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VORWÄRTS/696: "Kriegserklärung an Niedrigverdiener"


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 45/46/2010 vom 3. Dezember 2010

"Kriegserklärung an Niedrigverdiener"


tpd. Irland ist nach Griechenland der zweite Staat, der die schwer überschuldete EU und den IWF um "Hilfe" bittet. In Wirklichkeit geht es um die Stabilisierung des Systems: Gegen die Sparpläne der Regierung demonstrierten hunderttausend Menschen in Dublin. Die grösste Einzelgewerkschaft spricht von einer "Kriegserklärung an Niedrigverdiener.


Die Milliarden-"Hilfen" der EU an Irland sind an Bedingungen geknüpft: nehmt es von den Lohnabhängigen! Der noch amtierende Ministerpräsident Cowen kündigte an, die Staatsausgaben in den kommenden Jahren um zehn Milliarden Euro zu drücken und die Einnahmen durch Steuererhöhungen um fünf Milliarden zu steigern. Der Mechanismus ist bekannt: Gegeben wird Geld, um Banken zu retten, und genommen wird es von denen, die für die Krise weder etwas können noch selbige verursacht haben. 100.000 Menschen gingen deshalb in Dublin auf die Strasse, um gegen diese Politik zu demonstrieren. Was sich in Irland vollzieht ist Klassenkampf. "Der Lebensstandard der gesamten Bevölkerung wird sinken", erklärt die Regierung und das stimmt nicht. "Denn die Banken und die Reichen werden von dem Sparprogramm weitestgehend verschont", so der irische Gewerkschaftsbund. Sparen wird als Sachzwang verkauft. Doch kürzt man Soziales, ist ein Arbeitsloser eher bereit, eine schlechter bezahlte Arbeit anzunehmen. Dies stärkt den Niedriglohnsektor. Sparen führt so gesehen zu noch mehr Ausbeutung. Wenn zudem die Reichen vom Sparen weitestgehend verschont bleiben, kommt es zur Elitenbildung einer vergleichsweisen kleinen Bevölkerungsschicht. Was den Lohnabhängigen als alternativlos verkauft wird, dient der Stabilisierung des Systems. Sozialraub ist nichts Neues. Als Grund hierfür diente schon vor Jahren die von den Herrschenden stets angemahnte Haushaltskonsolidierung: "Wir können uns das nicht mehr leisten".

Erinnert sei nur an Deutschland mit seiner Einführung der Hartz IV-Gesetze. Jetzt tritt als Grund der drohende Staatsbankrott hinzu. Vor kurzem stand Griechenland vor der Pleite. Die Folge dort ist ein eisernes Sparprogramm. Nun ist Irland an der Reihe. Hier wird gespart, weil Spekulationsgeschäfte an den Börsen Banken an den Rand des Ruins führten. Steigt aufgrund dessen der Kapitalbedarf betroffener Banken so weit, dass dieser aus öffentlichen Mitteln nicht mehr finanzierbar ist, droht der Staatsbankrott. Das neoliberale System ist insoweit an seine Grenzen gestossen, als dass öffentliche Haushalte nicht unbegrenzt belastet werden können. Auf wachsende Staatsschulden, auch, weil Unternehmen und Reiche nicht stärker besteuert werden, müssen immer mehr Zinsen gezahlt werden, was den Handlungsspielraum der öffentlichen Hand immer weiter einschränkt. Zudem scheuen Anleger eine zu hohe Verschuldung. Das schafft "kein Vertrauen in die Märkte", so die Logik der Ausbeuter. Die Dominanz der sozialfeindlichen Finanzmärkte indes bleibt für die Herrschenden oberstes Diktat. Vom Staatsbankrott betroffen könnte bald auch Portugal sein. Und Spanien leidet wie Irland unter einer Immobilienblase. Die ersten Stimmen nennen sogar Italien als nächsten Staat, der pleitegehen könnte. An den Finanzmärkten spielt Psychologie eine gewichtige Rolle. Wer traut wem was zu im Casino-Kapitalismus?


Immobilienblase

Die aktuelle Zuspitzung der Krise nahm in den USA ihren Anfang. Die ehemalige "Konjunkturlokomotive der Weltwirtschaft" litt unter einer Immobilienblase und scheint diese weitergegeben zu haben: zumindest an Irland und Spanien. China übrigens leidet ebenfalls unter einer. In den USA hatten die Kaufkraftschwächung, die Überschuldung der Lohnabhängigen und die steigende Arbeitslosigkeit dazu geführt, dass unzählige international gehandelte, verbriefte Hypothekenforderungen nichts mehr wert waren, weil die der Hypothek zugrunde liegende Forderung nicht mehr durchsetzbar war. Die Häuslebauer konnten die Hypothekenforderungen nicht mehr bedienen. Sie gingen pleite, verloren ihre Jobs, mussten verkaufen. Oder es folgte die Zwangsvollstreckung. Der Leerstand zog an, das Angebot an Immobilien stieg steil, die Immobilienpreise sackten in den Keller. Die Banken erwirtschafteten Rekorddefizite. Wie schon erwähnt, zeichnet sich eine ähnliche Entwicklung jetzt auch in Irland und Spanien ab. Zurück zur US-Immobilienkrise und der damaligen Psychologie: beim fleissigen gegenseitigen Geld ausleihen fing eine Bank an, der anderen nicht mehr zu trauen: "Wie viele Schrottpapiere hast du in deinen Bilanzen?" Der Kapitalfluss kam ins Stocken. Und das ist reinstes Gift für den Kapitalismus. "Zum Glück" gab es die Steuerzahler. Denn die, "vertreten" durch die US-Regierung, retteten letzten Endes die Banken und damit die Ausbeuterwirtschaft. Viele Steuerzahler indes wurden selbst nicht gerettet: die Zahl der Obdachlosen schnellte in die Höhe. Seit dieser Zeit kommt die Finanzwelt nicht mehr zur Ruhe. Grossbritannien exerzierte schon einmal vor, was auf andere Nationen zukommen wird: die konservative Tory-Regierung zwang mit ihrem "Sparprogramm des Jahrhunderts" der Bevölkerung einen beispiellosen Sozialkahlschlag auf. Die Herrschenden bestehen auf ihr System und je weiter dieses in die Krise rutscht, desto schlimmer wird es für die Lohnabhängigen. Sollten Spanien und Italien pleitegehen, wird dies das Aus des Euro bedeuten.

Diskutiert wird die Teilung der Währung in einen stärkeren Euro-Nord und einen schwächeren Euro-Süd. Im Eurokontext handeln dann reichere Staaten mit ärmeren. Die deutsche Regierung regt die Einführung von "Krisenbewältigungsmechanismen" an. Private Gläubiger, also Banken und Finanzkonzerne mögen sich an der Rettung künftiger Pleitetaaten beteiligen. Argument: der Steuerzahler könne das nicht mehr bezahlen. Das klingt gut. Doch es versteckt das eigentliche Argument: die öffentlichen Haushalte sind an ihrer Belastungsgrenze angelangt. Zudem ist ein stabiles Wachstum der Weltwirtschaft nicht mehr zu erwarten.


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 45/46/2010 - 66. Jahrgang - 3. Dezember 2010, S. 5
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Dezember 2010