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VORWÄRTS/582: Der kleinstmögliche Schritt


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 13/14 vom 3. April 2009

Der kleinstmögliche Schritt

Von Marco Geissbühler


Der Schutz der Steuerhinterziehenden in der Schweiz ist nicht mehr länger unantastbar. Aufgrund massiven internationalen Drucks sah sich der Bundesrat gezwungen, die diesbezüglichen OECD-Mindeststandards zu übernehmen. Doch wie viel bringt die Neuerung tatsächlich? - Eine kritische Einschätzung.


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In den letzten Wochen wurden in der Diskussion um das Bankgeheimnis allseits etliche rhetorische Rauchpetarden verschossen und Scheingefechte ausgetragen. Das Bild von "Indianern und Kavallerie" bemühte man dabei ebenso, wie jenes des "hässlichen Deutschen". Leicht konnte man dabei den Überblick verlieren - worin ja auch der Sinn besagter Rauchpetarden liegt. Deshalb möchte ich hier zuerst kurz zusammenfassen, wie eigentlich genau die Neuerungen bezüglich des Bankgeheimnisses aussehen. Zu was hat sich der Bundesrat an jenem "schicksalhaften" 13. März 2009 konkret bereit erklärt? Was genau bleibt, wenn sich der ganze Pulverdampf verzogen hat? Im Anschluss daran möchte ich mich in einer kritischen Auseinandersetzung mit der neuen Politik der offiziellen Schweiz betreffend dem Bankgeheimnis versuchen. Wer die Entwicklungen der letzten Monate bereits intensiv verfolgt hat, sollte den ersten Abschnitt überlesen und erst danach in den Text einsteigen.


Von Steuerbetrug und -hinterziehung

In den vergangenen Monaten kam die Schweiz wegen ihrer Fiskalpolitik enorm unter Druck. Dabei ging es nie direkt um das Bankgeheimnis an sich, sondern um die fragwürdige Unterscheidung zwischen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug. Steuerhinterziehung ist in der Schweiz - im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern - nicht strafbar. Erst wer zum Zweck der Steuerumgehung Dokumente fälscht, und somit Steuerbetrug begeht, macht sich eines Vergehens schuldig. Aus diesem Grund gewährt die Schweiz anderen Staaten keinerlei Unterstützung, wenn diese mutmassliche Steuerhinterziehung mittels Schweizer Konten verfolgen möchten.

"Dank" dieser Unterscheidung gilt die Schweiz international als Steueroase. Für all diejenigen, die Gelder aus irgendeinem Grund an der staatlichen Kontrolle ihres Heimatlandes vorbeischleusen möchten, ist ein Schweizer Konto sehr attraktiv. Genaue Zahlen über die Gesamtsumme der Schwarzgelder in der Schweiz sind verständlicherweise nicht zu eruieren. Die Erklärung von Bern schätzt die Höhe der Steuerfluchtgelder auf 1250 bis 3600 Milliarden Franken. Davon stammen zwischen 360 und 1470 Milliarden Franken aus Entwicklungsländern. Trifft dies zu, entgehen Entwicklungsländern durch Steuerflucht in die Schweiz jährlich mehr Geld als sie aufgrund von Entwicklungszusammenarbeit von der Schweiz erhalten! Doch auch für die reichen Industriestaaten aus dem Norden sind die daraus resultierenden Verluste kein Pappenstiel. - Weshalb auch sie, angesichts drohender Defizite, die Schweiz vermehrt unter Druck setzten.

Mitte März sah sich der Bundesrat schliesslich gezwungen einzulenken. Er erklärte sich bereit, die OECD-Standards betreffend Steuerhinterziehung zu übernehmen. Das bedeutet, die Schweiz wird künftig auch ausländischen Amtshilfegesuchen bei mutmasslicher Steuerhinterziehung entsprechen. In konkreten Verdachtsfällen müssen also Schweizer Banken künftig die gewünschten Daten an die ersuchenden Regierungen weitergeben. Eine weitergehende Lockerung des Bankgeheimnisses - oder gar ein automatischer Informationsaustausch mit anderen Staaten - ist nicht vorgesehen.

