vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 05/06 vom 15. Februar 2018
Niederlage und Zukunft
von Siro Torresan
Am 30. Januar startete in der Bildungsgruppe PolitArbeit & Theorie (BG PAT) der PdA Zürich ein neuer Lesezyklus. Thema ist das Buch "Niederlage und Zukunft des Sozialismus" von Heinz Hans Holz. Der Autor ruft auf, die eigene Geschichte zu verarbeiten, aber nicht in Trauerarbeit.
"Das Buch ist in einer sehr verständlichen Sprache geschrieben",
stellte eine Genossin gleich zu Beginn des Abends fest und fügte
hinzu: "Es lässt sich sehr flüssig lesen." Beweis dafür ist, dass es
während der ganzen Diskussion, die gut 90 Minuten dauerte, praktisch
keine Verständnisfragen zum Text gab. Es wurde immer über den Inhalt
diskutiert und dies spricht für die Qualität des Buches.
Veröffentlicht wurde es vom Verlag Neue Impulse und zwar im Jahr 1991,
also gleich nach dem historischen Rückschlag des Sozialismus. So
erstaunt es wenig, dass die Diskussion immer wieder auf dieses
geschichtliche Ereignis und dessen Folgen zurückkam. "Unter den Linken
fand damals ein allgemeines Wundenlecken statt", stellte ein Genosse
wenig charmant, aber umso treffender fest. Es war eine Zeit, der
massiven gesellschaftlichen Veränderung und für die Linke,
insbesondere für die KommunistInnen, eine Zeit des sich Hinterfragens:
Man suchte krampfhaft und teilweise hilflos nach Antworten, fand aber
immer nur Fragen, die zu noch mehr Fragen führten, ein Teufelskreis
ohne sichtbares und vorstellbares Ende. Es war auch die Zeit, in der
"die klassischen Patrons verschwanden und an ihrer Stelle die Manager
kamen", hielt eine Genossin fest. Dies steht sinnbildlich für jene
Jahre, in denen der Neoliberalismus seinen barbarischen Feldzug
begann.
Passend zu jener Zeit lautet der Titel des ersten Kapitels "Marxismus in der Krise?". Holz beginnt sein Werk mit folgender Aussage: "In der Frage, was die theoretische Grundlage kommunistischer Parteien in Zukunft sein solle, gibt es offenbar einige Verwirrung. Zurück zu Marx, sagen die einen, als ob es nicht seitdem ein Jahrhundert politische Praxis und Theorieentwicklung gegeben hätte. Ohne Marx, sagen die anderen, weil dessen Theorie veraltet sei. Neues Denken, sagen die Dritten, aber sie können nicht recht sagen, was sie darunter verstehen. Vielleicht ganz ohne Theorie und mit beliebigem Meinungspluralismus wollen es schliesslich auch einige haben." Kurz auf Punkt gebracht: Was tun und wie weiter? Einen zentralen Aspekt, um die beiden Fragen zu beantworten, erarbeitet und erklärt Genosse Holz am Ende des ersten Kapitels. Er hält fest, dass der Aufbau des Sozialismus und der internationale Kampf der KommunistInnen unter "äusserst widersprüchlichen Bedingungen" stattfanden und zu "Widersprüchen, Fehlern und Deformationen" führten, die Teil der Geschichte der KommunistInnen sind. Der Autor ruft dazu auf, die eigene Geschichte zu verarbeiten, aber nicht in "Trauerarbeit", sondern "wissenschaftlich mit strengem Blick zurück und energischem Blick nach vorn". Holz kommt zum Schluss: "Schon deshalb ist der Ruf 'Zurück zu Marx' falsch: Marx, Engels, Lenin sind selbstverständlicher Bestand unseres theoretischen Bewusstseins, immer zu bewahren und immer neu zu erarbeiten."
