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VORWÄRTS/629: Baskenland - Hochgeschwindigkeitszug ausbremsen


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 01/02 vom 8. Jan. 2010

Hochgeschwindigkeitszug ausbremsen

Von Franziska Stärk


Seit bald zehn Jahren wehrt sich im Baskenland ein breites Bündnis aus Gewerkschaften, linken Organisationen und ökologischen Gruppen gegen den Bau eines Schienennetzes für Hochgeschwindigkeitszüge. Was auf den ersten Blick absurd scheint, hat durchaus Berechtigung. Hochgeschwindigkeitszüge sind im Vergleich zur herkömmlichen Eisenbahn eine enorm teure und investitionsintensive Technologie, an der sich einige wenige Grosskonzerne eine goldene Nase verdienen, die aber eine Unmenge staatlicher Gelder fressen.


In der aktuellen Wirtschaftskrise werden Hochgeschwindigkeitsprojekte im Bahnverkehr weltweit als Rettungsanker für den Industriesektor gepriesen. Sie profitieren deshalb grosszügig von Geldern aus Konjunkturpaketen. Zusätzliche Zahlungen von rund 100 Milliarden Euro haben die europäischen Regierungen in den vergangenen Monaten angekündet. Allein Russland investierte 2009 weitere 10 Milliarden Euro in den Bau neuer Hochgeschwindigkeitsstrecken, die deutsche Bundesregierung stellte zusätzliche 520 Millionen Euro bereit und der spanische Minister für Wirtschaftsförderung hat im November 2009 den Bau einer komplett neuen Verbindungsstrecke zwischen Mittelmeer und Atlantik vorgestellt. Die Geschwindigkeit, mit der die Pläne auftauchen, und die Grosszügigkeit, mit der die Gelder aus den Konjunkturpaketen verteilt werden, legen die Vermutung nahe, dass die Projekte bereits in den Schubladen der Regierenden gelegen haben. Nun können sie ohne kritische Gegenstimmen als Rettung von Wirtschaft und Arbeitsplätzen präsentiert werden.

Die EU hat den Ausbau eines transeuropäischen Schienennetzes für Hochgeschwindigkeitszüge mit mehr als 300 km/h Höchstgeschwindigkeit bis ins Jahr 2020 bereits 1990 beschlossen und 800 Milliarden Euro Subventionen dafür in Aussicht gestellt. Pulsgeber des Projektes ist der European Round Table of Industrialists (ERT), eine Tafelrunde der 47 wichtigsten europäischen multinationalen Konzerne, der seit seiner Gründung 1983 als einflussreichste Interessenvertretung die europäische Politik in Brüssel massgeblich mitbestimmt.

Die beiden Grosskonzerne Siemens und Alstom, Marktleader in der Technologie für Hochgeschwindigkeitszüge, sichern sich damit Verdienste in Milliardenhöhe. Siemens holte sich die wichtigsten Aufträge für Hochgeschwindigkeitszüge in Deutschland, Russland, Spanien und China. Alstom in Frankreich, Italien und mehreren südamerikanischen Staaten. Gegen beide Konzerne wurde in den letzten drei Jahren in verschiedenen Ländern wegen Verdachts auf Schmiergeldzahlungen in mehrstelliger Millionenhöhe bei der Auftragsvergabe ermittelt. Im Sommer 2008 wurde auch der Hauptsitz von Alstom Schweiz von der Bundesanwaltschaft durchsucht.


Spanien will alle schlagen

Von allen europäischen Ländern hat Spanien die ehrgeizigsten Ziele bezüglich Hochgeschwindigkeitszüge. Bis 2010 soll sein Schienennetz mit 2230 Kilometern zum grössten Hochgeschwindigkeitsnetz Europas ausgebaut und das Land damit besser an Frankreich und Portugal angebunden werden. Von Madrid aus sollen die Hauptstädte aller vierzehn auf dem Festland gelegenen Autonomen Regionen in maximal vier Stunden Fahrzeit erreicht werden können. Erklärtes Ziel des spanischen Ministerpräsidenten José Luis Zapatero ist es, Japan und Frankreich im Bereich der Hochgeschwindigkeitszüge zu schlagen.

