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VORWÄRTS/929: Guatemala - Ein historisches Urteil


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 19/20 vom 24. Mai 2013

Ein historisches Urteil

von Michi Stegmaier



Im Dezember 1996 haben die guatemaltekische Regierung und VertreterInnen der linken Guerilla einen Bürgerkrieg beendet, der 36 Jahre lang gedauert hatte. Über 200.000 Menschen verloren während dieser blutigen Zeit ihr Leben. Nun findet auch die Zeit der Straflosigkeit für die Täter ein Ende.


Am Tag der Urteilsverkündung sitzen viele Ixil, eine Ethnie der Mayas, im Saal des Obersten Gerichts in Guatemala-City. Die Ixil lebten lange isoliert in den schwer zugänglichen Hochlandebenen im Nordwesten Guatemalas. Während des Bürgerkriegs galten sie als Basis der Guerilla "Ejercito de los Pobres" - die Armee der Armen - und wurden Opfer von unzähligen Massakern. Kollektiv wurden die Indigenas dem Generalverdacht ausgesetzt, Teil der kommunistisch geprägten Guerilla zu sein und verfolgt. Eine von den Vereinten Nationen eingesetzte Wahrheitskommission stellte schon vor Jahren fest, dass 95 Prozent der Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung während des Bürgerkriegs von der guatemaltekischen Armee begangen wurden.


Es war ein Genozid

Bis in die jüngste Vergangenheit blieb jedoch eine Aufarbeitung des Genozids und der unzähligen Massaker an der indigenen Zivilbevölkerung aus. Das hat mit dem weltweit beachteten Urteilsspruch des Obersten Gerichtshofes vom 10. Mai nun ein Ende. In Guatemala wird dieser Tage Geschichte geschrieben. Es war das erste Mal in der Geschichte Lateinamerikas, dass ein ehemaliger Präsident im eigenen Land wegen Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt wurde. Gross war der Jubel im Gerichtssaal als die Richterin Yasmin Barrios das Urteil gegen den 86jährigen Ex-General Erfaín Río Montt verkündete. 50 Jahre Knast wegen des Genozids an den Ixil sowie weitere 30 Jahre wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, so der Urteilsspruch. Die Regierungszeit Montts in den Jahren 1982 und 1983 gilt als blutigste Phase des Bürgerkriegs. So kam das Gericht zum Schluss, dass Massenvergewaltigungen und das Ermorden von Kindern, Alten und Schwangeren, Teil einer systematisch-militärischen Strategie zur völligen Vernichtung der ethnischen Gruppe der Ixil war. Richterin Barrios erinnerte in ihrem Urteilsspruch auch daran, dass Indigene bis in die heutige Zeit als minderwertige "Rasse" gebrandmarkt werden. Es sei dieser Rassismus, der den Grundstein für Jahrzehnte der Gewalt und den Genozid legte, so dass Oberste Gericht bei der Urteilsverkündung.


"Nationaler Tag gegen Völkermord"

Gross musste auch die Genugtuung bei den Angehörigen der Ermordeten und Verschwundenen sein, als das Gericht am 12. Mai zudem verfügte, dass Guatemala eine umfassende symbolische Wiedergutmachung für den Genozid an den Ixil erbringen und sich die Regierung für die in der Vergangenheit begangen Kriegsverbrechen offiziell bei der indigenen Minderheit entschuldigen muss. Die Richterin Barrios forderte weiter vom guatemaltekischen Kongress, den 23. März, den Tag als General Ríos Montt sich 1982 an die Macht putschte, zum "Nationalen Tag gegen Völkermord" zu erklären. Zudem sollen Denkmäler errichtet werden, die an die Verbrechen der Armee, insbesondere gegen indigene Frauen, erinnern. Während die Eliten und rechten Paramilitärs von einem "Komplott westlicher Menschenrechtsgruppen" sprechen und das Urteil als Kniefall vor ausländischen Interessen verteufeln, ist das letzte Wort im Falle des greisen Generals noch nicht gesprochen. Noch steht der Gang zum Berufungsgericht bevor, bis dann wird Ríos Montt im Militärgefängnis Matamaros inhaftiert bleiben, was nicht wenige in Guatemala mit grosser Genugtuung zur Kenntnis nehmen werden.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 19/20/2013 - 69. Jahrgang - 24. Mai 2013 , S. 4
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juni 2013