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VORWÄRTS/1409: Kulturzentrum Reitschule - Polizei zündelt und provoziert


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 29/30 vom 20. Sept. 2018

Polizei zündelt und provoziert

von Damian Bugmann


Bürgerliche Kreise werden nicht müde, das traditionsreiche Berner Kulturzentrum Reitschule anzugreifen. Nach zahlreichen gescheiterten Attacken in vier Jahrzehnten sind jetzt der kantonale Polizeidirektor und seine Mannen von "Police Bern" an der Reihe.


Die Reitschule wurde in den frühen 80er-Jahren von der Berner "Bewegung" für zwei Jahre als autonomes Zentrum besetzt und mit dem Einverständnis der Stadtbehörden eröffnet. Mit Bar und Skaterbahn im Erdgeschoss der früheren Stallungen, mit Teestübli, Konzertraum und Übungsraum für Bands im ersten Stock und mit gelegentlichen Konzerten und Festivals in der grossen Halle, wo früher mit den Pferden im Sägemehl geübt worden war. Die Vollversammlungen der "Bewegungen" fanden im ersten Stock statt, viele Demos gingen von der Reitschule aus.

Seit es das autonome Zentrum auf der Schützenmatte gibt, wird es von den bürgerlichen Stadtparteien bekämpft; heute ist in diesem Lager die SVP diesbezüglich am eifrigsten. Mehrere Abstimmungen für eine Nutzung als Kultur- und Kommerzzentrum oder für einen Abriss scheiterten. Auch der Versuch, mittels Grossrat kantonale Gelder für die Stadt zu sperren, verpuffte. Die "rot-grüne" Stadtregierung, der Gemeinderat, nahm in den letzten Jahren eine vermittelnde bis schützende Funktion gegenüber dem Kulturzentrum wahr. Nach dem behäbigen Sozialdemokraten Alexander Tschäppät übernimmt auch der neue Stadtpräsident und Patrizier Alec von Graffenried von der Grünen Freien Liste diese Rolle.


In Grenadiermontur

Immer wieder gab es heftige Auseinandersetzungen rund um die Reitschule zwischen BenützerInnen des Kulturzentrums und Polizeieinheiten, die Polizei warf den BetreiberInnen vor, "KrawallmacherInnen" zu schützen. Diesen August gab es eine weitere Konfrontation. Die Polizei gab an, sie sei trotz ihrer Zurückhaltung mit Flaschen und Eisenstangen attackiert worden. Ihnen wurde vorgeworfen, sie seien demonstrativ und provozierend mit mehreren Kastenwagen und in Grenadiermontur aufgefahren; es bestehe der Verdacht auf eine gesuchte Eskalation seitens der Polizei. Anfang September wurden bei verschiedenen Zusammenstössen mehrere Beteiligte verletzt.

Der kantonale Polizeidirektor Philippe Müller verteidigte Anfang September in einem Zeitungsinterview das Vorgehen der Polizei und verlangte von der Stadtregierung eine klare Distanzierung von der "Gewalt der Chaoten". Und noch mehr: "Der Gemeinderat soll in corpore und zusammen mit Polizisten vor die Reitschule stehen mit einem Transparent, auf dem steht: Keine Gewalt gegen Polizisten." Stadtpräsident von Graffenried konterte selbstbewusst, er nehme nicht Stellung zu Müllers Forderungen: "Wir reden direkt mit dem Regierungsrat und kommunizieren nicht via Medien mit anderen Behörden." Und, ergänzte er, mit einem Transparent vor der Reitschule zu stehen, wäre dem Auftrag des Gemeinderats nicht angemessen. Er plädiert für die Deeskalationsstrategie der Polizei rund um die Reitschule und Fussballereignisse.


Stadtpolizei wäre besser

In einem offenen Brief fordert die Mediengruppe der Reitschule von der Stadt Massnahmen für eine stärkere Kontrolle der Polizei. Sie wirft den KantonspolizistInnen von "Police Bern" Rassismus und Machtmissbrauch vor und fordert die Wiedereinführung der Stadtpolizei und damit eine bessere demokratische Kontrolle über Polizeieinsätze. Die Wiedereinrichtung der Stadtpolizei ist auch rund um das Referendum gegen das Grundrechte missachtende neue kantonale Polizeigesetz zu hören. Weiter fordert die Reitschule ein Verbot von Gummigeschossen jeder Art und der Behinderung von Filmenden auf dem Stadtgebiet, dazu eine unabhängige Ombudsstelle und eine unabhängige Untersuchungsinstanz für "Police Bern".

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 29/30 - 74. Jahrgang - 20. September 2018, S. 5
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Oktober 2018

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