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VORWÄRTS/578: "Wo der Welt die Worte fehlen..." - Filmbesprechung von 'Salt of this Sea'


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 05/06 vom 6. Februar 2009

"Wo der Welt die Worte fehlen..."

Von Tristan P. Dzikowski


In unseren Tagen scheint so mancher Konflikt fast ausweglos. Doch dem ist nicht so. Wir sind Aussenstehende, bemüht das zu tun, was Hannah Arendt meinte, indem sie sagte: "Ich will verstehen". "Salt of this Sea" ist ein unglaublich gelungener Kinofilm aus Palästina. Es gibt wenige Filme, die wirklich bereichern. Einen davon bespricht der vorwärts jetzt.


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Salt of this Sea

Die palästinensische Filmemacherin und Schriftstellerin Annemarie Jacir ist seit 1994 im unabhängigen Filmbereich tätig. Sie hat als Regisseurin, Drehbuchautorin und Produzentin Filme wie "a post oslo history" (1998), "The Satellite Shooters" (2001) und "Like Twenty Impossibles" (2003) fertig gestellt und arbeitet als freiberufliche Cutterin und Kamerafrau. Annemarie Jacir hat an der Birzeit Universität, der Columbia Universität und dem Bernard College unterrichtet. Das Film Comment Magazine hat sie als eine der 25 New Faces des unabhängigen Kinos gelistet, ihre Filme wurden in Cannes, Venedig, Locarno und Berlin gezeigt. Annemarie Jacir lebt in Amman und New York.


Also das mit den Filmbesprechungen im "Züritipp" ist schon schwierig. Wäre mir "Salt of this Sea" nicht an einer Benefizveranstaltung für Gaza von einer Linken empfohlen worden - ja, hätte ich nur die Kritik im "Züritipp" gelesen - dann wäre ich nicht in diesen Film gegangen. Zum Glück kam es anders. "Den musst du unbedingt sehen!", meinte Claudia zu mir. Mit Angie und Stefan ging ich also ins Kino - diskutierte nach der Aufführung eineinhalb Stunden mit ihnen und lobte im Anschluss daran den Film auf der Internet-Kommerzplattform "facebook". Ein weiterer Linker wird auf meinen Filmtipp aufmerksam, ging daraufhin auch in "Salt of this Sea". Stephans Fazit: "Absolut sehenswert!". Auf der Website der Filmverleiher heisst es zutreffend über die Regisseurin: "Wo der Welt die Worte fehlen, hat Annemarie Jacir starke Bilder zur menschlichen Sehnsucht nach Freiheit gefunden".


Verriss

Die Palästinenserin Soraya aus Brooklyn, 28 Jahre alt, reist zum ersten Mal in die Heimat ihrer Vorfahren, nach Palästina. Und wie das eben so ist, wenn eine (US-)Palästinenserin nach Palästina reist, kommt es zum stundenlangen Sicherheitscheck durch die Israelis. Und zu unzähligen Fragen der Staatsdiener, die sich zudem bewusst und gezielt wiederholen. Verständlicherweise fühlt sich die Protagonistin aufgrund dieser Behandlung sichtlich unwohl. Entwürdigend filzt eine Beamtin den weiblichen Gast bis auf die Unterhose. Beim Koffercheck verletzt ein anderer Staatsdiener die Privatsphäre der Reisenden. Er nimmt ein Foto aus Sorayas Koffer und stellt mit fast verschmitzter Miene der hübschen Frau die wenig ernst gemeinte Frage, ob das ihr Freund sei. Schon die Anfangsszene des Films empfindet der Züritipp-Journi als stossend. Offenbar ist der noch nie nach Palästina gereist. Selbst eine Reise als Nicht-Palästinenser von München aus ins "gelobte Land" reicht, um sich am Franz-Josef-Strauss-Flughafen als potentiell Krimineller zu fühlen: Eineinhalbstunden warten, Fragen über Fragen. Seit wann ich an welche Uni gehe, hat man mich gefragt. Warum ich nach Israel reise, ob ich Araber kenne, wie mein Vater heisst, und so weiter. Soraya fragte man: "Wo wurde ihr Vater geboren". "Im Libanon". "Und ihr Grossvater?" "Hier". "In Israel, wo?", korrigiert die Beamtin. Soraya antwortet mit "Hier" und nicht etwa mit "Israel". Das sind kleine Nuancen, auf die man im Film achten kann. Die Sicherheitschecks der Israelis sind Tatsache. Sie gehören zum Leben. Das Sicherheitsbedürfnis der einen wird zur Tortour für die anderen. Der Züritipp-Journi bemängelt, der Film sei nicht ausgewogen, zeige er doch nur die palästinensische Sicht. Ja, aber guter Journalisten-Kollege, die Sicht der Dinge durch die israelische Brille betrachtet wird uns von den Kommerzmedien täglich serviert. Dringend brauchen wir zunehmend Sichtweisen der anderen, der schwächeren Seite. Sonst kann niemand irgendwas lernen oder verstehen.


