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VORWÄRTS/1175: "Der Konflikt wäre einfach lösbar" - Interview mit Omeima Abdeslam


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 11/12 vom 26. März 2016

"Der Konflikt wäre einfach lösbar"

Interview mit Omeima Abdeslam von Amanda Ioset


Omeima Abdeslam ist die Vertreterin der Frente Polisario in der Schweiz und vor den Vereinten Nationen (UN). Zu ihren Aufgaben gehört die Sensibilisierung der Zivilbevölkerung und der Schweizer Behörden über die Situation des sahrauischen Volkes, die Vernetzung der verschiedenen Unterstützergruppen sowie die Organisation der Arbeit der sahrauischen Delegation mit der UN. Ein Gespräch.


Amanda Ioset: Die Situation der Westsahara ist nicht besonders bekannt in der Schweizer Öffentlichkeit. Das Gebiet wird einerseits von der Demokratischen Arabischen Republik Sahara (DARS) und andererseits vom Königreich Marokko, das es seit 1975 besetzt, beansprucht. Was ist aus Sicht des Völkerrechts der Status dieses Gebiets?

Omeima Abdeslam: Nach Schätzung der UN gibt es gegenwärtig 17 nicht autonome Gebiete auf unserem Planeten, davon nur eines in Afrika: die Westsahara. Es handelt sich dabei um ein nicht dekolonisiertes Gebiet, um ein Streitobjekt, in dem die Bevölkerung ihr Recht auf Selbstbestimmung nicht ausüben darf. Wir wollen, dass sich die Bevölkerung äussern darf und sagen kann, ob sie marokkanisch, autonom - das heisst zwar noch unter der Schirmherrschaft Marokkos, aber mit einer gewissen Bewegungsfreiheit - oder ob sie unabhängig sein will. Im Moment ist die DARS ein unabhängiger Staat, der 30 Prozent seines Territoriums kontrolliert, das, was man die befreiten Gebiete nennt. Etwa vierzig afrikanische und lateinamerikanische Staaten haben uns anerkannt, aber leider kein einziger westlicher Staat.


Amanda Ioset: Wird die DARS von den Vereinten Nationen anerkannt?

Omeima Abdeslam: Nein, aber die Frente Polisario wird von ihnen als Verhandlungspartnerin gegenüber dem marokkanischen Staat anerkannt. Was wir wollen, ist, dass die UN die DARS anerkennen, um Marokko dazu zu zwingen, ihre Existenz zu akzeptieren. Gegenwärtig fühlt sich Marokko allmächtig: Es kann machen, was es will, ohne irgendeinen Druck. Es kann die Friedensverhandlungen blockieren und verhindern, dass die UN ihr Mandat durchsetzen, das darin besteht, ein Referendum zu organisieren. Unser Konflikt zeigt die ganze Schwäche der Vereinten Nationen. Die Lösung unseres Konflikts wäre ganz einfach: Es reicht, wenn man die Bevölkerung ihren Willen durch eine Abstimmung ausdrücken lässt. Was fehlt, ist der politische Wille.


Amanda Ioset: Spielen ökonomische Interessen eine Rolle?

Omeima Abdeslam: Unser Land ist sehr reich an natürlichen Rohstoffen, besonders Phosphat, das für die Herstellung von Düngemitteln verwendet wird, aber auch Erdöl und Nahrungsmittel wie Tomaten oder Fisch. Zahlreiche Unternehmen wie "Total" und "Kosmos" schliessen illegale Verträge mit dem marokkanischen Staat, um mit der Ausbeutung unseres Landes Profite zu machen. Und nicht nur Unternehmen haben Interesse daran. Letztes Jahr hat der "Gerichtshof der Europäischen Union" (CJEU) entschieden, einen Landwirtschafts- und Fischereivertrag in den sahrauischen Gewässern zu annullieren, der 2012 zwischen der EU und Marokko abgeschlossen wurde. Der CJEU hat den Vertrag zurückgewiesen, weil er nicht sicherstellte, dass die BewohnerInnen der Westsahara davon profitierten. Die Reaktion der marokkanischen Diplomatie hat nicht lange auf sich warten lassen: Sie hat Garantien von Seiten der EU gefordert, dass keine anderen Verträge in Frage gestellt werden können.


Amanda Ioset: Weshalb erhaltet ihr so wenig Unterstützung von den europäischen Ländern?

Omeima Abdeslam: Was die europäischen Länder wie auch die USA interessiert, ist die Stabilität Marokkos. Man muss daran erinnern, dass Marokko eine wichtige Durchgangsstation der Migration nach Europa darstellt und dabei ein bisschen den Wachhund der EU spielt. Was die arabischen Länder betrifft: Der Grossteil will kein unabhängiges Land mit starken Frauen wie die sahrauischen Frauen, die das Recht auf Scheidung haben, die keine häusliche Gewalt kennen und an der Politik teilhaben. Alle haben ihre Gründe, Marokko zu unterstützen, eine Diktatur, die von einem korrupten König regiert wird, der sein Volk als Klientel betrachtet, während wir Schwierigkeiten haben, Unterstützung zu finden.


Amanda Ioset: Gibt es Schweizer Unternehmen, die in der Westsahara tätig sind?

Omeima Abdeslam: Ja, zum Beispiel Glencore-Xstrata mit Domizil in Zug. Ich möchte gleichfalls aufmerksam machen auf ein anderes Problem, das die Schweiz beunruhigen sollte. Ich meine das "Crans Montana Forum", das eine wichtige Veranstaltung organisiert mit dem Titel "Afrika und Süd-Süd-Kooperation: Bessere Gouvernance für eine nachhaltige ökonomische und soziale Entwicklung". Die Veranstaltung findet vom 17. bis 22. März 2016 in der besetzten Stadt al-Dakhla statt. Das Forum ist nicht schweizerisch und die offizielle Schweiz nimmt nicht daran teil, aber die OrganisatorInnen benützen das Image und das Prestige der Schweiz, um Persönlichkeiten dorthin zu locken. Wir sind dabei, eine Kampagne zu machen, um den TeilnehmerInnen zu erklären, dass sie durch die Teilnahme am Forum implizit die marokkanische Okkupation der Westsahara anerkennen. Sie verhandeln mit dem Besatzer, was kein Mitglied der UN machen sollte, weil es den Friedensprozess blockiert.


Amanda Ioset: Was erwartest du in erster Linie von der schweizerischen Gesellschaft?

Omeima Abdeslam: Was ich mir wünsche, ist, dass die Zivilgesellschaft dieses friedliche Volk der Sahrauis kennenlernt. Für uns ist notwendig, dass die politischen Parteien mit uns darauf hinarbeiten, dass die Schweiz uns mit konkreten Taten unterstützt, damit die Schweiz, als das Land der Menschenrechte, die Menschenrechte in der Westsahara verteidigt.

Für mehr Infos siehe auch: www.westernsahara-referendum.org

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 11/12 - 72. Jahrgang - 26. März 2016, S. 7
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. April 2016

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