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VORWÄRTS/901: Zwei Jahre Isohaft und kein Ende in Sicht


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.07/08 vom 1. März 2013

Zwei Jahre Isohaft und kein Ende in Sicht

Von Anne Devlin



Im Mai ist es zwei Jahre her, seit Marian Price unter zweifelhaften Umständen in Nordirland festgenommen wurde. Seither sitzt sie in Isolationshaft.


Vor vierzig Jahren wurde die heute 59-jährige Marian Price (McGlinchey) zusammen mit ihrer Schwester Dolours und acht weiteren GenossInnen in London verhaftet. Am 8. März 1973 hatte eine Einheit der irischen Provisional IRA mehrere Bomben vor Regierungs-, Armee- und Polizeieinrichtungen der britischen Hauptstadt gelegt. Damit brachten sie den schmutzigen Krieg, den die Briten in Nordirland führten, zurück ins Zentrum der Macht.

Price wurde als Mitglied dieser PIRA-Einheit zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Um in die Nähe ihrer Familie verlegt zu werden, begann sie mit anderen Gefangenen einen Hungerstreik, der über 200 Tage dauerte und während dem sie brutal zwangsernährt wurden. Festgebunden an einen Stuhl, sperrten Klammern die Mäuler auf, Plastikschläuche wurden in ihren Hals gerammt, ein Nahrungsbrei in den Magen gedrückt. Oft mussten sie danach erbrechen - worauf die Tortur wieder von vorne begann. Einmal schob ein Knastarzt den Schlauch in ihre Lunge statt in den Magen und liess Wasser rein. Price wäre beinahe gestorben.

Die protestierenden Gefangenen setzten sich durch. 1975 kamen sie nach Nordirland. Doch im Frauenknast von Armagh waren die Bedingungen hart. Price erkrankte an Tuberkulose, entwickelte Magersucht. Nach einigen Jahren war sie nur noch gut 35 kg schwer, man erwartete ihren baldigen Tod. Deshalb wurde sie 1980 aus humanitären Gründen begnadigt und freigelassen. Sie überlebte zwar, doch ihre Gesundheit war durch die Knastzeit ruiniert.

Ende der 1990er-Jahren exponierte sich Price als prominente Kritikerin des von den Briten auferlegten, aber dennoch von der Mehrheit der irisch-republikanischen Bewegung getragenen "Friedensprozesses". Fortan war sie im 32 County Sovereignty Movement aktiv, der das Karfreitagsabkommen von 1998 für eine Mogelpackung hält und weiterhin für einen Abzug der Briten kämpft. Dieses dem Mainstream zuwiderlaufende politische Engagement wurde ihr schliesslich zum Verhängnis. Im Mai 2011 landete sie wieder im Knast. Denn sie hatte in Derry an einer Demo in Gedenken an den irischen Osteraufstand von 1916 teilgenommen, an der ein Vermummter eine Rede hielt.

Obwohl ein Gericht kurze Zeit später ihre Freilassung auf Kaution anordnete, blieb sie weiterhin in Haft. Der damalige britische Nordirlandminister Owen Paterson kümmerte sich persönlich darum. Er setzte ihre lebenslängliche Haftstrafe wieder in Kraft. Rechtlich war das zwar illegal - immerhin wurde Price 1980 begnadigt -, aber politisch ging es trotzdem. Denn die Begnadigungsurkunde war plötzlich nicht mehr auffindbar bzw., noch besser, sei angeblich vor Jahren von den Behörden geschreddert worden.


Isoliert und schwerkrank

Die im Zusammenhang mit ihrer Verhaftung genannten Vorwürfe wurden bisher kaum erhärtet. Eine Rechtfertigung für die andauernde Haft besteht an sich nicht. Aber das ist in Nordirland auch nicht nötig. Denn durch den "Life Sentences (NT) Order 2001" ist das britische Nordirlandministerium berechtigt, eine lebenslängliche Haftstrafe einzig aufgrund geheimer Hinweise der Sicherheitskräfte (d.h. des Inlandgeheimdienstes M15) wieder in Kraft zu setzen. UnterstützerInnen von Price bezeichnen dieses Vorgehen als selektive Internierung, um missliebige politische AktivistInnen wegsperren zu können - in Anlehnung an die ab 1971 im Rahmen der britischen Aufstandsbekämpfung eingesetzte Internierung ohne Gerichtsverfahren.

Price verbrachte die ersten neun Monate in Isolationshaft, als einzige Frau im Männerknast von Maghaberry, County Antrim. Ihre schon vorher angegriffene physische und psychische Gesundheit verschlechterte sich in der Folge rapide. Wegen medizinischer Bedenken wurde sie im Februar 2012 in den Jugend- und Frauenknast Hydebank Wood in Belfast verlegt. Derzeit sitzt sie isoliert und schwerkrank in einer psychiatrischen Aussenabteilung. Zur Inhaftierung kam die Psychiatrisierung hinzu. Ein Ende ihrer Haft scheint nicht in Sicht.

Diesen Januar ist ihre 62-jährige Schwester Dolours gestorben, mit der sie in den 1970er-Jahren den Hungerstreik führte und danach in Armagh die Knastzeit teilte. Auch sie litt lange Jahre an den Folgen der Haft. Nur dank öffentlichem Druck konnte Price für kurze Zeit Abschied von ihrer Schwester nehmen. An der Beerdigung durfte sie nicht teilnehmen.

Marian Price ist nicht die einzige politische Gefangene in Nordirland. Auch ist sie nicht die einzige, die von den Briten wieder zurück in den Knast geschickt wurde, weil sie eine nicht genehme politische Position vertritt. Am 8. März 2013 demonstrieren UnterstützerInnen von Marian Price für ihre Freilassung in Coalisland, County Tyrone - von wo im August 1968 der erste von vielen Märschen der nordirischen Bürgerrechtsbewegung aufbrach.


INFORMATIONEN UNTER:
www.freemarian.co.nr, thepensivequill.am

SCHREIBT AN:
Marian Price Mcglinchey, Healthcare Centre,
Hydebank Wood, Hospital rd., Belfast bt8 8na, NI

ZUM LESEN: Evelyn Brady u.a.,
In the Footsteps of Anne, Shanway Press, Belfast 2011

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 07/08 - 69. Jahrgang - 1. März 2013, S. 4
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. März 2013