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VORWÄRTS/1022: "Na copa vai ter luta" - "Während der WM wird es Kämpfe geben"


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 19/20 vom 23. Mai 2014

"Na copa vai ter luta"

von Maurizio Coppola



Am 12. Juni 2014 findet das Eröffnungsspiel der Fussball-Weltmeisterschaft in Brasilien statt. Zu diesem Zeitpunkt sind im ganzen Land Demonstrationen geplant. "Mega-Events" bringen vermehrt die massiven sozialen Ungleichheiten zum Ausdruck - aber auch die Mobilisierungskraft der Ausgebeuteten und Unterdrückten.


Hunderttausende BrasilianerInnen sind in den Monaten Juni und Juli letzten Jahres auf die Strasse gegangen, um gegen die massiven und absurden Ausgaben der brasilianischen Regierung für die Fussball-Weltmeisterschaft zu protestieren. Brasilien gibt die Hälfte des staatlichen Budgets aus, um die Zinsen (!) der öffentlichen Verschuldung zurückzuzahlen. Gleichzeitig fehlen grundlegende öffentliche Dienstleistungen. Die Ausgaben für die WM 2014 - und für die Olympiade 2016, die in Rio de Janeiro stattfinden soll - haben also die Widersprüche innerhalb der brasilianischen Gesellschaft aufgedeckt. Seither verging kein Tag, an dem keine Demos organisiert wurden.


Die südafrikanische Erfahrung

Vor vier Jahren fand die Fussball-WM in Südafrika statt. Ein Blick auf jene Ereignisse lässt erahnen, wohin die brasilianische Reise gehen wird. Trotz der weltweiten Wirtschaftskrise von 2008 bis 2009 haben die fünf grössten Bauunternehmen Südafrikas von den wichtigsten Vorteilen der WM-Infrastrukturprojekte profitieren können: Ihre Profite stiegen zwischen 2005 und 2009 um über 100 Prozent, obwohl sie im 2004 bedeutende Verluste verzeichneten. Der Durchschnittslohn der Geschäftsführer dieser Firmen stieg um mehr als 200 Prozent. Die Lohnungleichheiten in der Baubranche erhöhten sich vom Faktor 166 im 2004 auf den Faktor 285 im 2009. Die südafrikanische Regierung hat so einzig und allein als Garant der Kapitalakkumulation für die FIFA und seine kommerziellen PartnerInnen gedient.

Die Situation in Brasilien sieht nicht viel anders aus. Aufgrund der Bauverspätungen steigt nun der Druck auf die ArbeiterInnen, damit sie die Produktion beschleunigen. Zurzeit zählt man neun tödliche Arbeitsunfälle, die in Verbindung mit dem Infrastrukturbau für die WM stehen. Die Ausbeutungsrate wird durch die Intensivierung der Arbeitsrhythmen und der Produktivität sowie durch Überstunden weiter erhöht. Und "Multiplikationseffekte" der Investitionen in Form von neuen Arbeitsplätzen oder der Umverteilung des produzierten Reichtums sind keine in Aussicht, weil die zusätzlichen öffentlichen Finanzierungshilfen durch die zerstörerische private Akkumulation absorbiert wird.


Proteste und Repression

Das Gegenstück dieser ökonomischen Ausbeutung sind die sozialen Proteste, die auch während der WM geplant sind. Diese Proteste gehen von Streiks auf den Baustellen der grossen Stadionprojekte für die WM über die Mobilisierung der TransportarbeiterInnen in Porto Alegre und der MüllarbeiterInnen in Rio de Janeiro und in São Paolo bis zu den Bewegungen für ein Recht auf Wohnen, die sich gegen den Autoritarismus der öffentlichen Behörden stellen und mit ihren Forderungen und Aktionen die Profite der ImmobilienspekulantInnen angreifen. Für den 15. Mai 2014 wurde zu einem internationalen Tag gegen die Weltmeisterschaft aufgerufen. Ziel des Aufrufes ist, die Kämpfe der Studierenden mit denjenigen der ArbeiterInnen und sozialen Bewegungen zu vereinen und so die Proteste während der WM vorzubereiten. "FIFA go home" lautet das vereinende Motto.

Die brasilianische Regierung dagegen hat nur ein Ziel: Die Fussball-WM muss ohne Schaden über die Bühne gehen, koste es was es wolle. Dafür werden Medienberichte manipuliert, antiterroristische Gesetze verabschiedet, die Zusammenarbeit mit privaten und ausländischen Sicherheitsfirmen verstärkt und Demonstrationen kriminalisiert und niedergeschlagen. Auch die Repression hat eine ökonomische Seite: Bis heute wurden in Zusammenhang mit der WM über 250.000 Zwangsräumungen gezählt. StrassenverkäuferInnen und unabhängige KünstlerInnen müssen teuren Läden für die FussballtouristInnen Platz machen, öffentliche Plätze und Strassen werden zu "FanFests" verwandelt und von privaten Firmen verwaltet, Rüstungsunternehmen verdienen sich eine goldene Nase an der Bewaffnung von Polizei und Militär.


Unsere Solidarität ist gefragt

Die Schweiz ist nicht nur Sitz der FIFA und mit dem Schweizer Sepp Blatter seit 1998 im wichtigsten Gremium der Organisation vertreten. Auch helvetische Firmen agieren in Brasilien, so beispielsweise das Unternehmen Geobrugg, welches der Holding Brugg mit Sitz im Kanton Aargau angehört. Es hat die Fassadenverkleidung für das Maracanã Stadion in Rio de Janeiro geliefert, in dem das Finalspiel der Fussball-WM gespielt wird. Der Handel zwischen der Schweiz und Brasilien floriert und wird immer bedeutender. Und so besuchte Bundesrat Schneider-Amman Anfang April Brasilien, um sich für die Möglichkeit, die Schweizer Investitionen in Brasilien mit Steuergeschenken für brasilianische Firmen mit Sitz in der Schweiz, zu bedanken.

Unsere Solidarität mit den sozialen Bewegungen ist Plicht. Sie beschränkt sich aber nicht nur auf einen symbolischen Aspekt. Gerade aufgrund der Verwicklung der Interessen der Schweizer Bourgeoisie in Brasilien sollten wir die Gelegenheit nutzen, um die Kampferfahrungen in Brasilien mit unserer eigenen Ausbeutungssituation und geeigneten Strategien des Widerstands in Beziehung zu setzen. "Na copa vai ter luta" - "Während der WM wird es Kämpfe geben" lautet der Aufruf zu den Protesten in den Monaten Juni und Juli. Dann lasst uns auf der Seite der brasilianischen sozialen Bewegungen solidarisch mitkämpfen!

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 19/20/2014 - 70. Jahrgang - 23. Mai 2014, S. 1
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juni 2014