken" eine Runde auf dem Rathausmarkt gedreht.


SoZ: Wie geht es jetzt weiter?

Axel Hopfmann: Da die Volksinitiative erfolgreich war, muss sich die Hamburger Bürgerschaft damit befassen. Am 7. Juni sind wir zum Gesundheitsausschuss eingeladen. Wir werden dort sein, bilden uns aber nicht ein, dass die Bürgerschaft den Gesetzesentwurf verabschiedet. Deshalb sprechen wir zu den Abgeordneten und wenden uns an eine breite Öffentlichkeit. Es gibt viele Anmeldungen, ein größerer Saal ist schon gebucht. Wir hoffen, die politischen Kosten des Verfahrens vorm Landesverfassungsgericht möglichst hoch zu treiben, so dass der Senat einen großen Imageschaden hat.

Egal, wie es juristisch ausgeht, sollen sie politisch verlieren. Dafür stehen die Chancen ganz gut, da der Senat auch wegen des Protests gegen die Durchsuchung nicht gut dasteht. Und wenn sie unseren Gesetzesentwurf nicht übernehmen, dann wäre im Januar/Februar die nächste Stufe dran. Das heißt dann Volksbegehren. Da müssen wir 5 Prozent der Wahlberechtigten mobilisieren. Das ist ein großer Kraftakt, den wir gerade vorbereiten.

Wenn das gelingt, kommt als Nächstes der Volksentscheid. Wenn alle Fristen eingehalten werden, läuft der parallel zur Bürgerschaftswahl. Dann wäre das natürlich auch Thema im Wahlkampf. Wir rechnen damit, dass der Senat versuchen wird, das Thema rauszuhalten. Deswegen machen sie wohl auch die Klage, selbst wenn sie rechtlich zweifelhaft ist, um uns aus dem Zeitplan zu bringen.


SoZ: Was gibt es noch?

Wir rufen dazu auf, überall solche Bündnisse zu gründen und sich um die Krankenhäuser zu scharen und Ver.di zu unterstützen, ob Ver.di das will oder nicht. Wir hatten auch schon ein Koordinationstreffen der Bündnisse und planen noch in diesem Jahr ein großes Treffen.

Da wo es keine Streiks gibt, kann es andere Aktionen geben. So wie das Klima im Moment ist, kann man auch von außen etwas tun. Normalerweise muss man bei Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit in den Betrieben drin sein. Jetzt befinden wir uns in einer Ausnahmesituation, die nicht ewig bestehen wird. Wenn die politische Konjunktur vorbei ist, hat man verloren, deswegen ist es jetzt wichtig, Energie rein zu stecken, in der Hoffnung, etwas loszutreten.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 6, 33. Jg., Juni 2018, S. 5
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Juni 2018

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