Diese neue Politik möchte die offizielle Schweiz nicht auf Gesetzesebene festhalten. Stattdessen können interessierte Staaten entsprechende Doppelbesteuerungsabkommen - bilaterale Verträge zu Steuerfragen - mit der Schweiz aushandeln und dabei diese Neuerung einfliessen lassen. Der Bundesrat hofft so, internationalen Sanktionen, die beispielsweise am G20-Gipfel von diesem Wochenende verhängt werden könnten, abzuwenden.


Nur reiche Staaten profitieren

Die jetzigen Zugeständnisse stellen ein erstes kleines Schrittchen in die richtige Richtung dar. Der Schutz der SteuerhinterzieherInnen ist hierzulande nicht mehr länger unantastbar. Endlich respektiert die Schweiz die diesbezüglichen Gesetze anderer Staaten. Dennoch sollten wir uns keinen Illusionen hingeben. Der Bundesrat hat sich für das kleinstmögliche Entgegenkommen entschieden. Sich weniger zu bewegen, wäre gar nicht möglich gewesen.

Dies sieht man zum einen bei der Einführung der neuen Standards. Das Neuaushandeln von Doppelbesteuerungsabkommen wird einiges an Zeit beanspruchen. Bevorzugt behandelt werden in diesem Prozess all jene Staaten, welche der Schweiz ernsthaften Schaden zufügen könnten. In den kommenden Wochen will Bundesrat Merz erste Verhandlungen mit den USA, Japan und Frankreich aufnehmen. Zum anderen bleiben die Anforderungen für den Datenaustausch relativ hoch. "Amtshilfe wird nur geleistet im Einzelfall und bei begründetem Anfangsverdacht. Die Anfrage muss zudem den Namen der Steuerpflichtigen und den Namen der Bank enthalten. (...) Erst dann wird ein Verfahren eingeleitet, und da hat der Betroffene, wie jetzt bei uns im Amtshilfeverfahren, Einsprachemöglichkeiten", wie Merz gegenüber der NZZ vom 14. März verlauten liess.

De facto führt dies dazu, dass die Neuregelung nur für einen kleinen Kreis erlauchter Staaten Gültigkeit erhält. Leer ausgehen dürften hingegen ärmere und weniger einflussreiche Staaten. Bereits heute unterhält die Schweiz kaum Doppelbesteuerungsabkommen mit Entwicklungsländern. Und wie die Erklärung von Bern in einer Medienmitteilung festhält, sind auch die Anforderungen für ein formelles Gesuch um Amtshilfe für viele Entwicklungsländer eine zu hohe Hürde. Ebenfalls nichts ändern wird sich für Steuerhinterziehende in der Schweiz. Die Unterscheidung zwischen Steuerhinterziehung und -betrug bleibt für das Schweizerische Recht bestehen. Somit ist es weiterhin ohne allzu grossen Aufwand möglich, Gelder in unbekannter Höhe am Schweizer Fiskus vorbeizuschmuggeln.


Ein weiter Weg

Es war ein langer und steiniger Weg, der zu diesem "Anritzen" der Heiligen Kuh Steuerhinterziehung führte. Es brauchte die Kombination aus Druck von anderen reichen Staaten des Nordens, die wegen der Wirtschaftskrise dringend Geld brauchen, und der guten Arbeit des grenzübergreifenden Netzwerkes für Steuergerechtigkeit (Tax Justice Network, siehe vorwärts vom 6. März 09), um dieses Minimum herauszuholen.

Doch der Kampf um wirkliche globale Steuergerechtigkeit muss weitergehen. Kampfplätze gibt es weiterhin noch viele. In der Schweiz könnte man sich beispielsweise für einen automatischen Datenaustausch mit anderen Ländern einsetzen, wie dies die EvB tut. Oder man könnte gegen die völlig absurde Unterscheidung zwischen Steuerhinterziehung und -betrug kämpfen, wie dies SP-Nationalrat Hans-Jürg Fehr mittels einer parlamentarischen Initiative möchte.

Wie viel es brauchte, um so wenig zu erreichen, zeigt, dass dafür noch einiges zu tun bleibt. - Gerade in der Schweiz, wo Kritik am Steuerhinterziehungsgeheimnis in weiten Kreisen immer noch als Landesverrat gilt...


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 13/14, 65. Jahrgang, 3. April 2009, Seite 2
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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vorwärts erscheint 14-täglich,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Mai 2009