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VORWÄRTS/1475: Das "Generationenbier"


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 17/18 vom 31. Mai 2019

Das "Generationenbier"

von Sabine Hunziker


Was passiert, wenn '91 auf '19 trifft? Dann treffen Zeitzeug*innen auf künftige Zeitzeug*innen. So geschen in Bern, wo sich Aktivist*innen von 1991 mit den Aktlvist*innen des aktuellen Frauenstreiks trafen und dabei Erfahrungen austauschten. Einiges hat sich geändert, doch das Treffen half mit, Synergien zu bündeln.


Der Countdown läuft und alle sind schon etwas nervös: es gibt noch viel zu tun. Frauen* aus unterschiedlichen Gruppen und Generationen trafen sich zum "Generationenbier" am 15. Mai im Progr in Bern. Vor dem gemütlichen Austausch zeigten die Veranstalter*innen noch Filmausschnitte zu Frauen*kämpfen aus den letzten 30 Jahren und es sprachen Aktivist*innen von Gruppen wie der SUB Bern (Studierendenschaft der Universität Bern), das Frauen*streikkollektiv an den Berner Hochschulen oder der regionalen Koordinationsgruppe Bern.

Die Geschichte, wie die Streikidee über die Jahre gereift ist, war schnell erzählt. Die Nichtumsetzung des Verfassungsartikels, strukturelle Diskriminierung und auch die Erstarkung der Frauen*bewegung in aller Welt wie beispielsweise im Spanischen Staat waren Motor, dass Anfangs 2018 der Funke in der Romandie gezündet wurde. Schnell waren Streikkollektive in der ganzen Schweiz gegründet und der offizielle Startschuss im Dezember am SGB-Kongress war nur noch Formsache. Gewerkschaften versuchen den Arbeiter*innen und Frauen* den Streik zu ermöglichen, die Aktivist*innen organisieren sich aber da, wo sie leben und zu jenen Themen, die sie selbst betreffen. Bündel von Forderungen waren schnell gefunden, denn viele konnten noch vom Frauenstreik 1991 übernommen werden, da heute ähnliche Macht- und Abhängigkeitszustände vorhanden sind, welche es zu bekämpfen gilt. Bei so vielen dezentralen Aktionen geht schnell der Überblick verloren. In dieser Zeit rund um den Streik findet sich auch "feminisT-washing" (gender washing), wo Bürgerliche oder sogar Rechte mit "Feminismus" Werbung für sich machen wollen. "Lasst euch nicht blenden, meinte eine Aktivistin.


Auf die Strasse zu gehen, hat Mut gebraucht

Die Erfahrungsberichte von den Zeitzeug*innen von 1991 haben viele Gemeinsamkeiten mit den Berichten der jüngeren Frauen*. Barbara Gurtner (heute 74 Jahre alt) war ein Leben lang politisch aktiv wie unter anderem in den 1980er-Jahren im Nationalrat (BE, Poch). "Es ist 1991 gelungen, den Streik überall hineinzubringen", meinte Gurtner. Beispielsweise hatten ihre Töchter 1991 alte Skijacken lila eingefärbt und sind an den Streik gegangen. Der Bundesplatz war gefüllt. Am Arbeitsplatz, wo Barbara Gurtner damals arbeitete, arbeitete ein reines Frauenteam. Hier wurde natürlich gestreikt. Auch eine ihrer Freundinnen hatte gestreikt. Allerdings wurde der Logopädin auf der Lohnabrechnung der Tag abgezogen und nicht entlohnt.

Gurtner erinnerte sich allgemein an die damalige Zeit und erzählte einige Anekdoten. Da das Frauen*stimmrecht 1971 eingeführt wurde, konnte sie erst in ihren 20er-Jahren das erste Mal abstimmen gehen. "Es war wie laufen lernen", Frauen* waren politisch nicht geübt. In den 198Oern wurde Barbara Gurtner in den Stadtrat gewählt. Schnell aber lernte sie dazu und machte einen Vorstoss zum Thema "Gratis Selbstverteidigungskurse für Frauen und Mädchen." Männer reagierten teilweise sehr aggressiv auf Frauen*, die sich für ihre Rechte einsetzten. Es hat oft viel Mut gebraucht, wenn man auf die Strasse gegangen ist. Erst war diese Aktionsform eher für die klassischen Streiks der Gewerkschaften reserviert. Erst mit den 1980er-Jahren kamen langsam erste Veränderungen. Vorher durften Männer* Frauen* verbieten zu arbeiten. Barbara Gurtner erinnerte sich an den Satz: "Das Private ist politisch" der ihre Generation stark geprägt hatte. Frauen*, die keine Lohnarbeit machten, blieben ziemlich einsam im Haushalt zurück. "Grüne Witwen, nannten wir sie", meinte Gurtner. 1991 hiess es dann: "jetzt längt's", weil die Gleichstellung nicht umgesetzt wurde.


