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VORWÄRTS/1330: Schuldig bei Verdacht


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 35/36 vom 26. Oktober 2017

Schuldig bei Verdacht

von Damian Bugmann


Um 1980 betrieb das "Komitee für unamerikanische Umtriebe" in Hollywood eine antikommunistische Hexenjagd. Der Theaterschaffende und Drehbuchautor Bertolt Brecht entkam im Herbst 1947 geschickt.

Der dokumentarische US-Spielfilm "Schuldig bei Verdacht" von Irwin Winkler von 1991 mit Robert De Niro in der Hauptrolle zeigt die offiziellen Übergriffe auf sozial aufstrebende Linksliberale. Wegen ihrer meist früheren politischen Tätigkeit in linken Parteien, Gruppen und Solidaritätskomitees, die für die an den Kriegsfolgen leidende Bevölkerung der Sowjetunion sammelten, werden vor allem DrehbuchautorInnen, aber auch RegisseurInnen und SchauspielerInnen vor dem Komitee verhört, um sich selbst zu belasten oder zu entlasten. Man verlangt von ihnen Namen, Namenslisten, Protokolle, Orte von privaten linken Zusammenkünften und wer dort was sagte, damit weitere Menschen verhört werden können. Der Verdacht, links zu denken und/ oder Mitglied der Kommunistischen Partei der USA gewesen zu sein, gilt als Beweis.

Das "Komitee für unamerikanische Umtriebe" befasste sich seit 1938 immer mehr mit Linken und KommunistInnen und immer weniger mit deutschen und japanischen FaschistInnen. Man witterte umstürzlerische kommunistische Zellen und wollte ihnen das Handwerk legen. Anfang 1945 wurde das Komitee als ständiger Ausschuss des US-Repräsentantenhauses etabliert. Zur gleichen Zeit machte der unzimperliche republikanische Senator Joseph McCarthy viel antikommunistischen Lärm, um 1952 wiedergewählt zu werden. Mit dem Ständigen Senats-Unterausschuss für Untersuchungen wetteiferte er mit dem Komitee für unamerikanische Umtriebe um sensationelle Enthüllungen und Schlagzeilen.

Zuerst sind im Film alle Figuren sympathisch solidarisch und erklären, ganz sicher nicht zu DenunziantInnen an FreundInnen und KollegInnen zu werden, sagen aber dann doch aus. Der wirtschaftliche und soziale Druck wird zu gross. Bei Nicht-Kooperation werden sie vom FBI überwacht und belästigt, erhalten faktische Berufsverbote, ihre Karrieren werden ruiniert, sie geraten in soziale Isolation, müssen das Eigenheim verkaufen, geraten in Trennung/Scheidung und/oder Alkoholismus. Um dies zu verhindern, kooperieren die Allermeisten, eine Schauspielerin macht Selbstmord, ein europäischer Drehbuchautor reist in sein Ursprungsland zurück. Politische und soziale Strukturen werden zerschlagen. Der Film "Schuldig bei Verdacht" zeigt diese moderne Hexenjagd gut und für Hollywood relativ nüchtern.


Exil in Europa und USA

1947 wurde Bertolt Brecht vom antikommunistischen Komitee in Washington verhört. Die Grossmacht USA wollte prüfen, ob seine Gesinnung für ihre Absichten schädlich sei. Die Grossmacht, die im vom Krieg zerstörten und faktisch bereits besiegten Japan kurz zuvor noch schnell zwei Atombomben getestet und dabei zwei Städte zerstört und verseucht hatte; und die sich anschickte, die Welt militärisch und wirtschaftlich zu beherrschen.

Der deutsche Theater- und Literaturschaffende (1898-1956) entkam 1933 seiner Verhaftung, gleich nach dem Reichstagsbrand verliess er Deutschland. Seine Bücher wurden zusammen mit denen vieler anderer jüdischer und antifaschistischer AutorInnen öffentlich verbrannt. Er verbrachte einen Teil seines Exils in den USA, einen Teil in Europa: Prag, Wien, Zürich, Tessin, Kopenhagen, Helsinki, Moskau. Er traf exilierte und einheimische Kulturschaffende, schrieb und reiste viel und suchte und fand Theater, die Stücke von ihm aufführten. 1935 ging er zum ersten Mal nach Moskau und New York, im Jahr darauf nahm er an einer antifaschistischen Kundgebung in New York teil und editierte in Moskau mit Willi Bredel und Lion Feuchtwanger die literarische Zeitschrift "Das Wort". 1939/40 weilte Brecht in Schweden und Finnland, im Jahr darauf reiste er über Moskau und Wladiwostok an die Westküste der USA und arbeitete dann in Santa Monica, fünf Meilen vor Hollywood.

