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VORWÄRTS/620: Weltweite Streiks an Universitäten


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 45/46 vom 28. Nov. 2009

Weltweite Streiks an Universitäten

Von Lukas Arnold


"Streik in der Schule, Streik in der Fabrik, das ist unsere Antwort auf eure Politik", lautet eine Parole. Als Reaktion auf die alleine von Wirtschaftsinteressen bestimmte Politik an den Hochschulen wurden Hörsäle in Basel, Bern und Zürich von Studierenden besetzt.


Weltweit sind gut 70 Universitäten und Hochschulen besetzt. Rund 50 davon in Deutschland, elf in Österreich. Auch in den USA, in Grossbritannien, in Belgien, Dänemark, Polen, Serbien oder Albanien. Und vor zwei Wochen, am Dienstag, dem 10. November, sind die Proteste in der Schweiz angekommen: Studierende haben die Aula der Universität Basel besetzt. Eine Woche später, am "Internationalen Tag der StudentInnen", folgen die Universitäten in Zürich und Bern besetzt, in Genf wird eine Besetzung versucht, scheitert aber.

Es bewegt sich offensichtlich etwas an den Hochschulen. Doch was? Und warum?

Schlagwort bei den Protesten ist die "Ökonomisierung der Bildung": Die Bildung werde immer mehr den Interessen der Wirtschaft angepasst. Was abstrakt klingt, hat auf das Leben der StudentInnen jedoch ganz konkrete Auswirkungen:

Mit der von den BildungsministerInnen der EU-Staaten beschlossenen Bologna-Reform wurde europaweit das Studiensystem vereinheitlicht und normiert. Aufgrund permanenter "Leistungskontrollen" ist der Studienaufwand erheblich gestiegen und es fand in den meisten Studiengängen eine massive Einschränkung der Wahlfreiheit beim Studieren statt. "Studieren" heisst nun vielfach einfach "Auswendiglernen" - es ist weder Zeit vorhanden, noch wird erwartet, sich selbstständig tiefergreifend mit einem Thema auseinanderzusetzen. Die "Ökonomisierung" besetzt jedoch nicht nur die Studienstruktur, sondern auch die Lehrinhalte: Auch diese müssen "marktgerecht" sein, was heisst, das kritische Inhalte kaum vermittelt werden. War es früher unter der Dominanz bürgerlicher Ideologien mindestens möglich, sich akademisch mit nicht-bürgerlicher Wissenschaft zu beschäftigen, so wird dies durch die Straffung des Studiums stark erschwert bis verunmöglicht.

Doch es gibt noch einen anderen Aspekt der "Ökonomisierung": Damit der Kanton Einsparungen vornehmen kann - notabene zur Senkung der Steuern der oheren Einkommensschichten - sind Erhöhungen der Studiengebühren im Gespräch. So will der Kanton Zürich bei der Universität Zürich nächstes Jahr 30 Millionen Steuern einzahlen - was nur auf dem Buckel der Forschungs- und Lehrqualität oder über das Portemonnaie der Studierenden machbar ist. Und wenn nur etwas über das Portemonnaie der Studierenden machbar ist, ist das problematisch vor allem für StudentInnen, welche nicht aus den oberen Gesellschaftsschichten entstammen.


Basel, Bern, Zürich

Am 17. November, dem Internationalen Tag der StudentInnen, werden nach einer Demonstration mit 400 Teilnehmern die Aula der Uni Bern beziehungsweise nach einem "Offenen Plenum aller Studierenden" mit etwa 500 Studierenden der grösste Hörsaal der Uni Zürich besetzt. In der schon seit einer Woche besetzten Universität Basel fliessen Tränen: ihr Kampf hat sich gelohnt, die Isolation ist durchbrochen. "unsereuni" nennen sich die Bewegungen - die Universität solle die Universität der Studierenden sein, der Dozierenden, des Personals, nicht eine der Wirtschaft, der Unileitung.

Die Organisation der Besetzung lief erstaunlich gut: schnell wurden Arbeitsgruppen gegründet, Küchen eingerichtet, Workshops organisiert. In Basel und Zürich fanden "Alternative Vorlesungen" statt, insbesondere hielten Prof. Alexander Demirovic, Politologe an der Technischen Universität Berlin, sowie Simon Critchley, Philosoph an der "New School of Social Sciences", New York, sowie der University of Essex Vorlesungen.

Die Forderungen der drei besetzten Universitäten sind überall etwa die selben: Sie richten sich gegen die Bologna-Reform, gegen Einsparungen, gegen Studiengebühren, für mehr Mitbestimmung der Studierenden, für höhere Löhne des Reinigungs- und Mensapersonals.

Der für die Rektoren wohl etwas unerwartete Protest wurde von ihnen nicht mit Begeisterung aufgenommen: Sie forderten alle - früher oder später - die Freigabe der besetzten Räume. Zwar stellten sich die Rektoren Andreas Fischer der Uni Zürich und Antonio Loprieno der Uni Basel dem Gespräch mit den Studierenden, machten bezüglich der Forderungen keine oder nur sehr vage Zugeständnisse. Schliesslich drohte der Basler Rektor gar mit der polizeilichen Räumung der Aula - die Studierenden zogen sich daraufhin aus dem Raum zurück, um eine Konfrontation zu vermeiden. Auch der Rektor der Universität Zürich, Andreas Fischer, hat am Mittwoch vor den etwa 700 Studierenden die Räumung des Hörsaals verlangt. Damit zeigen sowohl Fischer als auch Loprieno, dass auch sie zur polizeilichen Gewalt - also staatlichen Repression - greifen, um die Interessen der Wirtschaft wahren und die (berechtigten) Stimmen der Protestierenden zum Schweigen zu bringen.


Bildung als Allgemeingut

Die Bildungsproteste gegen die "Ökonomisierung" sind durchaus nicht als ein Protest nur für die Interessen der Studierenden, sondern im Rahmen einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung zu sehen. Etwas, dessen sich die protestierenden StudentInnen durchaus bewusst sind: Am Dienstag referierte Matteo Pronzini, Arbeit in den SBB-Cargo-Werken in Bellinzona und Streikführer, zum Thema "Streik in der Schule, Streik in der Fabrik", letzte Woche hielt Rainer Thomann, Gewerkschaftsaktivist, einen Vortrag zum Thema "Betriebsbesetzungen". Wenn "Ökonomisierung" in der Bildung Bologna-Reform, Sparmassnahmen und Leistungsdruck bedeutet, bedeutet es im Betrieb Entlassungen, Lohnkürzungen und Arbeitszeitverlängerungen. Der Grund für diese Entwicklungen ist durch unser Gesellschaftssystem gegeben, welche diese "Ökonomisierungen" verlangt: der Kapitalismus. Und eine Perspektive kann sich nur entwickeln, wenn sich Studierende und Arbeitende gemeinsam gegen diese Entwicklungen stellen, wenn sie für eine Bildung im Interesse der Gesellschaft und nicht der Wirtschaft und für Arbeit im Interesse der Gesellschaft und nicht des Kapitals kämpfen.


Zu Redaktionsschluss sind keine Informationen über den weiteren Verlauf der Unibesetzungen bekannt.
Informationen: unsereuni.ch, unsereunizh.ch.


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 45/46 - 65. Jahrgang - 28. Nov. 2009, S. 1
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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vorwärts erscheint 14-täglich,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Dezember 2009