In der Diskussionsgruppe der BG PAT herrschte darüber Einigkeit, dass dies eine "Kernaussage" im ersten Kapitel sei, genauso wie folgende: "Politisches Handeln ist jedoch mehr als nur die Umsetzung von Theorie in Praxis. Es ist vor allem auch Vergegenwärtigung historischer Erfahrung, der Erfolge und Fehler der eigenen Geschichte." Und um die Wichtigkeit des Aufarbeitens der eigenen Geschichte zu unterstreichen, sei ein anderer, grosser Denker und Kommunist des 20. Jahrhunderts zitiert, Pietro Ingrao: "Wer keine Vergangenheit hat, hat keine Zukunft und ist zu einem ewigen Präsens verdammt." Genosse Ingrao starb am 27. September 2015 in Rom im hohen Alter von 100 Jahren.
Im Unterkapitel "Widerspruch des Kapitalismus" erläutert Holz die "Unterordnung des Menschen unter die Kapitalinteressen" anhand eines Vorfalles in der Schweiz: "Im Waadtländer Kantonsparlament wurde ein Antrag auf Erlass eines Rauchverbots in öffentlichen Räumen abgelehnt. Begründung: Ein Rauchverbot in öffentliche Räumen würde nicht zu einer Reduktion der Gesundheitskosten führen, da eine Verlängerung des Lebens eine Erhöhung der Betreuungskosten für Betagte nach sich ziehen würde." Die Absurditäten des Kapitalismus führten zu einer angeregten Diskussion und zu viel Kopfschütteln. Aber auch zu Fragen wie: Warum nehmen es viele einfach hin? Warum halten viele die Absurditäten für normal?
Der Autor zeichnet sich dadurch aus, dass er Wesentliches mit einfachen Worten auf den Punkt bringt: "Mythologie, Religion, Kunst, Philosophie vertreten im Bewusstsein der Menschen das wirkliche Sein. Je geringer oder schiefer ihre Kenntnis davon ist, umso phantastischer ist die Ideologie; je grösser und genauer ihre Kenntnis, umso mehr nähern sie sich einer wissenschaftlichen Weltanschauung." Oder: "Die Voraussetzungen einer nicht bloss pragmatischen, gar opportunistischen sozialistischen Politik, die das Ziel der Überwindung des Kapitalismus und des Übergangs zur klassenlosen Gesellschaft nicht aus dem Auge verliert, ist die ständige Arbeit an der richtigen Theorie der Wirklichkeit, in der wir leben."
Die Fortsetzung des Buchs verspricht Spannung und für Diskussionsstoff ist sicher gesorgt. Denn Holz spart auch nicht mit "Selbstverständlichkeiten für KommunistInnen", die er im Kapitel 2 festhält. Beginnen werden wir die nächste Runde der BG PAT am Dienstag, 20. Februar, aber mit der letzten Aussage im ersten Kapitel, die praktisch Kapitel 2 einläutet: "Die Aufgabe der Kommunisten ist es, an der Spitze der Entwicklung von Klassenbewusstsein zu stehen, weil sie über eine wissenschaftliche Weltanschauung verfügen. Mag zu Zeiten die Erfüllung dieser Aufgabe auch schwer fallen - wer Kommunist sein will, muss sich ihr stellen und gewachsen fühlen." Nun, so ein Satz hätte vor 25 Jahren in einer Diskussion unter Linken zu hochroten Köpfen geführt. Bestimmt wäre der wütende Vorwurf gekommen: Ihr ewiggestrigen KommunistInnen mit eurer Vorstellung der Avantgarde. Wie sieht es aber ein Vierteljahrhundert später aus, in dem der Neoliberalismus gewütet hat und kein Ende des Wütens in Sicht ist? Welche "Selbstverständlichkeiten" sind notwendig, um den Kampf gegen das Monster zu führen?
Infos zur BG PAT: www.pdazuerich.ch
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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 05/06 - 74. Jahrgang - 15. Februar 2018, S. 10
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. März 2018
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