Seine Theaterstücke und Bücher brachten nicht viel ein, er war gezwungen, auch Drehbücher an die Filmindustrie zu verkaufen. In einem Gedicht hielt er diese schizoide Situation fest: "Jeden Morgen, mein Brot zu verdienen/Gehe ich auf den Markt, wo Lügen gekauft werden./Hoffnungsvoll/Reihe ich mich ein zwischen die Verkäufer." Für sich schrieb er kleine, böse Analysen der US-Gesellschaft. Mit dem Schauspieler Charles Laughton verstand er sich sehr gut. Die beiden entwickelten 1946 die Figur des Galileo Galilei und das Drama "Leben des Galilei" für kommende Aufführungen in Beverly Hills, New York und Europa.


Das Publikum lachte viel

Am 30. Oktober stand Brecht Red' und Antwort vor dem Komitee für unamerikanische Umtriebe in Washington. Er sprach langsam, ruhig und überlegt, war erpicht darauf, niemanden zu verraten und machte Sprüche, über die das zahlreiche Publikum gerne lachte. Auf YouTube gibt es Ausschnitte aus den Verhören. Die Frage nach "sehr revolutionären" Texten, die er geschrieben haben sollte, beantwortete er so: "Ich schrieb eine Anzahl Gedichte, Lieder und Theaterstücke im Kampf gegen Hitler, die man deshalb revolutionär nennen könnte, weil sie dazu dienten, dieses Regime zu stürzen." Nächste Frage: "Mister Brecht, haben Sie philosophische Werke von Lenin und Marx gelesen?" - "Selbstverständlich musste ich Marx' Ideen zur Geschichte studieren, um historische Theaterstücke schreiben zu können", war die listige Antwort, "ich denke, dass heute intelligente Stücke nicht geschrieben werden können ohne solche Studien, da die Geschichte stark von diesen Ideen beeinflusst ist." Ein Komiteemitglied las ein kompromittierendes Gedicht auf Englisch vor und wollte wissen, ob er das geschrieben habe. "Nein, denn das deutsche Gedicht, das ich schrieb, tönt ganz anders!" - lautes Lachen im Saal. Und die ehrliche Antwort auf die für das Komitee eminent wichtige Frage, ob er je Mitglied irgendeiner kommunistischen Partei gewesen sei, lautete: "Ich bin und war nie Mitglied einer kommunistischen Partei. Ich war und bin ein unabhängiger Schriftsteller." Er denke, es sei deshalb das beste, in keine Partei einzutreten. "Ich schrieb nicht nur für deutsche Kommunisten, auch für sozialdemokratische Arbeiter, katholische Gewerkschafter und für Arbeiter, die nie in einer Partei waren."


Und ab nach Europa

Brecht war zusätzlich im Vorteil, weil er weder Familie noch Verwandte noch Eigenheim noch festes Einkommen in den USA hatte. Am Tag nach dem Verhör bestieg er das Flugzeug in die Schweiz, um in Zürich und Chur eigene Stücke zu inszenieren. Für die Galilei-Aufführung vom 7. Dezember in New York ging er noch einmal zurück und musste ein weiteres Mal vor dem Komitee erscheinen, das offenbar nicht mehr aus ihm herausbekam.

Hanns Eisler hatte vor dem Komitee mehr Stress. Der österreichische Komponist und Musiker, der viel mit Brecht arbeitete und nach seinen Aussagen vor dem Komitee aus den USA ausgewiesen wurde, sagte: "Dieses Verhör ist unheimlich und lächerlich zugleich. Das Komitee ist an meiner Aussage gar nicht interessiert. Es hat nur zwei Interessen: mich als Monster zu präsentieren und mich wegen Meineides ins Gefängnis zu stecken. Ich fühle mich wie ein Eingeborener, der sich mit Pfeil und Bogen gegen die Atombombe wehren muss."

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 35/36 - 73. Jahrgang - 26. Oktober 2017, S. 12
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
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E-Mail: redaktion@vorwaerts.ch
Internet: www.vorwaerts.ch
 
vorwärts erscheint 14-täglich,
Einzelnummer: Fr. 4.-
Jahresabo: Fr. 160.-, reduziert (AHV, Stud.) 110.-
Probeabo: 4 Ausgaben gratis


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. November 2017

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