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VORWÄRTS/930: Kleines Krisen-Update


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 19/20 vom 24. Mai 2013

Kleines Krisen-Update

von Thomas Schwendener



Die Krise wütet in der Euro-Zone, vom Zweckoptimismus des politischen Personals gänzlich unberührt, weiter. Ein (zu) kurzer ökonomischer Überblick über die Entwicklung und den aktuellen Stand des Schlamassels.


Die litauische Präsidentin, Dalia Grybauskaite, verkündete kürzlich in einem Interview mit der "Deutschen Welle", dass es überhaupt keine Euro-Krise gebe. Ihr Kollege, der EU-Kommissionspräsident José Manuel Borroso, war in Bezug auf die Vergangenheit etwas realitätsnäher, aber auch er erklärte auf dem "WDR Europaforum" kürzlich: "Die existenzielle Krise des Euro ist vorbei". Diese Aussagen deuten entweder auf einen grassierenden Realitätsverlust bei Teilen des politischen Personals hin oder aber sie sollen vor allem eines sein: selbsterfüllende Prophezeiungen. Man möchte die Zuversicht bei den MarktteilnehmerInnen fördern und ignoriert dazu schlicht die reellen Problemen, die sich unvermindert in die Nationalökonomien der Euro-Zone fressen.

Die Proletarisierten können eine Lied vom Ende der Krise singen: Die Jugendarbeitslosigkeit liegt in der Euro-Zone bei rund 24 Prozent; angeführt von Griechenland und Spanien, die mittlerweile mit knapp 60 Prozent Arbeitslosen unter 25 Jahren zu Buche schlagen. Die "Zukunft der Gesellschaft" wächst ohne Zukunft heran. Derzeit werden in Spanien täglich über 500 Familien aus ihren Häusern geworfen; seit Beginn der Krise wurden über 400.000 Räumungen vollstreckt. Die Austeritätsprogramme in den Krisenstaaten sorgen dafür, dass allerorts Betroffene nur schlecht aufgefangen werden und die wohltätigen Suppenküchen kaum dem Ansturm gewachsen sind. Doch auch wenn man den Blick vom zunehmenden Elend der Proletarisierten weg, hin zu den nackten Wirtschaftsdaten lenkt, sieht es nicht wesentlich besser aus.


Krisenphänomene

Die neusten Quartalszahlen der Euro-Zone sprechen von einem Sinken des Bruttoinlandproduktes (BIP) von 0,2 Prozent. Von einer Rezession spricht man im Allgemeinen, wenn das BIP in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen sinkt. Es ist nun aber bereits das sechste Quartal in Folge, dass die Wirtschaftsleistung der Euro-Zone schrumpft. Das schwache Wachstum der deutschen Nationalökonomie kann diesem Trend nicht entgegenwirken - und ist übrigens nur auf Kosten von Staaten möglich, die deutsche Waren importieren. Für den Krisenstaat Zypern rechnen ExpertInnen 2013 mit einem Einbruch des BIP von 8,7 Prozent. Die Ideologie des beständigen Wachstums, wie sie von ExpertInnen und PolitikerInnen wie ein Mantra beschworen wird, hat ihren wahren Kern, auch wenn sie selber davon keinen Begriff haben: Das Kapital kann sich nur auf erweiterter Stufenleiter reproduzieren. Geld muss profitabel investiert werden und der entstehende Mehrwert als Kapital neu in den Produktionsprozess fliessen - alles natürlich bei entsprechenden Profitraten. Eine stagnierende oder gar sich verkleinernde Volkswirtschaft zeigt also nicht weniger an, als dass sich gewisse Kapitale nicht mehr reproduzieren können.

Die wachsenden Staatsschulden hängen natürlich damit zusammen: Nebst der stockenden (momentan aber zumindest kurzfristig wieder etwas besser laufenden) Refinanzierung auf den Finanzmärkten sind vor allem die damit verbundenen sinkenden Steuereinnahmen durch die Unternehmen ein Problem. Die Rezession führt aber auch zu einem Einbrechen der Einnahmen der Massen durch Arbeitslosigkeit. Dies wiederum untergräbt das Steuersubstrat. Zudem wird dadurch die Massennachfrage reduziert, was einige Linke fälschlich zur Ursache der Krise verklären.


Krise des Kapitals

Die Europäische Zentralbank (EZB) versucht seit einiger Zeit diesen Prozessen mit verschiedenen Massnahmen Herr zu werden: Sie erklärte, dass sie im Krisenfall die betreffenden Staatsanleihen aufkaufen würde. Dies führte dazu, dass die Finanzmärkte wieder etwas Vertrauen fassten und etwa riskante italienische Staatspapiere aufkauften. Bloss: Sollte der italienische Staat, immerhin die drittgrösste Nationalökonomie der EU, tatsächlich Bankrott gehen, ist es mehr als fraglich, ob die monetären Mittel der EZB ausreichen, um die entsprechenden Schrottpapiere aufzukaufen. Ausserdem senkte die EZB den Leitzins auf 0,5 Prozent und versucht so Geld in den Wirtschaftskreislauf zu pumpen. Die Vorstellung dabei ist, dass dieses Geld in die produktive Wirtschaft fliesst und einen Wirtschaftsaufschwung generiert, der auch die Arbeitslosenzahlen nach unten korrigiert. Blöd nur, dass dieses Geld momentan gerade das nicht macht, sondern in hochspekulative Bereiche abfliesst und die Börsenkurse unabhängig von der sogenannten Realwirtschaft befeuert - was zu allerhand veritablen Blasenbildungen führt. Das Problem ist nicht, dass die Bank-ManagerInnen alle durchgedreht sind. Das Geld wird in der Regel nicht mehr in der sogenannten Realwirtschaft investiert, weil die Profitraten nicht mehr ausreichen, um Unternehmensgewinn und (Bank-)Zinsen in der notwendigen Höhe zu garantieren. Das ist das eigentliche Dilemma: Die EZB pumpt Geld in eine Wirtschaft, die wegen mangelnder Profitraten an Kapitalüberproduktion leidet.


Krisenlösung?

Was Europa als Lösung anstrebt, ist eine aggressive Exportpolitik nach deutschem Vorbild. Diese quasi merkantilistische Politik soll dazu führen, dass durch die Exportüberschüsse die Defizite und schliesslich auch die Staatschulden exportiert werden können. Dies ist aber nur möglich, wenn bei hoher Produktivität die Lohnstückkosten gesenkt werden können - wie das Deutschland mit den Hartz-Reformen gelungen ist - und man das Defizit einfach an zu Schuldnerstaaten degradierte Nationalökonomien auslagern kann. Wie lange diese Staaten überhaupt die Überschüsse aufkaufen können, steht in den Sternen; ihre Wirtschaft wird schlicht und einfach ruiniert (siehe etwa Griechenland). Eine wirkliche Lösung ist dieses Modell auf jeden Fall nicht. Aus dem wirtschaftlichen Dilemma wird es keinen Ausweg geben ausser der massiven Vernichtung von Kapital mit den damit verbundenen Verheerungen für die Proletarisierten. Als kommunistischer Beobachter dieser Prozesse muss man sich nicht so dumm machen lassen wie das politische Personal des Kapitals, sondern kann offen aussprechen, dass der Kapitalismus derzeit in einer Sackgasse steckt.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 19/20/2013 - 69. Jahrgang - 24. Mai 2013 , S. 7
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Juni 2013