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VORWÄRTS/785: Ein kritischer Blick?


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.01/02 vom 13. Januar 2012

Ein kritischer Blick?

Von Siro Torresan


Seit Jahren verstehen wir uns beim vorwärts als Teil des Widerstands gegen das jährliche Treffen der Mächtigen dieser Welt in Davos. Im Rahmen unserer Möglichkeiten haben wir immer versucht, unseren bescheidenen Beitrag zu leisten. Daher ist der bitter nötige, kritische Blick auf den Widerstand gegen das WEF gleichzeitig eine Selbstkritik und keine Polemik.


Gerne hätten wir an dieser Stelle über das "Neue" beim Protest gegen das WEF geschrieben, über das "Occupy WEF". Doch leider sind die verfügbaren Informationen dazu äusserst spärlich. Auf der Homepage ist ein schönes Bild eines Iglus zu sehen mit den Worten "Welcome to Camp Igloo". Dann der Hinweis, dass "sich jedes Jahr die selbst ernannten Global Leaders am World Economic Forum (WEF)" treffen, aber "dieses Jahr nicht ohne uns, die 99%". Wunderbar, aber die Gründe der Mobilisierung? "Wir wehren uns gegen die Macht der Konzerne und korrupten Eliten. Wir zählen auf eure kreative Unterstützung! Beteiligt euch an den gewaltfreien Protesten gegen das WEF". Und weiter: "Macht den 21. Januar 2012 zu einem internationalen Protesttag gegen die 1%, welche uns die Regeln einer unfairen Weltwirtschaft vorschreiben und unsere Zukunft stehlen". Weitere Infos gibt es auf "Facebook" oder "Twitter". Klickt man da auf einen Link, gelangt man auf eine sauber aufgelistete Tabelle darüber wer für was im Iglu-Dorf zuständig ist. Mit Erlaubnis: Etwas wenig Inhalt um die 99 Prozent zu mobilisieren.


Die Gewerkschaften

Jahre ist es her, als auch die Gewerkschaften ihre Mitglieder an die Demo nach Davos mobilisierten und Mitglieder der Geschäftsleitungen von verschiedenen Gewerkschaften stolz mit den wehenden Fahnen ihrer Organisation an der Spitze des Protests marschierten. Ja, das gab es mal! Gut, man kann, wenn man mit den Gewerkschaften ganz nett sein will, ihnen zugestehen, dass der Widerstand gegen das WEF sich nicht im Kernbereich ihrer Tätigkeiten befindet. Ist man weniger nett zu ihnen, muss man sie schreiend daran erinnern, dass sich in Davos jene zum Kaviar und Champagner treffen, die so ganz nebenbei die Massnahmen beschliessen, welche die Mitglieder der Gewerkschaften, also die Arbeiterinnen und Arbeiter, zu Brot und Wasser verdammen! Ja, selbst in der Schweiz, oder liegt Basel mit der Novartis neu im fernen Ausland? Novartis schreibt Milliardengewinne und setzt dafür Tausende auf die Strasse - vergessen?


Die Parteien

Dann gab es auch Zeiten, in denen Parteien wie die Grünen und die PdA dazu aufriefen, sich dem Widerstand anzuschliessen. Und wenn die verrauchten, grauen Zellen nicht ganz versagen, hat selbst die SP mal dazu aufgerufen. Heute herrscht Totenstille diesbezüglich. Selbst die PdA, die im ausserparlamentarischen Widerstand eine Notwendigkeit sieht, versäumte es, zum Widerstand aufzurufen. Gibt es für die Parteien keinen Grund mehr, um gegen das WEF zu mobilisieren? In der Schweiz stehen massive Abbauvorhaben im Sozialbereich an. Erinnert sei an dieser Stelle nur an die Invalidenversicherung (IV), die als nächste "revidiert", sprich demontiert werden soll. Dann werden die linksgrünen Parteien wieder schreien, die Ungerechtigkeit zu Recht anprangern und das Volk dazu aufrufen, das Referendum zu unterschreiben. Schön, aber warum bewegen sie keinen Millimeter ihres Parteiapparats, um dem Volk den Zusammenhang zwischen dem WEF und dem Sozialabbau zu erklären? Als ob es keinen hätte...


Linksaussen

Und die radikale und ausserparlamentarische Linke? Sie ist immerhin die, welche noch mobilisiert und etwas auf die Beine kriegt. Sie stellt den politischen Zusammenhang zwischen dem WEF und dem täglichen Leiden vieler Menschen in der Schweiz und weltweit her. Den Zusammenhang, den die Gewerkschaften und die Parteien sträflich vernachlässigen. Doch auch die, die noch was hinkriegen, arbeiten nebeneinander vorbei: Während die einen für die überregionale Demo aufrufen, führen die anderen gleichzeitig die Workshops im Rahmen der "Tour de Lorraine" durch - beide in Bern, nur wenige Meter voneinander entfernt.

Wer weiss, vielleicht wird im 2013 ja alles besser. Träumen ist ja noch erlaubt...


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 01/02/2012 - 68. Jahrgang - 13. Januar 2012, S. 3
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
Redaktion: Vorwärts, Postfach 2469, 8026 Zürich
Telefon: 0041-(0)44/241 66 77,
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Internet: www.vorwaerts.ch

vorwärts erscheint 14-täglich,
Einzelnummer: Fr. 4.-
Jahresabo: Fr. 160.-, reduziert (AHV, Stud.) 110.-
Probeabo: 4 Ausgaben gratis


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Januar 2012