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VORWÄRTS/1503: Gegen Erhöhung des Rentenalters - für Lohngleichheit!


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 27/28 vom 6. September 2019

Gegen Erhöhung des Rentenalters - für Lohngleichheit!

von Sabine Hunziker


Das Schneckentempo wird fortgesetzt: Bis das revidierte Gleichstellungsgesetz im Juli 2020 in Kraft tritt, dauert es noch. Aktivist*innen bleiben aber nicht untätig: Zusammenstehen und gegen die "AHV 21" kämpfen, dies wurde von der nationalen Koordination beschlossen.


Auf Angriffe rasch antworten, das war ein Ziel beim Treffen der nationalen Koordination in Grenchen. Wir erinnern uns alle an den Tag, als Bundesrat Berset kurze Zeit nach dem Frauen*streik im Rahmen einer Medienkonferenz detaillierter zu AHV-Reformplänen informierte. Zur "Stabilisierung" der AHV soll das Rentenalter der Frau* auf 65 erhöht werden. Diese Erhöhung soll schrittweise um drei Monate pro Jahr erfolgen.


So geht es nicht!

Am 1. August 2019 demonstrierten Frauen* aus den Streikkollektiven in Yverdon-les-Bains (der vorwärts berichtete), wo der Bundesrat seine Rede hielt. Noch am 14. Juni hatte Berset sich in den sozialen Medien mit dem Streik solidarisiert, nun will er das Frauen*rentenalter erhöhen. Das von Berset im Juli präsentierte Reformpaket umfasst neben der Angleichung des Frauen*rentenalters an das Rentenalter der Männer* auch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer. Der Bundesrat argumentiert, diese Massnahmen seien nötig, um gegen die finanzielle Schieflage der AHV vorzugehen: Weil die Menschen im Durchschnitt älter werden, müssten die Renten länger ausbezahlt werden. Mit Zusatzeinnahmen sanieren, das will der Bundesrat. Einen Drittel bis die Hälfte der Einsparungen, welche die Erhöhung des Frauenrentenalters bringt, kann die Regierung durch höhere Frauen*renten kompensieren, so der Plan. Frauen* finden aber, dass die Erhöhung des Frauen*rentenalters ohne Aussicht auf Lohngleichheit und Anerkennung der unbezahlten Arbeit nicht geht. Die vorgeschlagenen Kompensationsmassnahmen machen nichts wett. Die Kompensation beträgt bloss ein Drittel dessen, was die Frauen* durch die Erhöhung des Frauen*rentenalters an die Reform beitragen sollen.


Rentenalter betrifft alle Frauen*

Aktivist*innen vereinen sich gegen Bersets Rentenreform: Die Organisator*innen vom Frauen*streik wollen aktuelle Kräfte der Bewegung nutzen, um die Rentenreform von Alain Berset zum Scheitern zu bringen. An der nationalen Koordination in Grenchen wurde daher unter der Rubrik "kurzfristige Ziele" beschlossen, gegen das Projekt "AHV 21" vorzugehen, das eben die Erhöhung des Frauen*rentenalters vorsieht. "Das Rentenalter jetzt zu erhöhen, ist ein Symbol dafür, was uns angetan wird", sagte eine Aktivistin in Grenchen während ihres Redebeitrags. "Aber wir haben gute Chancen", ergänzte sie, "das Rentenalter betrifft alle Frauen*.". Eine gemeinsame Kampagne wird in nächster Zeit gestartet.

Nach der Sitzung der nationalen Koordination werden in den nächsten Tagen und Wochen schweizweit Kollektive über die Beschlüsse informiert und in Folge daran arbeiten, um gegen die Reform zu protestieren. Themen und Daten sind dick in der feministischen Agenda eingekreist und passende Forderungen finden sich im Papier "Aufruf zum Frauen*streik": Es braucht statt einer Erhöhung des Rentenalters eine Senkung der Erwerbsarbeitszeit für alle, sowie eine finanzielle Anerkennung der unbezahlten Sorgearbeit, bessere Löhne und Arbeitsbedingungen im bezahlten Care-Sektor.


Genügen Änderungen, um Lohngleichheit zu fördern?

Auch der Schweizerische Gewerkschaftsbund drängt auf rasche Umsetzung. Trotzdem tritt das revidierte Gleichstellungsgesetz erst am 1. Juli 2020 in Kraft. So geht die Umsetzung bezüglich Lohngleichheit noch immer im Schneckentempo voran. Verabschiedet vom Parlament wurde die Revision des Gleichstellungsgesetzes im Dezember 2018. Änderungen sind minimal, konkrete Resultate werden auf sich warten lassen und aufgrund einer Klausel wird die Möglichkeit, Lohngleichheitsanalyse durchzuführen, bald wieder rückgängig gemacht. Was bleibt, ist Enttäuschung - Was ist passiert? Die vom Bundesrat an einer Sitzung im August 2019 verabschiedete Verordnung zum Gleichstellungsgesetz sieht vor, dass Unternehmen mit 100 oder mehr Angestellten verpflichtet sind, alle vier Jahre eine Lohngleichheitsanalyse durchzuführen. Diese Analyse wird durch eine unabhängige Stelle geprüft mit dem Ziel, eine bessere Durchsetzung der Lohngleichheit zu fördern. Erste betriebsinterne Lohngleichheitsanalyse müssen bis Ende Juni 2021 vorliegen. Durch Externe überprüft werden sie ein Jahr später. Um die Angestellten zu informieren, haben die Unternehmen ein Jahr Zeit. Mit diesem Vorgehen können konkrete Resultate erst ca. 2023 vorliegen. Während der Geltungsdauer müssen die Lohngleichheitsanalysen alle vier Jahre wiederholt werden, es sei denn, eine Analyse zeigt auf, dass kein unerklärbarer systematischer Lohnunterschied zwischen Frauen* und Männern* feststellbar ist.


Erneut ein Zeichen setzen

Es stellt sich hier sofort die Frage, ob diese Änderungen reichen, um Lohngleichheit zu fördern. Fakt ist, dass das Parlament eine Geltungsdauer festgelegt hat. Die Lohngleichheitsanalysepflicht dauert 12 Jahre. Mit Hilfe der sogenannten "Sunset-Klausel" wird die Änderung sowie die dazugehörige Verordnung auf den 1. Juli 2032 automatisch ausser Kraft gesetzt. "Die Sunset-Klausel war ein FDP-Antrag, wie sie ihn bei anderen Gesetzen auch eingereicht haben. In meinen Augen ist es der Versuch, ein schwaches Gesetz weiter abzuschwächen", sagt Regula Bühlmann, die als Zentralsekretärin beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) arbeitet. Auch verliert jedes Gesetz seine Wirkung, wenn seine Nichteinhaltung keine rechtlichen Konsequenzen hat. Dies ist beim Gleichstellungsgesetz der Fall. So wird sich mit diesem Gesetz jedenfalls die Lohnsituation der Frauen* so rasch nicht ändern.

Vor 100 Jahren streikten Textilarbeiterinnen in den USA für Brot und Rosen - 100 Jahre später haben Frauen* noch immer nicht den Lohn, den sie verdienen. Was bleibt, ist erneut ein Zeichen zu setzen und zusammen mit den Gewerkschaften Druck aufzubauen.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 27/28 - 75. Jahrgang - 6. September 2019, S. 4
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Oktober 2019

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