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VORWÄRTS/897: Fristlos entlassen!


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.05/06 vom 15. Februar 2013

Fristlos entlassen!

Von Siro Torresan



Spätestens nach den fristlosen Kündigungen der 22 Streikenden am 4. Februar hat der Arbeitskampf im Spital "La Providence" in Neuenburg die lokale Ebene verlassen und ist von landesweiter Bedeutung geworden. Der Grund ist einfach: der Ausgang des Streiks ist entscheidend für die künftigen Arbeitsbedingungen im ganzen Gesundheitswesen.


Zur Erinnerung der Gründe des Streiks: Die "Genolier Swiss Medical Network" (GSMN) ist die zweitgrösste Gruppe Schweizer Privatklinken und sie beabsichtigt, das Spital "La Providence" in Neuenburg aufzukaufen. Sie stellt Bedingungen für die Übernahme. Eine davon ist, dass der geltende Gesamtarbeitsvertrag (GAV) "Santé 21" nicht übernommen werden muss. Anfangs November 2012 stimmt die Neuenburger Regierung dieser Forderung zu und erlässt die entsprechende Ausnahmebewilligung. Die direkte Folge ist eine massive Verschlechterung der Arbeitsbedingungen bei "La Providence". Das Personal, unterstützt von den Gewerkschaften vpod und Syna, verlangt Verhandlungen, die aber von GSMN, der Spitalleitung und der Regierung abgelehnt werden. Am 26. November beginnt der unbefristete Streik eines Teils des Personals. Der vorwärts berichtete ausführlich darüber in seiner Ausgabe Nr. 01/02 vom 25. Januar 2013.


Was sind ArbeitnehmerInnenrechte noch wert?

Am 4. Februar erhalten die streikenden ArbeiterInnen die fristlose Kündigung. Ihre starke, kämpferische Antwort kommt einen Tag später. "Für uns haben diese Kündigungen keine Bedeutung. Unsere Rechte als BürgerInnen und ArbeiterInnen sind mit Füssen getreten worden. Wir werden daher gegen diese missbräuchlichen Entlassungen rechtlich vorgehen". Von der fristlosen Kündigung erfahren die Betroffenen über die Presse, die von Antoine Wildhaber, Präsident des Stiftungsrats des Spitals, an der kurzfristig einberufenen Medienkonferenz informiert wurde. Man habe sich entschieden, die "Instrumentalisierung in einem politischen Kampf, den die Gewerkschaften führten, nicht länger zu tolerieren", sagte Wildhaber. Dann folgte die Drohung: "Falls Genolier das Übernahmeprojekt fallen lässt, muss die Klinik innert kürzester Zeit die Defizite reduzieren. Dabei müssen alle Dienste, die nicht kostendeckend sind, gestrichen werden".

Die Streikenden wehren sich entschieden gegen den Vorwurf der politischen Instrumentalisierung: "Unsere Forderungen waren und sind stets die gleichen: Beibehaltung des GAV 'Santé 21', kein Stellenabbau, keine Auslagerung von Dienstleistungen. Es geht in unserem Streik um unsere Arbeitsbedingungen. Wir weisen den Versuch des Arbeitgebers zurück, uns andere, politische Motive unterzuschieben". Sie fügen hinzu: "Entlassen, weil man ein von der Verfassung garantiertes Grundrecht in Anspruch nimmt? Das ist in der Schweiz eine Premiere. Aufgeführt wird dieses Stück im Kanton Neuenburg. Was sind Arbeitnehmerrechte noch wert, wenn die Verteidigung der Arbeitsbedingungen bereits ein Grund zur Entlassung ist?"


Dunkle Gewitterwolken ziehen auf

Gewinnt die GSMN den Machtkampf in Neuenburg, ist es ein Dammbruch, der eine Flut von Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen im ganzen Gesundheitswesen mit sich bringt. Denn der Druck wird gleich auf verschiedenen Ebenen massiv werden: Die GSMN selber wird natürlich versuchen, das gleiche Ziel an anderen Standorten zu erreichen. "Hirslanden", die grösste Privatklinikgruppe in der Schweiz, wird sicherlich nachziehen wollen. Sie umfasst 14 Kliniken in zehn Kantonen mit insgesamt über 100 integrierten Kompetenzzentren sowie mehr als 50 spezialisierten Instituten mit rund 6000 MitarbeiterInnen. Und in den öffentlichen Spitälern wird der politische Druck der Bürgerlichen auf die Arbeitsbedingungen steigen, da sie im Privatsektor liberalisiert sind.

