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VORWÄRTS/590: No Border Camp in Calais


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 23/24 vom 12. Juni 2009

No Border Camp in Calais

Kein Mensch ist illegal. Für die Woche vom 23. bis 29. Juni 2009 rufen französische, belgische und britische AktivistInnen sowie migrantische Organisationen zu einem NoBorder-CamP im französischen Calais auf.


Erklärtes Ziel des Camps ist es, die Wirklichkeit in Calais, Nord-Frankreich darzustellen, Verbindungen zwischen Migrationsgruppen aufzubauen, Basisgruppen zu vernetzen, die sich unterstützend und widerständisch mit dem Thema Migration beschäftigen. Und nicht zuletzt die Autoritäten von der Basis her herauszufordern. Also offensiv den Protest gegen die steigende Repression gegen MigrantInnen und lokale AktivistInnen lokal vor Ort auszudrücken. Das Camp fordert unter anderem Bewegungsfreiheit für alle sowie das Ende der Grenzen und jeglicher Migrationskontrollen. Alle sind dazu aufgerufen sich an einer radikalen Bewegung gegen Kontrollen und Spaltung der Gesellschaft in StaatsbürgerInnen und AusländerInnen, Legale und Illegale zu beteiligen.


Warum Calais?

Calais wurde aus zwei Gründen ausgewählt: Es ist zum einen ein wichtiger Ort für die Geschichte, die Entwicklung und die alltägliche Praxis der Europäischen Migrationskontrollen und seit langem ein Flaschenhals für die Migration nach Grossbritannien. Zum anderen ist es im Fokus des Kampfes zwischen denjenigen, die ein Ende der Migration nach Europa anstreben, und denjenigen, die die Barrieren zwischen den Menschen abbauen wollen - und die Bewegungsfreiheit für alle Menschen fordern und nicht nur für ein paar Privilegierte und Handverlesene. Seit Mitte der 90er Jahre haben zehntausende in Armut, ohne ein Dach über dem Kopf in Calais gelebt. Wartend auf eine Chance den Ärmelkanal nach England zu überqueren. Zwischen 1999 und 2002 hat das Rote Kreuz ein Zentrum für diese MigrantInnen im benachbarten Sangatte geführt welches aber auf Druck von französischen und britischen Behörden geschlossen werden musste. Seit diesem Zeitpunkt gibt es massive Polizeipräsenz und Repression in Calais, so dass tausende an der Französischen Küste, in Belgien und Holland umherirren. Sie werden routinemässig brutal von der Polizei mit Tränengas und Schlagstöcken angegriffen. Viele von ihnen wurden in das nahegelegene Internierungslager eingesperrt. Die Polizei verbrennt regelmässig die kleinen Unterschlüpfe der MigrantInnen mit samt deren Inhalt. Lokale Gruppen, die mit Lebensmitteln und anderen humanitären Hilfsleistungen den MigrantInnen helfen, werden von den Behörden angegriffen. Mehrere AktivistInnen wurden in den letzten Monaten festgenommen. Unterdessen hat der britische Migrationsminister Phil Woolas die Errichtung eines permanenten Internierungslagers im Hafen von Calais gefordert.


Der grössere Rahmen

Calais ist nur ein kleiner Teil der Europäischen Migrationskontrollen. Eine hauptsächlich interne Grenze innerhalb der hoch-technologisierten EU-Grenzen. Seit dem Beginn dieses Jahrzehnts versucht die Europäische Union den Aufbau der Festung Europa voranzutreiben. Die EU-Grenzen werden nach Afrika oder Asien verlegt indem EU-Grenzkontrollen im Mittelmeer, Libyen und an der Westküste Afrikas von Frontex durchgeführt werden. Ausserdem versucht die EU mit Geldzahlungen, die Anrainerstaaten von der Ukraine rund um das Mittelmeer bis Marokko, zu repressiven Mitteln gegen MigrantInnen zu bewegen. Durch dieses System der Grenzkontrollen erschaffen die Behörden zwei Typen von MigrantInnen: Eine kleine Anzahl von gut Ausgebildeten, die für nützlich erachtet werden, und eine grosse Anzahl von undokumentierten ArbeiterInnen, die keine Rechte haben und deshalb als billige Arbeitskräfte schutzlos ausgebeutet werden. Deshalb ist der Kampf für die Bewegungsfreiheit ein Kampf für alle ArbeiterInnen.


Kampagne gegen die Festung Europa

Die internationale Vernetzung und die Zusammenarbeit ermöglicht es uns Erfahrungen und Informationen untereinander auszutauschen. Es erlaubt ausserdem die Schwächen der Festung Europa besser zu nutzen. Letzten November gelang es beispielsweise, dank der internationalen Solidarität und Unterstützung, die Ausschaffung von Afghanen von Calais nach Kabul zu verhindern.

Dieses Camp wird die Tradition der No Border Camps, welche schon seit 1990 in vielen Teilen der Welt stattfand, fortführen. Wie das Camp in Lesbos, welches Ende August auf der griechischen Insel stattfindet, wird es in Calais einen Raum für Informations- und Erfahrungsaustausch geben, Raum um Pläne gegen dieses System von Grenzen zu schmieden die uns alle trennen. Seit Jahrhunderten werden Länder, die Ressourcen und die Menschen in grossen Teilen der Welt ausgebeutet, nur damit Wenige noch reicher und mächtiger werden. Als Konsequenz daraus ist unsere Welt heute von Kriegen, Umweltzerstörung und extremen Ungleichheiten in der Wohlstandsverteilung gekennzeichnet. Diejenigen, die nach England oder in andere Teile der EU aufbrechen, fordern diese Ungerechtigkeit heraus. Die Situation in Calais ist ein Kompromiss der Interessen zwischen der französischen und der britischen Migrationspolitik. Wir rufen Gruppen, Netzwerke und Individuen dazu auf, Aktionen überall in Europa gegen dieses System der Ausgrenzung zu organisieren und ein Teil einer globalen Bewegung zu werden, die das Recht auf Bewegungsfreiheit überall und für jeden verteidigt.


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 23/24 - 65. Jahrgang - 12. Juni 2009, Seite 6
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
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vorwärts erscheint 14-täglich,
Einzelnummer: Fr. 4.-
Probeabo: 4 Ausgaben gratis
Jahresabo: Fr. 160.-, reduziert (AHV, Stud.) Fr. 110.-


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Juli 2009