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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2443: Großer Erfolg für Beschäftigte in der Gebäudereinigung


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 11 · November 2019
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Die unsichtbare Macht
Großer Erfolg für Beschäftigte in der Gebäudereinigung

von Violetta Bock


Der Streik in der Gebäudereinigung hat ein überraschend schnelles Ergebnis gefunden.


Sie kommen meist dann, wenn alle anderen schon weg sind oder noch nicht da waren. Sie sorgen dafür, dass die Räume, Toiletten, Fenster und Kantinen sauber sind. Und sie sind überall, in der Produktion, in Rathäusern, in Schulen, in Krankenhäusern, an Flughäfen. Ohne sie würde nichts laufen und dennoch landet bei ihnen fast nichts. Die 650.000 ArbeiterInnen in der Gebäudereinigung verdienen gerade mal 10,56 Euro die Stunde, ab Januar in Ost und West 10,80 Euro. Meist arbeiten sie in Teilzeit, viele sind Frauen, oft mit Migrationshintergrund.

Als die Arbeitgeber im April den Rahmentarifvertrag kündigten, war die Angst groß, dass die Urlaubstage weiter abnehmen und Überstundenzuschläge gestrichen werden; die dreistesten Arbeitgeber legten ihren Beschäftigten schon neue Verträge vor. Selbst von einem der größten, Gegenbauer, der auch in der Verhandlungskommission saß, ist bekannt, dass er 6000 Arbeitsverträge mit gerade mal 20 Urlaubstagen ausschrieb. Das heißt vor allem, dass sich die Arbeitgeber bei niedriger Stundenzahl die Lohnfortzahlung im Urlaubs- und Krankenfall sparen. Dabei ist die Reinigungsbranche keine, bei der alle am Hungertuch nagen. Die Umsätze der Unternehmen steigen, im letzten Jahr waren es 18 Mrd. Euro.

Aufgrund der vielen Teilzeitbeschäftigten ist ein weiteres Thema die Zahlung der Überstundenzuschläge. Laut einem Gerichtsurteil im Dezember 2018 haben auch Beschäftigte in der Gebäudereinigung ein Anrecht auf Zuschläge. Diese Zuschläge zu erhalten, war daher ein Kernthema der Auseinandersetzung um den Rahmentarifvertrag.


Warnstreikwelle

Die IG BAU hat sich seit Monaten warmgelaufen. Objekt für Objekt wurden KollegInnen angesprochen, viele hielten in Fotos ihre Bereitschaft zum Warnstreik fest. Zweiter Fokus für die Öffentlichkeit war dabei die Forderung nach einem Weihnachtsgeld.

Nach sechs erfolglosen Verhandlungsrunden begannen die Warnstreiks. Die Taktik: Nadelstiche. Erst in der Infrastruktur, etwa Flughäfen, dann in Industrieobjekten und schließlich vor allem bei den Großen der Branche, die auch in der Verhandlungskommission sitzen, wie etwa Gegenbauer und Piepenbrock. So gab es Warnstreiks bei Bayer, BMW, Thyssen Krupp, bei Siemens, in Kliniken, an Hochschulen...

Der gewerkschaftliche Organisationsgrad ist nicht hoch, die Branche ist schwer zu organisieren, dennoch zeigten viele Warnstreiks und die gute öffentliche Reaktion Wirkung. Doch alle hatten sich auf eine lange Auseinandersetzung eingestellt. Am 18.10. kam dann für viele die Überraschung: Es gab ein Spitzengespräch und auch schon ein Ergebnis.


Die Ergebnisse

Ab 2021 gibt es für alle Beschäftigten einheitlich 30 Urlaubstage auf Vollzeitbasis, unabhängig von der Branchenzugehörigkeit. Das Weihnachtsgeld wurde dagegen weiter verschoben, aber zumindest verbindlich als Bestandteil der anstehenden Lohnrunde vereinbart. Als Bonus dürfen Beschäftigte Heiligabend oder am Silvestertag bezahlt zu Hause bleiben oder mit einem Zuschlag von 150 Prozent arbeiten.

