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VORWÄRTS/664: Perspektive für eine Einstaatenlösung?


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 24/25/2010 vom 25. Juni 2010

Perspektive für eine Einstaatenlösung?


luk. Vom 28. bis zum 30. Mai fand in Haifa die Zweite Konferenz für eine Einstaatenlösung statt - eine sozialistische, wie es unter der Hand ersichtlich ist. Für was steht die Konferenz? Und wie wird die Notwendigkeit einer Einstaatenlösung hergeleitet? Der erste von zwei Teilen.


"Für das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge und für einen demokratischen, säkularen Staat im historischen Palästina." So lautete der Titel der Zweiten Haifa-Konferenz. ((Ein Staat" meint: Im Palästina in den Grenzen von 1948, also im Westjordanland, im Gazastreifen und in Israel einen einzigen Staat zu errichten. "Säkular" meint, dass sich der Staat weder über eine Religion, noch über eine Ethnie definiert. "Demokratisch" meint einerseits, dass die Menschen unabhängig ihrer Ethnie gleiche Rechte haben sollen, andererseits, dass die politische und wirtschaftliche Macht tatsächlich dem Volk, und nicht einer kleinen herrschenden Klasse, gehört.

Dass die Konferenz gerade in Haifa stattgefunden hat, ist kein Zufall: Im Jahr 1948, nach der Proklamation des Staates Israel, fand eine massenhafte Vertreibung der arabischen, zum Teil auch der sephardisch-jüdischen Bevölkerung aus dem Zentrum Haifas statt. Um eine Rückkehr der Vertriebenen zu verhindern, wurden die Häuser unbewohnbar gemacht; dabei wurde auch eine Synagoge zerstört. Das Bild zerstörter und unbewohnter Häuser prägt noch heute das Bild des historischen Zentrums Haifas.

Auch ist Haifa der Ort, an dem, im Juli 1959, eingewanderte sephardische (östliche) Jüdinnen und Juden im so genannten Wadi-Salib-Aufstand gegen ihre Diskriminierung durch den israelischen Staat und die zionistisch-korporatistische Politik von Regierung und Gewerkschaft revoltierten. Von hier aus weitete sich der - teils bewaffnete Aufstand auf andere Städte Israels aus. Als Folge davon wurde in den 60er-Jahren auch die sephardisch-jüdische Bevölkerung aus Haifa vertrieben und in andere Städte Israels umgesiedelt. An den so genannten Haifa-Prozessen wurden 1978 mehrere Mitglieder der so genannten "Gemeinsamen Aktion von Juden und Arabern" (GOJA) zu teils über zehnjährigen Haftstrafen verurteilt. Nur für den Versuch, Widerstand gegen Kapitalismus und Imperialismus aufzubauen, und für den Kontakt mit kommunistischen Gruppen in den 1967 von Israel besetzten Gebieten Palästinas.


Breite Beteiligung

An der Konferenz nahmen gut 400 Menschen teil; fast 100 davon internationale Gäste aus allen fünf Kontinenten. Vertreten waren Menschenrechtsorganisationen, politische - häufig sozialistische oder kommunistische - Parteien, sowie AktivistInnen aus verschiedenen Kämpfen wie dem Frauenkampf oder dem Kampf zur Befreiung der politischen Gefangenen. Aus der Schweiz waren Delegationen der Partei der Arbeit, des Revolutionären Aufbaus, des Internationalen Jüdischen Antizionistischen Netzwerks in Genf sowie Einzelpersonen anwesend. Es wurde jedoch festgehalten, dass zahlreiche Menschen von der Konferenz zwangsweise ausgeschlossen sind: Die zahlreichen PalästinenserInnen in den Flüchtlingslagern in arabischen Ländern sowie im Gazastreifen und Westjordanland.

Zahlreiche Veranstaltungen wurden durchgeführt, welche jeweils simultan auf englisch, hebräisch und arabisch übersetzt wurden. Neben zahlreichen arabisch-palästinensischen AktivistInnen, darunter auch Abla Rimawi Sa'adat, die Frau des inhaftierten Generalsekretärs der Volksfront für eine Befreiung Palästinas Ahmad Sa'adat, oder einer der Initiatoren der Boykott-Kampagne, Omar Barghouti, sprachen auch der renommierte jüdische Historiker Ilan Pappé sowie der Kommunist Michael Warschawski.


Solidarität statt Spaltung

In der Analyse eines Genossen einer kleineren kommunistischen Organisation in Palästina! Israel - der Progressiven Partei der Arbeit - wurde auf den imperialistischen und rassistischen Charakter des zionistischen, kapitalistischen Israels hingewiesen. Es wurde festgehalten, dass es die arabischen und jüdischen EinwohnerInnen Palästinas spaltet und eine strukturelle Diskriminierung und Unterdrückung der arabischen. Bevölkerung in den besetzten Gebieten wie auch im Land selbst praktiziert; keinesfalls vertrete Israel aber die jüdischen ArbeiterInnen, die zum Teil als Schwarze oder Sephardim selbst starke Diskriminierung erleiden müssen, sondern nur die der Kapitalisten in Israel, in Westeuropa und in den USA. Die ArbeiterInnen - egal welcher Ethnie - werden unterdrückt und ausgebeutet (Israel Ist hinter den USA das Land mit der grössten ökonomischen Ungleichheit). Es gilt zu verhindern, dass jüdische ArbeiterInnen in einer Art "Korporatismus" scheinbare gemeinsame Interessen mit dem Bürgertum stärker gewichten als die scheinbaren - weil durch die zionistische Politik selbst ausgelöste - Widersprüche mit den arabischen ArbeiterInnen. Insbesondere für diesen Korporatismus stehe der Zionismus. Hier gelte es, die Klassensolidarität aufzubauen und den Nationalismus zu durchbrechen; etwas, das im Übrigen für den den Islamismus genauso gilt wie für den Zionismus.

In diesem Sinne sei es im Interesse sowohl der arabischen, als auch der jüdischen Bevölkerung, den Zionismus in seiner praktizierten Form zu überwinden. Die Lösung könne also keineswegs in zwei Staaten liegen, die sich beide ethnisch oder religiös definieren und in denen wohl weiterhin die Reaktionäre an der Macht bleiben werden, sondern in einem demokratischen säkularen Staat, der die Interessen seiner gesamten Bevölkerung vertritt.

Ob nun die Klassenfrage oder die nationale Frage um Palästina der Hauptwiderspruch im gegenwärtigen Kampf in Israel/Palästina darstellt und wie eine Einstaatenlösung überhaupt funktionieren soll, wird im nächsten Teil anhand verschiedener an der Konferenz vertretener Positionen erörtert.


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 24/25/2010 - 66. Jahrgang - 25. Juni 2010, S. 7
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Juli 2010