Luxussituation

Es ist aber so, dass heute Forderungen um das Thema "Frauen* in der Arbeitswelt" mit der Lohngleichheit oder gegen sexuelle Belästigung und auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf genauso aktuell sind wie damals. "Es ist auch heute noch ein Thema", so Gurtner. Aber es hat sich auch einiges geändert: "Frauen* sind selbstbewusster geworden. Es gibt mehr Frauen*, die sich trauen, alternative Lebensmodelle zu wagen. Sie haben auch mehr Geld als früher und damit mehr Möglichkeiten. Kurz: das Bild der Frau* hat sich gewandelt." Nathalie Imboden, unter anderem Co-Präsidentin der Grünen Kanton Bern, ist auch Zeitzeugin. Der 14. Juni ist für sie persönlich ein Highlight, weil der Streik sie stark politisiert hat. Am Morgen vom 14. Juni fuhr Imboden in flattrigen lila Hosen gekleidet von ihrem Wohnort Richtung Bern. Bereits im Bahnhof nahm sie die Stimmung wahr: es hatte da so viele Frauen*. Nathalie Imboden war den ganzen Streiktag präsent und verteilte unter anderem Flyer und Kleber. Am Abend traf man sich am Läuferplatz in der "Frauenlaube. Es gab den kollektiven Moment. Alleine ist vieles schwierig, mit vielen ist alle möglich. Wir kämpften zusammen und machten kreative Aktionen. Für 2019 könnte man copy and paste machen, weil vieles noch ähnlich ist. Druck machen, gemeinsam und damit mehr Möglichkeiten. Kurz: das Bild der Frau* hat sich gewandelt." Nathalie Imboden, unter anderem Co-Präsidentin der Grünen Kanton Bern, ist auch Zeitzeugin. Der 14. Juni ist für sie persönlich ein Highlight, weil der Streik sie stark politisiert hat. Am Morgen vom 14. Juni fuhr Imboden in flattrigen lila Hosen gekleidet von ihrem Wohnort Richtung Bern. Bereits im Bahnhof nahm sie die Stimmung wahr: es hatte da so viele Frauen*. Nathalie Imboden war den ganzen Streiktag präsent und verteilte unter anderem Flyer und Kleber. Am Abend traf man sich am Läuferplatz in der "Frauenlaube. Es gab den kollektiven Moment. Alleine ist vieles schwierig, mit vielen ist alles möglich. Wir kämpften zusammen und machten kreative Aktionen. Für 2019 könnte man copy and paste machen, weil vieles noch ähnlich ist. Druck machen, gemeinsam Druck machen: denn wir haben die Luxussituation, dass wir das Gesetz schon haben, aber die Umsetzung davon nicht. Man darf sich nicht von den Schritten blenden lassen, die schon passiert sind, meinte Imboden. Beispielweise ist der 20 Prozent-Anteil von Professorinnen an den Unis ein Fortschritt, doch ein 80 Prozent-Anteil an Professoren nicht akzeptabel. "Wir sind auf einem guten Weg, doch es gibt die starken "old boy"-Netzwerke. Männer* ziehen Männer* nach", so sagte eine Aktivistin aus dem Publikum. "Wir müssen eigene Netzwerke schaffen, Frauen*räume fordern und uns den Platz in der Gesellschaft nehmen". "Nicht vergessen, nach dem Streik ist vor dem Streik", sagte eine andere Akivistin und lachte.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 17/18 - 75. Jahrgang - 31. Mai 2019, S. 5
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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Redaktion: vorwärts, Postfach 2469, 8026 Zürich
Telefon: 0041-(0)44/241 66 77,
E-Mail: redaktion@vorwaerts.ch
Internet: www.vorwaerts.ch
 
vorwärts erscheint 14-täglich,
Einzelnummer: Fr. 4.-
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Probeabo: 4 Ausgaben gratis


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juni 2019

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