Industrie- und Maschinenreiniger erhalten 75 Cent mehr pro Stunde. Die Nachtzuschläge wurden von 25 auf 30 Prozent angehoben, an Sonn- und Feiertagen von 75 auf 80 Prozent. An Weihnachtsfeiertagen, Neujahr und am 1. Mai auf 200 Prozent.

Teilzeitbeschäftigte, die innerhalb von fünf Monaten regelmäßig mindestens 15 Prozent Überstunden leisten, haben nun einen Anspruch, ihren Arbeitsvertrag entsprechend anpassen zu lassen. Das geht zurück auf die zunehmende Arbeitsverdichtung. Klaus-Dieter Körner, stellvertretender Regionalleiter der IG BAU in Hessen, fasst es so zusammen: "Ein Problem ist, die Quadratmeterzahlen nehmen regelmäßig zu, die Stunden bleiben festgeklopft und die KollegInnen arbeiten teilweise regelmäßig mehr. Jetzt heißt es, wenn du ständig länger arbeitest, und das über fünf Monate hinweg, dann hast du einen Rechtsanspruch." Doch auch dieses Recht muss erst durchgesetzt werden. Einen Überstundenzuschlag für Teilzeitbeschäftigte gibt es nach dem neuen Rahmentarifvertrag erst ab der 9. Stunde. Ein Punkt, den auch Körner strittig sieht.


Mit der Lohnrunde geht es weiter

In den Kommentarspalten der IG BAU sind die Reaktionen gemischt. Manche sind erleichtert über das schnelle Ergebnis, andere klagen über den Abschluss für Teilzeitkräfte und die fehlende Demokratie.

Körner meint zum Tarifkompromiss: "Was vielleicht viele nicht verstehen, die kritisch sind: Wir mussten uns den Rahmentarifvertrag zurückholen, den die Arbeitgeber gekündigt haben. Es gab einige, gerade von den großen, Gegenbauer, Piepenbrock, die gesagt haben, es geht auch ohne, sie haben Arbeitsverträge mit enormen Verschlechterungen vorgelegt. Wir haben mit den Warnstreiks erreicht, dass der Rahmentarifvertrag erhalten wurde, dass volatile Verbesserungen erzielt worden sind und kleinere Erhöhungen da sind. Wir haben nicht alles erreicht, aber da muss man in der Lohnrunde nachlegen." Da wird es noch weiter gehen: "Wir in Hessen waren in der Vorbereitung zu einem unbefristeten Arbeitskampf, den hätten wir geführt, wenn es nicht zu diesem Spitzengespräch gekommen wäre. Und wenn die Arbeitgeber wieder irgendwelche Spielchen spielen, werden wir den gegebenenfalls auch führen."

Im Endeffekt spiegelt das Ergebnis das derzeitige Kräfteverhältnis wieder. Auch innerhalb der Gewerkschaft. Das Ergebnis wurde fertig präsentiert, ohne Zeit und Räume für die Diskussion und Bewertung unter KollegInnen. Am Ende entschieden nicht diejenigen, die sich gegen ihre Chefs gestellt haben, die als KollegInnen und Sekretäre über die letzten Monate Vertrauen zu KollegInnen aufgebaut haben, damit sie mit rausgehen, nicht zum Streikbrecher werden, denn nur "gemeinsam sind wir stark". Auf sie wird es auch in den nächsten Auseinandersetzungen ankommen. Sie haben die Macht aufgebaut und die Arbeitgeber nervös werden lassen.

Aber die unsichtbare Entscheidungsmacht liegt eben noch woanders - bei den Geheimgesprächen zwischen IG-BAU-Spitze und Arbeitgeberseite. Diese Macht hatte der Vorstand nicht zuletzt deshalb, weil sowohl auf eine Urabstimmung als auch auf eine Delegiertenversammlung verzichtet wurde. Das letzte Wort wird die Tarifkommission haben. Am 28. Oktober entscheidet die Bundesfachgruppe. IG-BAU-Chef Robert Feiger geht davon aus, dass sie zustimmt.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 11, 34. Jg., November 2019, S. 10
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. November 2019

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