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VORWÄRTS/1060: "Emanzipation" à la Ecopop


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 39/40 vom 15. November 2014

"Emanzipation" à la Ecopop

Von Amanda Ioset



Ecopop will, dass zehn Prozent der Schweizer Entwicklungshilfe für die Famllienplanung aufgewendet wird. Die BefürworterInnen der Initiative zögern nicht, eine der fundamentalsten Forderungen der feministischen Bewegung zu instrumentalisieren: Das Recht auf Verhütung.


Es kommt nicht selten vor, dass die legitimen und progressiven Ziele und Forderungen der Frauenbewegung zur Verschleierung von reaktionären, rassistischen und/oder imperialistischen Zwecken instrumentalisiert werden. Bedauerlicherweise hat dieses Phänomen die feministische Bewegung durch das gesamte 20. Jahrhundert begleitet. Seit dem 11. September 2001 ist es mit Gewalt wieder auf die Bühne getreten. Der ehemalige US-Präsident George W. Bush benutzte die Frage der "Befreiung der Frauen", um die US-Invasion in Afghanistan und im Irak zu legitimieren. Analysiert man die Argumentation von Ecopop, besonders den Teil zur Entwicklungshilfe, zeigt sich, dass sich die VerfechterInnen der Initiative der gleichen Logik verschrieben haben.


Die Frau als Opfer

Für Ecopop ist die Frau aus dem globalen Süden vor allem ein Opfer. Systematisch wird sie dargestellt als arm, ungebildet und ausserstande, für sich selbst zu entscheiden, zum Beispiel wie viele Kinder sie haben will. Dieses Bild wird implizit dem idealisierten Bild der westlichen Frau gegenübergestellt, dem Bild einer unabhängigen, gebildeten Frau, die Herrin über den eigenen Körper und über ihre Sexualität ist. Der zum Opfer gemachten Frau muss "geholfen" werden, indem ihr das Modell der "befreiten" westlichen Frau vorgesetzt wird. Es handelt sich hier um eine Form des Feminismus, der stark von Rassismus beeinflusst ist und Frauen aus der Dritten Welt auf die Stufe eines Objekts reduziert, unfähig, eigene Entscheidungen zu treffen. Dadurch scheinen sie auf Lösungen von aussen angewiesen zu sein. Eine solche Lösung ist die Forderung von Ecopop, zehn Prozent der Entwicklungshilfe für die Familienplanung aufzuwenden. Haben sich aber die BefürworterInnen der Initiative je bemüht herauszufinden, was diese Frauen wollen, denen sie zu helfen vorgeben? Haben sie die Frauen gefragt, ob der Zugang zu Verhütungsmittel für sie Priorität hat? Man darf zu Recht daran zweifeln. Ecopop sieht nicht, dass es verschiedene Wege zur Befreiung gibt, die aus den unterschiedlichen Lebensbedingungen der Menschen hervorgehen, dass es sich um eine kolonialistische Anmassung handelt, wenn den Frauen des globalen Südens vorgeschrieben wird, was die Bedingungen für ihre Emanzipation sind.

Stellen wir uns für einen Moment vor, der Zugang zu Verhütungsmitteln wäre tatsächlich die primäre Forderung von allen Frauen aus den Ländern, die von der Entwicklungszusammenarbeit mit der Schweiz profitieren (eine extrem unwahrscheinliche Hypothese). In diesem Fall könnte es durchaus gerechtfertigt sein, einen grösseren Teil des Budgets für die "freiwillige" Familienplanung einzusetzen. Genau hier findet sich aber ein weiterer, äusserst problematischer Aspekt der Initiative: Die Verwechslung des Rechts auf Verhütung - verstanden als individuelles Recht jeder Frau, ob und wann sie sich fortpflanzen will - mit der Politik der Geburten- und Bevölkerungskontrolle. Das Ziel von Ecopop ist klar: In erster Linie soll das Bevölkerungswachstum begrenzt werden. Eine der fundamentalsten Forderungen der feministischen Bewegung wird instrumentalisiert, um die Einmischung in die Geburtenpolitik von souveränen Staaten zu rechtfertigen. Durch dieses Vorgehen verlieren die Frauen ihren Status als politische Subjekte, nur um zum Instrument für eine geistlose Bevölkerungspolitik zu werden.


Individuelle Emanzipation?

Die Emanzipation der Frauen ist nicht möglich ohne die Hinterfragung des Systems der Ausbeutung, das ihre Unterdrückung erzeugt. Wie können die Frauen der Dritten Welt Emanzipation erlangen, solange sie noch in Armut und Abhängigkeit von den westlichen Ländern leben müssen? Was an der Argumentation von Ecopop auffällt, ist, dass das Herrschaftsverhältnis des Imperialismus gegenüber den Ländern des Südens in keiner Weise berücksichtigt wird. Laut den InitiantInnen sind nicht die neokolonialen Beziehungen die Ursache der Ausbeutung und der Armut, sondern schlicht die "Überbevölkerung", also die Frauen und ihre Fruchtbarkeitsrate. Würden die Annahme der Initiative und der erleichterte Zugang zu Verhütungsmitteln das Problem der Armut lösen? Es ist durchaus möglich, dass einige Frauen im Einzelfall davon profitieren und gesellschaftlich "aufsteigen" können. Ist das Emanzipation? Das erinnert doch eher an neoliberales Denken, das dem Individuum (ob Mann oder Frau) die Schuld an seinem Unglück gibt und das dann nur auf eine Veränderung der persönlichen Situation hoffen kann.

Ecopop gibt vor, Tabus zu brechen und eine revolutionäre Lösung für alle Probleme der Welt zu bieten, inklusive der Unterdrückung der Frauen. In Wirklichkeit macht die Initiative nichts anderes, als reaktionäre Rezepte aus alten Zeiten wieder aufleben zu lassen. Der herrschende feministische Diskurs neigt gegenwärtig zum Rassismus. Die Köpfe der Menschen sind deshalb an solche Instrumentalisierungen gewohnt und können von dieser Art von Argumenten angezogen werden. Langfristiges Ziel muss sein, "den Feminismus zu entkolonialisieren", wie die französische Soziologin Zahra Ali in ihrem Werk "Islamische Feminismen" schreibt. Kurzfristig können wir ein starkes Zeichen gegen den Rassismus setzen; mit einem Nein zu Ecopop am 30. November.


Erstveröffentlichung des Artikels in der französischsprachigen Schweizer Wochenzeitung Gauchebdo

Der französische Artikel mit deutscher Übersetzung ist auch auf der Internetseite der Organisation Solidarité sans frontières zu finden unter:
http://www.sosf.ch/de/themen/migrationspolitik/informationen-artikel/ecopop-et-les-femmes.html?zur=268es-femmes.html?zur=268

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 39/40 - 70. Jahrgang - 15. November 2014, S. 1
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Dezember 2014


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