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VORWÄRTS/642: Medienmonopoly


vorwärts - die sozialistische zeitung, 1.-Mai-Ausgabe vom 29.04.2010

Medienmonopoly

Von Marco Geissbühler


Eine Konstante zieht sich seit Jahrzehnten durch die Schweizer Medienlandschaft: Die stetige Konzentration von immer mehr Medienmacht in den Händen einiger weniger Grosskonzerne. Dies gefährdet nicht nur die Qualität journalistischer Berichterstattung, sondern erschwert auch demokratische Mitbestimmung und soziale Gerechtigkeit.

Aller Scheinvielfalt durch eine schier unübersichtliche Flut von Gratiszeitungen, Tagi-Regionalzeitungen und Werbeblättli zum Trotz: Die Schweizer Medienlandschaft serviert zusehends nur noch Einheitsbrei - nicht nur inhaltlich, sondern auch strukturell. Während 1939 schweizweit über 400 Zeitungstitel existierten, bestanden 2006 bloss noch 206. Verschärfend kommt hinzu, dass immer mehr Zeitungstitel auf immer weniger Medienhäuser konzentriert sind. 1999 kamen durchschnittlich 2.3 Titel auf eine publizistische Einheit, 1980 waren es noch 1.2 Titel. Unter dem Begriff "publizistische Einheit" fasst man Zeitungen zusammen, die über einen gemeinsamen Mantel verfügen.

Heute ist es so, dass einige wenige Grosskonzerne den Löwenanteil des Marktes unter sich aufteilen. Von den zehn auflagestärksten Zeitungen gehörten vier zur Tamedia-Gruppe, zwei zu Ringier und zwei zur "Freie Presse Holding AG", dem Mutterhaus der NZZ. Der viel gerühmte Wettbewerb spielt indessen kaum in der Presselandschaft. Stattdessen gibt es Gebietsabsprachen und Deals zwischen den grossen Medienhäusern. Diese führen dazu, dass in vielen Regionen der Schweiz eine einzelne Zeitung aus einem der Grosskonzerne eine eigentliche Monopolstellung innehat.


Langzeitstrategie des Tagi

Das jüngste Beispiel hierfür findet man in der Region Zürich/Thurgau/St. Gallen: Am 16. April gaben Tamedia und die NZZ-Gruppe ihren Deal bekannt. Die "Thurgauer Zeitung", die zuvor zu 100 Prozent der Tamedia gehörte, geht neu an die "Freie Presse Holding". Sie soll nun mit der Thurgauer Ausgabe des "St. Galler Tagblattes" verbunden werden, welche bereits im Besitz der "Freie Presse Holding" ist. Damit erhält die NZZ-Gruppe eine eigentliche Monopolstellung im Thurgau. Im Gegenzug dazu verkaufte sie der Tamedia ihre Anteile an den Zürcher Landzeitungen ("Zürcher Unterländer", "Zürichsee-Zeitung", "Zürcher Oberländer"). Gleichzeitig verkaufte Theodor Gut, der Herausgeber der "Zürichsee-Zeitung" seine Anteile ebenfalls der Tamedia. Somit gehören ihr neu 100 Prozent der "Zürichsee-Zeitung", 100 Prozent des "Zürcher Unterländers" und 38 Prozent des "Zürcher Oberländers". Ausserdem erhält sie so die Kontrolle über den gemeinsamen Mantel der Zürcher Landzeitungen.

Damit ist insbesondere die Strategie des Tagesanzeigers in der Region Zürich vollumfänglich aufgegangen. 2007 unternahm die Tamedia unter dem Motto "Regionalisierung" einen Grossangriff auf die Zürcher Landzeitungen. In allen Regionen des Kantons wurden eigene Redaktionen aufgebaut, welche eigene Regionalausgaben als Beilage für den Tagesanzeiger produzierten. Damit wurde der für kommerzielle Zeitungen entscheidende Inseratemarkt aufgesplittert: Für die Landzeitungen brachen bedeutende Einnahmequellen weg. Die Tagi-Regionalblätter hingegen konnten dank dem finanzstarken Mutterhaus über Jahre hinweg defizitär funktionieren. Der Verdrängungswettbewerb spielte zu Gunsten der Tamedia.

Was wir nun am 16. April erlebten, war der zweite Schritt: Die Konkurrenz wirft das Handtuch. Die Tamedia-Gruppe übernimmt die Landzeitungen. Der dritte Schritt folgt so sicher, wie das Amen in der Kirche: Irgendwann im Verlauf der nächsten zwei Jahre wird Martin Kall, seines Zeichens CEO des Grosskonzerns, an die Öffentlichkeit treten. Er wird eine Medienkonferenz abhalten und irgendwas zusammenschwadronieren, dass die Zeiten hart seien für die Printmedien, und dass man deshalb Synergien nutzen müsse. Dann wird er wohl die Zusammenlegung aller Zürcher Landzeitungen bekannt geben. Und die Tamedia besitzt ein Monopol in den ländlichen Gebieten des Kantons Zürich. (Bereits heute spricht Kall übrigens öffentlich nicht mehr von den Zürcher Landzeitungen, sondern nur noch von der Zürcher Landzeitung...) Das Problem solcher Medienkonzentration ist nicht nur, dass sie zum Qualitätsabbau in der Schweizer Medienlandschaft beiträgt. Vielmehr führt sie auch zu einer enormen Machtkonzentration bei einigen wenigen Medienmultis. Medienmultis, die dadurch über die Themensetzung in der öffentlichen Debatte entscheiden. Medienmultis, die mehr noch als andere kommerzielle Unternehmen nach einer reinen Profitlogik funktionieren.

Interessant sind nur News, die zur Maximierung der Inserateeinnahmen beitragen. Selbst die LeserInnen-Zahlen stellen nur ein Mittel zu diesem Zweck dar. Deshalb wird die ganze redaktionelle Tätigkeit darauf ausgerichtet. Darum lesen wir mitten in der Wirtschaftskrise nicht von all den Massenentlassungen und Betriebsschliessungen, nicht von Kurzarbeit und Lohnkürzungen - sondern von der Libyenaffäre und von "Schniedel"-Woods. (Damit soll das Leiden von Max Göldi in einem libyschen Knast keineswegs verharmlost werden. Es soll nur in Relation zu all dem anderen Leiden gestellt werden, dass alltäglich von den Medien totgeschwiegen wird.)


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
1.-Mai-Ausgabe - 66. Jahrgang - 29. April 2010, S. 11
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
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vorwärts erscheint 14-täglich,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Mai 2010