War der Ausbau des Hochgeschwindigkeitsnetzes bis 2007 Ausdruck der Modernisierung und des Wirtschaftsaufschwungs Spaniens, so wird er nun von der Regierung als Wundermittel gegen die Wirtschaftskrise angepriesen. Diese hat Spanien kalt erwischt. Nachdem das Land europaweit in den letzen zehn Jahren den grössten Bauboom erlebte und die Wohnungspreise um bis zu 500 Prozent stiegen, wird seit dem Platzen der Immobilien-Spekulationsblase kaum noch gebaut. Die Preise für Neubauwohnungen zerfallen. Die Zahl der Arbeitslosen liegt inzwischen bei über 19 Prozent, zusammen mit Lettland hat Spanien die höchste Arbeitslosenquote innerhalb der EU. Ein Drittel der über vier Millionen Arbeitslosen entstammt der Baubranche. Für die regierenden SozialdemokratInnen soll der Ausbau des Hochgeschwindigkeitsnetzes, zusammen mit der anschliessend geplanten Privatisierung des gesamten Eisenbahnsektors, Arbeitsplätze schaffen und die Wirtschaft stabilisieren. Bei der Investition öffentlicher Gelder in den Bau von Verkehrsverbindungen nimmt Spanien innerhalb der EU inzwischen eine Spitzenposition ein, während es eines der Schlusslichter bei der Investition in Gesundheitsversicherung, Bildung, Forschung oder Sozialwesen bildet.


Breiter Widerstand im Baskenland

Der geplante Ausbau des Hochgeschwindigkeitsnetzes stösst in Spanien und anderen Ländern Europas nicht nur auf Begeisterung. Vielerorts regt sich auch Kritik und Widerstand. Besonders hartnäckig und vielfältig gestaltet sich der Kampf im Baskenland, wo 426 Kilometer des spanischen Netzes geplant sind. Sie sollen die vier grössten baskischen Städte miteinander verbinden und ans Gesamtnetz anschliessen. Daneben sind weitere 42 Kilometer auf der französischen Seite des Baskenlandes geplant.

Da Hochgeschwindigkeitszüge zur Erreichung ihrer Höchstgeschwindigkeit gerade Strecken und eine bis zu 70 Meter breite Einzugsschneise brauchen, können die bereits bestehenden Eisenbahnlinien nicht ausgebaut werden. Stattdessen braucht es in der gebirgigen Küstenregion ein gänzlich neues Schienennetz mit 121 Tunneln und 113 Viadukten. 112 Gemeinden sind von den Bauarbeiten betroffen. Die dafür notwendigen Erdbewegungen von 68 Millionen Kubikmetern entsprechen denjenigen, die in den letzten zwanzig Jahren für den Bau sämtlicher Baskenland getätigt wurde. Die Gesamtkosten des Projektes belaufen sich auf 10 Milliarden Euro. Geplant sind im Baskenland hingegen nur gerade vier Haltestellen.

Dagegen hat sich vor neun Jahren die Plattform AHT Gelditu! Elkarlana aus Gewerkschaften, Parteien, Jugendorganisationen und ökologischen Initiativen gebildet. Mit fast täglichen Aktionen protestiert die Plattform gegen das geplante Projekt und verlangt ein Moratorium, damit unter Einbezug der Bevölkerung Alternativen entwickelt werden können. Ein wichtiger Kritikpunkt von AHT Gelditu! Elkarlana ist das undemokratische, voreilige und intransparente Vorgehen der spanischen Regierung bei der Planung und Umsetzung der Bauprojekte, welches die realen Verkehrsprobleme nicht berücksichtigt. Weiter werden die hohen öffentlichen Ausgaben, die anderorts wieder eingespart werden müssen, beanstandet, ebenso die prekären Arbeitsbedingungen und das massive Lohndumping auf den Baustellen. Auch die Zerstörung von Landschaft und Ökosystemen durch den invasiven Bau von Tunnels, Viadukten und Einzugsschneisen wird kritisiert, sowie der Zentralisierungseffekt, der den wenigen ans Hochgeschwindigkeitsnetz angebundenen Städten wirtschaftliche Vorteile bringt und alle anderen Regionen marginalisiert.


