Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

VORWÄRTS/587: Grundrechte auch für Jugendliche


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 21/22 vom 29. Mai 2009

Inland
Grundrechte auch für Jugendliche

Von Marco Geissbühler


Das umstrittene Versammlungsverbot für schulpflichtige Jugendliche in Dänikon (ZH) fällt definitiv. Das Zürcher Verwaltungsgericht beurteilte ein solches Verbot als verfassungswidrig. Der Däniker Gemeinderat verzichtet auf einen Weiterzug vor das Bundesgericht. Nun kommen auch andere Schweizer Gemeinden mit Ausgehverboten unter Druck.


*


Wiederholt rückte die 1800 Seelen-Gemeinde Dänikon im malerischen Zürcher Unterland vergangenes Jahr in den Blickpunkt des Vorwärts. Mitte Juni 2008 erliess die örtliche Gemeindeversammlung auf Antrag des Gemeinderates eine neue Polizeiverordnung - eine Verordnung mit Zündstoff. Artikel 27 verbot es Schulpflichtigen, sich nach 22 Uhr im öffentlichen Raum zu versammeln. Schnell regte sich Protest gegen diese Massnahme. Eine ortsansässige Handarbeitslehrerin beschloss, mit Unterstützung der JUSO Kanton Zürich den Rechtsweg zu beschreiten. Am 8. Februar gelangten sie vor das kantonale Verwaltungsgericht (siehe Vorwärts vom 20. Februar 2009). Mit Erfolg, wie sich nun herausstellte.


Unverhältnismässiger Eingriff

Mitte Mai machte das Verwaltungsgericht sein Urteil publik. Darin hielt es deutlich fest, dass "das Ansammlungsverbot unrechtmässig in die Versammlungsfreiheit der schulpflichtigen Jugendlichen" eingreife. Ausschlaggebend für das Gericht ist die fehlende Verhältnismässigkeit der Neuregelung. Um gegen Nachtruhestörungen und Vandalenakte vorzugehen, reiche eine konsequente Anwendung der bestehenden, täterbezogenen Gesetze. Es gehe deshalb nicht an, eine neue Massnahme zu schaffen, die "Personen einbezieht, welche bis anhin keinen Anlass zur Beanstandung gaben und wohl auch in Zukunft nicht geben werden", so die Urteilsbegründung.

Für Freude sorgte der Ausgang des Rechtstreits selbstverständlich bei den betroffenen Däniker Jugendlichen und bei der kantonalen JUSO, welche von Anfang an gegen das Verbot kämpfte. Der Co-Präsident der JUSO Kanton Zürich, Amr Abdelaziz, beglückwünschte insbesondere die Beschwerdeführerin Regula Lächler zu ihrem Einsatz: "Dänikon kann stolz sein auf diese mutige und engagierte Bürgerin und auf alle, die sie in Dänikon unterstützt haben." Gegenüber den örtlichen Behörden spart Abdelaziz hingegen nicht mit Kritik: "Der Däniker Gemeinderat behauptete in seiner Beschwerdeantwort allen Ernstes, dass das blosse Beisammensein schulpflichtiger Jugendlicher in Dänikon eine Gefahr für die Öffentlichkeit darstelle. Wir hoffen, dass dies ein einmaliger intellektueller Lapsus war."

Diese Hoffnung sollte sich nur teilweise bestätigen. Am 19. Mai gelangte der Gemeinderat mit einer Medienmitteilung an die Öffentlichkeit. Zwar legte er in dieser dar, dass er aus Furcht vor einer absehbaren Niederlage auf einen Weiterzug vor das Bundesgericht verzichte. Hingegen zeigte er sich über das Zürcher Verwaltungsgericht befremdet, welches den "von der Däniker Bevölkerung mehrheitlich unterstützten" Entscheid umgestossen habe. Jemand sollte den Gemeinderat vielleicht darüber unterrichten, dass auch die Mehrheit einer Gemeinde nicht das Recht hat, gegen die Bundesverfassung zu verstossen.


Präzedenzfall geschaffen

Im fehlenden Lernwillen der Behörden werden die Grenzen des Gerichtsentscheids deutlich. Denn an der konservativen und eher repressiven Grundausrichtung der Däniker Jugendpolitik dürfte sich künftig nur wenig ändern. Nach wie vor mangelt es nicht an Regeln und Einschränkungen für Heranwachsende - an Freiräumen und Freizeitmöglichkeiten jedoch schon.

Rein rechtlich hingegen dürfte das Urteil des Zürcher Verwaltungsgerichts weit über den Kanton hinaus Konsequenzen haben. Denn Dänikon ist bezüglich des sehr repressiven Vorgehens gegenüber Jugendlichen kein Sonderfall. Zahlreiche andere Gemeinden in der Schweiz erliessen in den vergangenen Jahren Ausgeh- oder Versammlungsverbote gegen Jugendliche. Diese dürften nun ebenfalls unter Druck kommen. So gab die JUSO beflügelt durch ihren Däniker Erfolg bekannt, schweizweit rechtlich und politisch gegen "unsinnige Freiheitseinschränkungen" für Jugendliche vorgehen zu wollen.

Der Kampf um mehr Freiräume für junge Menschen geht also weiter - in Dänikon und anderswo.


*


Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 21/22, 65. Jahrgang, 29. Mai 2009, Seite 2
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
Redaktion: Vorwärts, Postfach 2469, 8026 Zürich
Telefon: 0041-(0)44/241 66 77;
E-Mail: redaktion@vorwaerts.ch; Internet: www.vorwaerts.ch

vorwärts erscheint 14-täglich,
Einzelnummer: Fr. 4.-
Jahresabo: Fr. 160.-
reduziert (AHV, Studenten): Fr. 110.-


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Juni 2009