Identität

In "Salt of this Sea" sucht Soraya ihre eigene Identität. Sie bemerkt, dass sie eigentlich keine US-Amerikanerin ist, sondern Palästinenserin. Der Film ist geschickt aufgebaut. In der - man achte auf die Kolonial-Bezeichnung - "British Bank of Palestine" hatte der verstorbene Grossvater, der in Jaffa lebte, ein Konto. Soraya will das Geld abheben, doch es wurde wegen dem letzten Krieg eingefroren, es ist weg. Soraya wird wütend. Viele kleine Erlebnisse und Details führen dazu, dass sie sich immer verbundener fühlt mit den Palästinensern. Bis sie schliesslich gar nicht mehr weg will. Geschickt ist der Film aufgebaut, weil er generationsübergreifend angelegt ist. So wird ein Stück Geschichte sichtbar. Doch zunächst: Soraya lernt einen jungen Mann kennen, er wird ihr Freund - "Salt of this Sea" ist eine sich langsam anbahnende Liebesgeschichte. Ihr Freund, der Ramallah nicht verlassen darf, nimmt Soraya mit nach Hause. Die Fahrt im klapprigen alten Auto zeigt Strassenzüge einer Stadt, der von vorne bis hinten das Geld fehlt. Daheim bei der Familie des Freundes leben mehrere Generationen miteinander. Als das Wort "Jaffa" fällt bekommt die Mutter des Freundes leuchtende Augen und schwärmt von dem Ort, an dem einst ihre Familie offenbar auch zu Hause war. Soraya macht sich mit ihrem Freund auf die Suche nach ihren Wurzeln und findet das ehemalige Haus ihres Grossvaters in Jaffa. Eine etwa gleichaltrige und an sich links angehauchte Israelin öffnet die Tür. Die drei befreunden sich, bis der Konflikt in Soraya hochbricht. "Es ist mein Haus! Ihr habt es uns gestohlen!", und die Israelin will zunächst beschwichtigen: "Lass die alten Geschichten", doch dann meint sie: "Da sieht man mal wieder, wenn man euch die Hand reicht, was dann passiert". "Wenn du mir das Haus meines Grossvaters nicht zurück gibst, werde ich es zurückkaufen!", schreit Soraya. "Das kannst du nicht. Der israelische Nationalfonds verbietet den Verkauf an Nichtjuden". "Dann konvertiere ich!", kreischt Soraya. "Das funktioniert nicht", gibt die Israelin kurzsilbig zurück, greift zum Telefonhörer und will offenbar die Polizei rufen. Und das wäre keine gute Idee. Denn Soraya und ihr Freund sind illegal nach Israel eingereist und in Palästina sucht man beide, weil sie eine Bank ausgeraubt haben ...


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 05/06, 65. Jahrgang, 6. Februar 2009, Seite 10
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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E-Mail: vwzh@smile.ch; Internet: www.vorwaerts.ch

vorwärts erscheint 14-täglich,
Einzelnummer: Fr. 4.-
Jahresabo: Fr. 160.-
reduziert (AHV, Studenten): Fr. 110.-


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Mai 2009