Repression und Mobilisierungen

Die Plattform AHT Gelditu! Elkarlana ist sozial so breit abgestützt, dass die spanische Regierung bisher nicht versucht hat, sie im Namen des Antiterrorismus zu verbieten, wie sie es in den letzten Jahren mit fast allen baskischen linken Initiativen gemacht hat. Stattdessen ignoriert sie die alternativen Studien, Umfrageergebnisse, juristische Einsprachen und Demonstrationen so weit als möglich und lässt sie medial totschweigen. Bei der Verhaftung von Einzelpersonen im Zusammenhang mit Aktivitäten gegen den Hochgeschwindigkeitszug kommt hingegen die gesamte Antiterrorprozedur zur Anwendung. Gleich, ob die betroffene Person an einer Demo teilgenommen, eine nicht autorisierte Umfrage durchgeführt oder sich an einen Baum gekettet hat, jedeR wird an den spanischen Sondergerichtshof der Audiencia Nacional nach Madrid geschafft. Allein 2009 waren es 200 Personen.

Auch nachdem die ETA im Dezember 2008 Inazio Urio, den Gründer und Mitbesitzer von Altuna y Uria, einer der wichtigsten am Bau des Schienennetzes beteiligten Firmen, erschoss, und aus Madrid Stimmen zum Verbot von AHT Gelditu! Elkarlana laut wurden, wurde dieses nicht durchgesetzt. Dafür wurde die Bewegung am 17. Januar 2009 bei einer nationalen Demonstration bei der grössten Baustelle des Streckennetzes in Urbina-Gasteiz abgestraft. Die Demonstration wurde mitten im offenen Gelände von der baskischen und spanischen Polizei brutal angegriffen, die TeilnehmerInnen wurden teilweise stundenlang mit Helikoptern gejagt und mit Gummigeschossen beschossen. Es kam zu über hundert Verletzten. Die Ermordung von Inazio Urio hat in der Bewegung gegen den Hochgeschwindigkeitszug viele Diskussionen ausgelöst, aber zu keiner Spaltung geführt. Die ETA hat seither keine Aktionen in diesem Zusammenhang mehr unternommen. Trotz der massiven Repression lässt sich die Bewegung gegen den Hochgeschwindigkeitszug nicht einschüchtern. Die nächste nationale Grossdemonstration ist für den Jahrestag der Repressionsorgie, dem 17. Januar 2010, geplant, diesmal an der französisch-spanischen Grenze in Hendaia-Irun.


Null Demokratie und totale Intransparenz

Im Baskenland wurden Planung und Bau des Hochgeschwindigkeitsprojekts ohne informative Transparenz oder demokratische Mitbestimmungsmöglichkeiten von der spanischen Regierung durchgesetzt und den bürgerlichen Regierungsmehrheiten in den baskischen autonomen Provinzen und in Nafarroa abgenickt. Die christdemokratische baskische Nationalpartei (PNV) hatte keinerlei Einwände gegen die spanischen Pläne, vertritt sie doch die Interessen der baskischen Industrie. So ist Josu Jon Imaz, bis 2007 Vorsitzender der PNV, seit 2008 Präsident von Petronor, dem grössten nordspanischen Petrochemieunternehmen. 86 Prozent des Aktienkapitals von Petronor gehören Repsol YPF, dem weltweit drittgrössten Unternehmen im Flüssigerdgasgeschäft und Mitglied des Round Table of Industrialists. Repsol YPF produziert mit Erdgas die Elektrizität für das zukünftige Hochgeschwindigkeitsnetz in Spanien. Damit lässt sich viel Geld verdienen. Der Stromverbrauch von Hochgeschwindigkeitszügen ist enorm, da der Energieverbrauch aufgrund des Luftwiderstandes ab 300 km/h exponentiell ansteigt.

Von der baskischen Linken musste in den Parlamenten mit keinem Widerstand gerechnet werden, ist sie doch seit dem 2002 geschaffenen Parteiengesetz illegalisiert und damit praktisch ausgeschaltet. Es interessiert die spanische Regierung nicht, dass sich sämtliche baskischen Gewerkschaften, welche zusammen die Mehrheit der ArbeiterInnen im Baskenland vertreten, gegen den Bau ausgesprochen haben. Auch dass in allen Gemeinden, in denen eine Volksbefragung durchgeführt werden konnte, über 80 Prozent der Bevölkerung den Hochgeschwindigkeitszug ablehnen, hat keine Auswirkungen, ebenso wenig die über 2000 rechtlichen Einsprachen (siehe unten "Referendum auf Spanisch").

