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VORWÄRTS/935: Ausbeutung und Widerstand in China


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.21/22 vom 7. Juni 2013

Ausbeutung und Widerstand in China

Von Maurizio Coppola



Nach "Dagongmei" und "Aufbruch der zweiten Generation", Bücher über die WanderarbeiterInnen Chinas, ist nun ein weiteres Buch in deutscher Sprache über die Klassenzusammensetzung und den Widerstand in China erschienen. In "iSlaves. Ausbeutung und Widerstand in Chinas Foxconn-Fabriken" geben ArbeiterInnen und WissenschaftlerInnen Einblick in das Fabriksystem des taiwanesischen Konzerns Foxconn.


Ende Mai erhielten wir wieder einmal traurige Nachrichten aus China: Zwei Arbeiter und eine Arbeiterin des wichtigsten Apple-Zulieferers Foxconn haben sich in den Tod gestürzt. Die Gründe seien noch unklar, doch auch die bürgerlichen Medien konnten einen Zusammenhang mit der Suizidserie im Jahre 2010 nicht bestreiten. AktivistInnen von Solidaritätsgruppen in China, Hongkong und anderen Ländern wiesen auf die miesen Arbeitsbedingungen und die militärische Unternehmensführung als Ursachen der Selbstmorde hin. Sie prangerten die gezielte Spaltung und Vereinzelung der ArbeiterInnen in den Werkhallen und Wohnheimen an, mit der Foxconn Arbeiterwiderstand verhindern will.

Um mehr über die konkreten Bedingungen zu erfahren, startete eine Forschungsgruppe im Frühjahr 2010 ein Untersuchungsprojekt. Die Ergebnisse sind nun auch in deutscher Sprache erschienen und sie setzen an zwei Erzählweisen an: "Zum einen analysieren Mitglieder des Untersuchungsteams wichtige Aspekte des Foxconn Modells, zum anderen erzählen einzelne ArbeiterInnen ihre Geschichte des Alltags und der Ausbeutung in den Fabriken Foxconns." (S. 9)


Die verborgene Stätte der Produktion

"Diese aller Augen zugängliche Sphäre (Markt und Zirkulation) verlassen wir, zusammen mit Geldbesitzer und Arbeitskraftbesitzer, um beiden nachzufolgen in die verborgene Stätte der Produktion, an deren Schwelle zu lesen steht: No admittance except on business (Eintritt nur in Geschäftsangelegenheiten). Hier wird sich zeigen [...] wie das Kapital produziert wird [...] Das Geheimnis der Plusmacherei muss sich endlich enthüllen." (S. 189) So beschreibt Marx im ersten Band des Kapitals die Notwendigkeit, innerhalb der Produktionssphäre - also in den Betrieben selbst - Ausbeutung und Widerstand genau zu analysieren, um Klassen- und Kapitalverhältnisse zu verstehen. Der Zugang zur Produktionssphäre ist jedoch alles andere als leicht. Das haben auch die ForscherInnen erlebt, die die Foxconn-Fabriken analysiert haben. "Das Untersuchungsteam wandte sich bereits im Mai 2010 schriftlich an die Foxconn-Zentrale, um mit ihrem Einverständnis die Lage in den Fabriken untersuchen zu können, aber von Seiten Foxconns kam keine Reaktion." (S. 30) Auch die sozialwissenschaftliche Arbeit ist also keine neutrale Tätigkeit, sondern stets ein umkämpftes Feld, in dem sich unterschiedliche gesellschaftliche Interessen gegenüberstehen.


Foxconns Produktionsregime

Bei Foxconn, dem weltgrössten Elektronikhersteller und Chinas Weltfabrik Nummer eins, stellt sich das ökonomische Entwicklungsmodell Chinas fast idealtypisch dar. Die Betriebsführung basiert auf einem repressiven Überwachungs- und Bestrafungssystem. Eine Fliessbandarbeiterin sagt: "Wir sind wie Staubkörner. Die Linienführerin sagt oft, dass es egal ist, ob diese oder jene am Band steht. Wenn du gehst, kommt halt eine andere und macht deine Arbeit. In dieser Fabrik zählen wir ProduktionsarbeiterInnen nicht. Wir sind nur ein Arbeitsgerät." (S. 58/59)

Die despotische Fabrikorganisation zeigt sich in der materiellen Situation der ArbeiterInnen. Aufgrund der Suizidserie Anfang 2010 hatte Foxconn angekündigt, die Löhne um 30 Prozent zu erhöhen. Doch real tendieren die Grundlöhne immer weiter nach unten und die ArbeiterInnen erreichen nur dann einen Lohn, der zum Überleben reicht, wenn sie Überstunden leisten. Über 40 Prozent der Einkommen besteht aus Überstundenlohn. Arbeitsschutz, Pausen, Respekt gewerkschaftlicher Rechte sind Fremdwörter bei Foxconn.

Andererseits wendet Foxconn zur Disziplinierung der ArbeiterInnen Formen der "ideologischen Umerziehung an" (S. 61), um einen Unternehmensgeist zu schaffen und den ArbeiterInnen klarzumachen, dass das Unternehmen an erster Stelle zu stehen hat. "Mühsal ist die Grundlage von Reichtum, praktische Umsetzung ist der Weg zum Erfolg" - mit solchen Diskursen garantiert Foxconn eine "Kultur des Gehorsams".


Arbeitskämpfe bei Foxconn

ArbeiterInnen machen die Produktionshallen jedoch auch zum Schlachtfeld. Die Länge des Arbeitstages, die Arbeitsintensität, die Arbeitsgeschwindigkeit und die Organisation des Arbeitsprozesses stehen im Mittelpunkt der Klassenauseinandersetzung. Streiks, Ausschreitungen, Strassenblockaden, Dachbesetzungen und Selbstmorddrohungen haben das Management herausgefordert, doch an der Produktionsorganisation hat sich bisher wenig verändert. Die Kommunikation zwischen den ArbeiterInnen hat sich aber dadurch auch weiterentwickelt, und die Erfahrung kollektiver Mobilisierungen in Fabrikhallen und Wohnheimen war wichtig (vgl. Kap. 7).


Klassenkampf als Subjekt der Geschichte

"Die AutorInnen des Buches fokussieren auf die Darstellung des Ausbeutungsregimes - Drill, Wohnheime, Verlagerung - als Antwort auf Arbeiterverhalten - Fluchtträume, Fluktuation, Kämpfe." (S. 12) Damit nehmen die AutorInnen eine theoretische Position ein, die die Zentralität des alltäglichen Konflikts im Produktionsprozess als den treibenden Motor der wirtschaftlichen Entwicklung versteht. Sie knüpfen an die operaistische Tradition an: Technologie und Organisation der kapitalistischen Produktionsweise als Methode der Beherrschung und Kommandierung lebendiger Arbeit werden radikal kritisiert. Damit vollziehen sie einen Bruch mit dem Verständnis der bürgerlichen Ökonomie und mit dem "orthodoxen" Marxismus, die beide die ArbeiterInnen im unmittelbaren Produktionsprozess zu "ZuschauerInnen" der historischen Entwicklung degradieren. Vielmehr wird der alltäglich von den ArbeiterInnen geführte Klassenkampf zum Subjekt der Geschichte. Die Notwendigkeit unserer solidarischen Unterstützung des Widerstandes der ArbeiterInnen in China kann damit auch als Ausgangspunkt dienen, über unsere eigenen Lebens- und Arbeitsbedingungen nachzudenken.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 21/22 - 69. Jahrgang - 7. Juni 2013, S. 8
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Juni 2013