Über den Himmel des Gesundheitswesens ziehen dunkle Gewitterwolken auf. Dies zeigt ein Blick hinter die Kulissen von GSMS. Die Gruppe betreibt 11 Privatspitäler in der ganzen Schweiz und ist somit die einzige, die landesweit tätig ist. Sie beschäftigt annähernd 1000 BelegärztInnen sowie weitere 2000 MitarbeiterInnen. "Im Mittelpunkt ihrer Wachstumsstrategie steht der Aufbau eines nationalen Klinik-Netzwerkes", ist auf der Webpage von GSMN zu lesen, und zwar um "ihren schweizerischen und ausländischen Patienten eine erstklassige stationäre Versorgung zu bieten." Dass dafür eine fette Brieftasche nötig ist, versteht sich von selbst. Ermöglicht wird die "Wachstumsstrategie" durch die letzte Revision des Krankenversicherungsgesetzes (KVG), die "den Konsolidierungsprozess unter den Schweizer Spitälern beschleunigen" wird. GSMN ist bestrebt, "diesen Veränderungen Rechnung zu tragen, indem sie eine echte Alternative zum öffentlichen Gesundheitswesen bietet".

Im Verwaltungsrat der Gruppe sitzt unter anderem Fulvio Pelli, ehemaliger Präsident der FDP und aktueller Nationalrat. Der Präsident ist Raymond Loretan, der gleichzeitig auch Präsident des Verwaltungsrats der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG SSR) ist. So wie Pelli ist auch Raymond politisch bestens vernetzt: 1987 wurde er persönlicher Mitarbeiter von Bundesrat Arnold Koller. Ab 1993 war er Generalsekretär der CVP Schweiz. 1997 wurde er vom Bundesrat zum Botschafter der Schweiz in Singapur und in Brunei ernannt. 2002 wird er Generalkonsul von New York mit Botschaftertitel. Anfang 2007 wird Loretan Miteigentümer der Beratungsfirma "Fasel Balet Loretan".


Exportprodukt wie die Kuckucksuhr

Die GSMN gehört zu 100 Prozent der AEVIS Holding SA, die laut ihrer Homepage im "Healthcare-Bereich, in Life Sciences sowie in die medizinische Betreuung" investiert und an der Börse kotiert ist.

Zur Holding gehören neben der GSMN auch die "Swiss Healthcare Properties AG", eine auf medizinische Immobilien fokussierte Gesellschaft, die "Nescens SA", einer Marke rund um das Thema "better-aging" und der "Les Hauts de Genolier SA", einem Unternehmen, das Residenzen mit medizinischer Betreuung anbietet. AEVIS will "sukzessive weitere Geschäftsbereiche im Rahmen seiner strategischen Ausrichtung aufbauen".

CEO der AEVIS ist Antoine Hubert. In der Sendung "RTS Info" des Westschweizer Fernsehens vom 18. Dezember hält er fest, dass "das Gesundheitswesen gänzlich zu einer wirtschaftlichen Aktivität" geworden ist. Huberts Ziel ist es, "aus der Schweiz eine Gesundheits-Destination und aus dem Schweizer Gesundheitswesen ein Exportprodukt zu machen, wie es die Banken, die Schokolade oder die Kuckucksuhr sind". Um dieses Ziel zu erreichen, braucht es laut dem CEO der Holding unter anderem "einen gewissen Einfluss auf die Legislativen, um die Regulierung in die richtige Richtung zu schieben". Die Richtung, in die geschoben wird, zeigt das Beispiel "La Providence" bestens auf.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 05/06 - 69. Jahrgang - 15. Februar 2013, S. 4
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. März 2013