Die regierenden SozialdemokratInnen haben sich für eine Machtpolitik der faits acomplis entschieden und lassen die einzelnen Baustellen wie Hochsicherheitsgefängnisse bewachen. Statt sachlicher Information und Transparenz wird Propaganda betrieben, denn die Feinplanung des Ausbaus ist vielerorts nicht existent. Obwohl das Schienennetz offiziell schon dieses Jahr in Betrieb genommen werden soll, kann mit der Eröffnung des ersten Streckenabschnitts erst 2015 gerechnet werden. Standorte und Zufahrten der vier Bahnhöfe sind noch immer unklar. Auch die Finanzierung steht auf wackligen Beinen. Im Oktober 2009 verkündete die Regierung der baskischen Provinz Gipuzkoa überraschend, dass sie die für 2010 vorgesehenen 517 Millionen Euro nicht zur Verfügung stellen werde, und im November 2009 scheiterte ein weiterer Versuch der Regierung von Nafarroa, von der spanischen Regierung eine Lohngarantie von zwei Jahren für die bereits unter Vertrag genommenen BauarbeiterInnen zu erhalten.


Propaganda und Scheinargumente

Dass es sich bei der Informationskampagne der spanischen Regierung vor allem um Propaganda handelt, zeigt sich gut in der Argumentation, mit dem Hochgeschwindigkeitsnetz liesse sich der motorisierte Personenverkehr reduzieren. Während die Agglomerationen der baskischen Städte in den letzten 30 Jahren ständig gewachsen sind, steckt der Ausbau des öffentlichen Verkehrs noch in den Kinderschuhen (siehe unten "Die Qual der Wahl"). 60 Prozent des motorisierten Verkehrs fallen auf den PendlerInnenverkehr und gemäss einer Studie des Transportdepartements der baskischen Autonomieregierung vom Dezember 2007 liessen sich davon nur gerade 0,15 Prozent auf das neue Hochgeschwindigkeitsnetz verlagern. Der Ausbau des Netzes wird die baskischen autonomen Provinzen aber mindestens 9 Milliarden Euro öffentlicher Gelder kosten, die in anderen Bereichen, beispielsweise beim Ausbau des Regionalnetzes, wieder eingespart werden müssen.

Auch die Erfahrungen bereits gebauter Strecken in anderen Teilen Spaniens weisen in diese Richtung. Nach der Eröffnung der Linien zwischen Madrid und Barcelona und zwischen Madrid und Sevilla wurden vielerorts die Regionalverbindungen abgeschafft und die PendlerInnen mussten aufs Auto umsteigen. Auch vervielfachten sich die Fahrtkosten. Musste für die Strecke zwischen Madrid und Barcelona vorher 40 Euro bezahlt werden, kostet sie neu mit dem Hochgeschwindigkeitszug 105 Euro.

Ein weiteres Scheinargument ist die Behauptung, der Ausbau des Hochgeschwindigkeitsnetzes fördere die Verlagerung des Gütertransportes auf die Schiene. Gerade Hochgeschwindigkeitsstrecken eignen sich nicht für den Gütertransport, würden die Personenzüge ja von den Güterzügen ausgebremst. Von allen europäischen Ländern mit Hochgeschwindigkeitsnetz verfügt nur gerade Deutschland über einige gemischt genutzte Linien mit nächtlichem Gütertransport. In Belgien, Frankreich, Italien und Grossbritannien hingegen dient das Netz allein dem Personenverkehr, obwohl es auch dort vor dem Bau mit dem Güterverkehrsargument angepriesen wurde. Laut der Studie des Transportdepartements der baskischen Autonomieregierung liegt der Schienengüterverkehr im Baskenland aktuell bei jährlich 5 Millionen Tonnen, der Lastwagengüterverkehr bei 100 Millionen Tonnen. Mit einer geschätzten Steigerung des Gütertransportes von 400 Prozent in den nächsten 10 bis 15 Jahren und ohne geplante gesetzliche Richtlinien oder Druckmittel für den Umstieg auf die Schiene wird das Hochgeschwindigkeitsnetz daran nichts ändern. Ebenso wenig weist der Bau neuer Autobahnabschnitte mit direktem Anschluss an den geplanten Industriehafen bei Donostia darauf hin, dass ernsthaft über eine Verlegung des Güterverkehrs auf die Schiene nachgedacht wird.

