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VORWÄRTS/598: Oaxaca - Fehlende Gerechtigkeit


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 29/30 vom 24. Juli 2009

Fehlende Gerechtigkeit

Von Michi Stegmaier


Seit im Mai 2006 der Aufstand in Oaxaca begann, wurden rund zwei Dutzend AktivistInnen getötet. Einer von ihnen war der Indymedia-Filmemacher Brad Will. Statt die tatsächlichen Mörder zu verfolgen, machten die Behörden den APPO-Aktivisten Juan Manuel Martinez Moreno zum Todesschützen. Anfangs Juli wurde die Haft gegen Juan Manuel nun verlängert.


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Während des Aufstands in Oaxaca 2006 starben mindestens 23 Menschen. Bis heute wurde keiner der Mörder oder Hintermänner angeklagt. Stattdessen präsentierte die Polizei im Oktober vergangenen Jahres Juan Manuel, selber Aktivist der sozialen Bewegungen in Oaxaca, als Mörder von Brad Will. Eine breite Kampagne, bestehend aus Familienangehörigen von Brad Will und Juan Manuel sowie Menschenrechtsorganisationen, engagiert sich seither für die Freilassung des 35-jährigen Bäckers. Sie verlangt die Verurteilung und Verfolgung der eigentlichen Mörder. Das Vorgehen der Behörden ist eine Justizfarce sondergleichen. Weil die USA im Rahmen des Plan Merida - das mexikanischen Pendant zum Plan Colombia - die Aufklärung des Falls Brad Will zu einer der Bedingungen für die Aushändigung von mehreren hundert Millionen US-Dollar gemacht hat, benötigt die mexikanische Regierung einen Schuldigen.


Absurdes Konstrukt

Für Sara Mendez, Mitglied des "Comité de Liberation 25 de Noviembre" ist Juan Manuel eine Geisel. "Die ganzen Vorwürfe sind konstruiert und es geht nicht um die Verfolgung der wahren Täter", schildert Mendez die Hintergründe. Für sie ist klar, dass in dieser Sache noch nicht das letzte Wort gesprochen ist. "Das Komitee wird gegen die Haftverlängerung bei der nächst höheren Instanz intervenieren. Wir gehen davon aus, dass dann seriöser untersucht wird", hofft Mendez. Das Komitee wurde im Zuge der schweren Repression in Oaxaca im November 2006 gegründet. Es hat sich zum Ziel gesetzt die politischen Gefangenen zu unterstützen und den Opfern polizeilicher Gewalt beizustehen. Wie wichtig und schwierig diese Arbeit ist, zeigt alleine schon die Geschichte von Juan Manuel. Trotz zahlreichen Ungereimtheiten, widersprüchlichen Zeugenaussagen, ungerechtfertigten Anschuldigungen, schlampigen Untersuchungen, fehlender Tatwaffe und fehlendem Motiv versucht die Staatsanwaltschaft mit allen Mitteln Juan Manuel den Mord an dem US-Journalisten Brad Will in die Schuhe zu schieben.

Doch was war geschehen am 27. Oktober 2006, dem Todestag von Brad? An diesem Tag kam es in ganz Oaxaca zu mehreren Angriffen durch Paramilitärs und die mexikanische Bundespolizei auf Strassenblockaden der sozialen Bewegung APPO. Im Zuge der Attacken wurden an diesem Tag mehrere Aktivisten erschossen. Auch während des Angriffs auf die Barrikaden, wo sich Brad Will befand, eröffneten die mexikanischen Ordnungskräfte sowie Parteimitglieder der PRI das Feuer auf die steinewerfenden APPO-Leute. Dabei wurde Bradley Will von zwei Kugeln tödlich getroffen. Schon vor den tödlichen Schüssen auf Will, kamen die APPO-AktivistInnen unter starken Beschuss und riskierten bei der Verteidigung der Blockade ihr nacktes Leben.

Zwar wurden am 2. November 2006 zunächst tatsächlich der Stadthalter des Bezirkes Santa Lucia del Camino, Abel Zarate, sowie der Polizist Oswaldo Coello wegen des Mordes am Indymedia-Aktivisten verhaftet, nach wenigen Wochen aber wieder aus der Haft entlassen. Beide stehen der Regierungspartei PRI nahe. Statt die beiden Tatverdächtigen vor ein ordentliches Gericht zu stellen, konstruierte die Staatsanwaltschaft nun die absurde und unhaltbare These, dass Brad Will aus nächster Nähe von APPO-Leuten selbst erschossen worden sei. Also genau von den Leuten, mit welchen der USl-Amerikaner an diesem Tag unterwegs war... Und das, obwohl sämtliche ballistischen und audiotechnischen Erkenntnisse eindeutig gegen diese Hypothese sprechen. Ganz zu schweigen von den dutzenden Augenzeugen. Alle unabhängigen Quellen sprechen davon, dass der Todesschütze rund 40 bis 50 Meter vom späteren Opfer entfernt war. Zudem filmte Brad Will seine Mörder. Das alles hindert jedoch die Untersuchungsbehörden nicht, an ihrem absurden Konstrukt festzuhalten.


Einseitige Ermittlungen

Ein Gutachten, welches durch das gerichtsmedizinische Programm der "Ärzte für die Menschenrechte" von internationalen Experten für Pathologie und Kriminalistik erstellt wurde, kommt ebenso zu anderen Ergebnissen als die offizielle Version. Das Gutachten wirft den Behörden zudem mangelhafte und parteiische Untersuchungen vor. Und dass die Hypothese, die Schüsse seien aus nächster Nähe abgegeben worden, bewusst gelenkt worden sei. Es hält fest, dass beide Schüsse aus derselben Waffe des Kalibers .38 abgegeben wurden und fordert, dass nebst den Dienstwaffen, auch alle persönlichen Waffen der Polizisten zwecks ballistischer Prüfung, beschlagnahmt werden. Bis heute konnte die Tatwaffe nicht sichergestellt werden. Trotzdem verhaftete die Polizei am 10. Oktober 2008, knapp zwei Jahre nach der Ermordung von Brad Will, den Bäcker Juan Manuel wegen dem dringenden Tatverdacht des vorsätzlichen Mordes. Gleichzeitig wurden mehrere Augenzeugen wegen "Verdunkelung eines Tatherganges" angeklagt. Der tragische Fall von Brad Will steht exemplarisch für die im Bundesstaat Oaxaca herrschende Straflosigkeit und die Parteilichkeit der Behörden. Obwohl über 20 Personen während der sozialen Unruhen 2008 ermordet wurden, kam es einzig im Fall des US-Amerikaners überhaupt zu einer Strafverfolgung. In keinem der anderen Mordfälle gab es bis heute - nach über zweieinhalb Jahren - eine Anklage oder gar einen Prozess. Und es darf sehr wohl davon ausgegangen werden, dass die Mörder den Behörden bestens bekannt sind. Genau dort liegt der Hund begraben.


(Brad Will filmte die Auseinandersetzungen bis zu dem Augenblick, als er erschossen wurde. Seine letzten Aufnahmen sind auf YouTube zu finden:
www.youtube.com/watch?v=dxlwcfldxiw)


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 29/30 - 65. Jahrgang - 24. Juli 2009, S. 1
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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vorwärts erscheint 14-täglich,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. August 2009