Auch die Behauptung der spanischen Regierung, mit der Investition in den Hochgeschwindigkeitszug könnten die Auswirkungen der Wirtschaftskrise abgeschwächt und neue Arbeitsplätze geschaffen werden, bewahrheitet sich keinesfalls. Spaniens Wirtschaft erholt sich im Gegensatz zu den meisten anderen europäischen Ländern bisher nicht. Zwar haben die am Bau beteiligten Unternehmen 2000 den Gesamtarbeitsvertrag mit den Gewerkschaften pro Forma unterschrieben, doch umgehen sie mit Unterverträgen die Vereinbarungen. Auf den Baustellen des Hochgeschwindigkeitszugs sind vor allem ArbeiterInnen aus Osteuropa und Portugal anzutreffen, die zu prekärsten Bedingungen arbeiten. Allein 2009 kam es zu über hundert Arbeitsunfällen mit zwei Toten auf den Baustellen der baskischen Streckenabschnitte.


Sozialer Zug als Alternative

Der Widerstand gegen ehrgeizige anti-ökologische und anti-soziale Grossprojekte hat im Baskenland Tradition. In den 1980er Jahren wurde der Bau des AKW Lemoiz verhindert und in den 1990er Jahren konnte eine alternative Strecke zum geplanten Autobahnausbau mitten durch ein Naturschutzgebiet zwischen Donostia und Irunea durchgesetzt werden. Erfolgsrezept dieser Kämpfe war die Verbindung verschiedener Inhalte und Protestformen in breiten Bündnissen aus Gewerkschaften, politischen Gruppierungen, ökologischen Initiativen und Teilen der baskischen Befreiungsbewegung. Die Aktivitäten reduzierten sich dabei nicht allein auf Widerstandshandlungen, gleichzeitig erarbeiteten die Bündnisse auch Gegenvorschläge auf hohem professionellen Niveau, welche ihren Argumenten weiteres politisches Gewicht verliehen. Auch AHT gelditu! Elkarlana schlägt als Alternative ein soziales Zugprojekt vor. Es soll den realen Bedürfnissen der Bevölkerung entsprechen, bezahlbar sein und Voraussetzungen für die Verlagerung des Gütertransportes auf die Schiene bieten. Beim Bau sollen den ArbeiterInnen geregelte Arbeitsbedingungen garantiert sein und die Umwelt so wenig wie möglich beeinträchtigt werden. Nach der Fertigstellung darf der Zug nicht privatisiert werden.

Die Bewegung gegen den Hochgeschwindigkeitszug im Baskenland hat noch lange nicht das Ausmass der Kämpfe gegen das AKW Lemoiz oder gegen die Autobahn zwischen Donostia und Irunea erreicht, doch ist ihre Bedeutung nicht zu unterschätzen. In der stark polarisierten politischen Landschaft des Baskenlandes birgt sie grosse Chancen von gemeinsamen Erfahrungen und neuen Bündnissen über alte Grabenkämpfe hinweg. Sie könnte damit auch zum Motor und Vorbild für neue Entwicklungen im baskischen Konflikt werden. Mitte November 2009 veröffentlichte die illegalisierte baskische Linke ein Grundsatzpapier, in der sie sich für eine friedliche und demokratische Bündnispolitik zur Erreichung eines anderen sozioökonomischen Gesellschaftsmodells und einer baskischen Unabhängigkeit ausgesprochen hat. Dem geplanten Hochgeschwindigkeitszug wird in diesem Papier eine grosse Bedeutung zugemessen. An ihm liesse sich in deutlichster Weise das wirtschaftliche und soziale Gesellschaftsmodell aufzeigen, das die spanische Regierung und die baskischen bürgerlichen Parteien um jeden Preis durchzusetzen versuchen, und entsprechend die Notwendigkeit eines starken gemeinsamen Widerstandes, der ideologische Grenzen zu überwinden vermag.

Die spanische Regierung hatte die Initiative der baskischen Linken mit einer Massenverhaftung von PolitikerInnen Mitte Oktober 2009 zu verhindern versucht, doch die gemeinsame Antwort sämtlicher baskischer Gewerkschaften und Parteien in einer Demonstration mit über 40.000 TeilnehmerInnen zeigte deutlich, dass die Tage einer spanischen Machtpolitik, die jegliche Opposition unter dem Vorwand des Terrorismus zum Schweigen bringen kann, möglicherweise gezählt sind.


Neue Entwicklung im französischen Baskenland

Die Besessenheit, mit welcher die spanische Regierung das Hochgeschwindigkeitsnetz durchzusetzen versucht, lässt sich inzwischen auch daran messen, wie sich der Kampf gegen den Streckenausbau im französischen Baskenland entwickelt. Die Intransparenz von Planung und Finanzierung des Projektes ist dort ebenfalls enorm. Ende 2008 zog der bürgerliche UMP-Bürgermeister von Baiona daher den bereits besprochenen Beitrag von 40 Millionen Euro für die zwischen Bordeaux und Hendaia geplante Strecke zurück und gab eine eigene unabhängige Studie in Auftrag, weil noch immer nicht klar war, wo der Zug durchfahren und ob er in Baiona überhaupt halten wird. Drei weitere Gemeindeverbünde des französischen Baskenlandes gaben 2009 beim Schweizer Ingenieurbüro CITEC zusätzlich eine alternative Studie über den Nutzen der neuen Linie in Auftrag. CITEC hat in der Schweiz in den letzten drei Jahren mehrere Preise für die Planung urbaner und verkehrstechnischer Infrastrukturen, wie beispielsweise der Metro von Lausanne, gewonnen.

In ihrer Studie zum Hochgeschwindigkeitszug kam CITEC zum Schluss, dass der Bau der neuen Linie im französischen Baskenland bis 2050 vollkommen unnötig sei, da die bereits bestehenden Linien nur zu 25 Prozent ausgelastet seien. Nach Veröffentlichung dieser Ergebnisse demonstrierten in Baiona am 17. Oktober 2009 12.000 Personen gegen den Hochgeschwindigkeitszug. Einen Monat später erklärte sich das französische Energieministerium bereit, die Ergebnisse der Studie zu prüfen und den Bau des neuen Streckenabschnitts zu überdenken. Falls Frankreich sich gegen den Bau des neuen Streckenabschnitts entscheidet, wird auch die EU die entsprechenden Subventionen streichen. Ohne Anschluss an der französischen Grenze fällt einer der wichtigsten Gründe für den Ausbau des baskischen Schienennetzes. Das letzte Wort im Kampf gegen den Hochgeschwindigkeitszug ist somit längst nicht gesprochen.


REFERENDUM AUF SPANISCH

In der Schweiz wurde Mitte der 1980er Jahre der Bau von Hochgeschwindigkeitsstrecken zugunsten des "Bahn 2000"-Konzepts aufgegeben. Statt möglichst schneller Verbindungen zwischen grossen Städten wurde die Idee einer höheren Geschwindigkeit im Gesamtnetz mit dem entsprechenden Ausbau regionaler Linien und der Einführung des Taktfahrplans entwickelt. Dieses Umdenken erfolgte unter anderem infolge der Androhung eines Referendums aus dem Kanton Solothurn. Den BaskInnen steht die Möglichkeit eines Referendums gegen den Hochgeschwindigkeitszug hingegen nicht offen. Nach spanischer Verfassung darf nur der Zentralstaat Referenden abhalten, die vom König unterzeichnet werden. Möglich sind lediglich private Umfragen mit symbolischem Charakter auf lokaler Ebene, welche von den entsprechenden Rathausverwaltungen genehmigt werden müssen.




DIE QUAL DER WAHL

Idoia lebt in Hendaia nahe der Grenze im französischen Baskenland und arbeitet in Donostia auf der spanischen Seite. Obwohl nur 18 Kilometer von ihrem Arbeitsort entfernt, dauert ihr Arbeitsweg mit öffentlichen Verkehrsmitteln täglich 3 Stunden. Der Bus fährt nur bis zur Grenze und benötigt dafür eine Stunde, der baskische Regionalzug Euskotren braucht zwar nur 40 Minuten, fährt aber nicht durch das Quartier, in dem Idoia arbeitet, der Nahverkehrszug der spanischen Zuggesellschaft RENFE schafft die Strecke in 30 Minuten, fährt aber täglich nur sechs Mal. Deshalb nimmt Idoia das Auto und spart damit die Hälfte der Zeit, obwohl sie täglich 20 Minuten im Stau steht.


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 01/02 - 66. Jahrgang - 8. Jan. 2010, S. 4-5
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Februar 2010