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VORWÄRTS/1548: Frauen* - weltweit Opfer von Gewalt


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 41/42 vom 20. Dezember 2019

Frauen*: weltweit Opfer von Gewalt

von Sabine Hunziker


Am 25. November hiess es wieder: "Ni una menos - Nicht eine weniger!". Trotz der Istanbul-Konvention, die seit 2018 in der Schweiz in Kraft ist, hat sich zu wenig geändert. Alle 14 Tage wird ein Femizid begangen. So muss die Prävention weiter gefördert werden, anstatt Symptome zu bekämpfen.


12 Frauen* waren am Mitbring-Themenbrunch am Sonntag, 17. November 2019 im neuen feministischen Streikhaus in Zürich mit dabei. Inhalt war die Weiterarbeit zur Kampagne "Ni una menos" und die Vorbereitung der Aktion zum 25. November. "Es gab einen Input zu Frauenhäusern in der Schweiz. In einem ersten Abschnitt wurden die Zahlen verdeutlicht. 35 Prozent aller Frauen* weltweit werden Opfer von Gewalt - die meisten von einem Familienmitglied oder einem Ex-Partner. In der Schweiz wird alle 14 Tage ein Femizid begangen.

Neben der häuslichen Gewalt wurde auch die strukturelle Gewalt angesprochen, von welcher Migrant*innen besonders betroffen sind", erzählte eine Aktivistin. Es galt hier zu zeigen, dass unter häuslicher Gewalt nicht nur Frauen* leiden, sondern auch die involvierten Kinder, welche direkt oder indirekt die Gewalt der Väter erfahren. Dies führt dazu, dass in den Frauenhäusern etwa die Hälfte aller Plätze von Kindern genutzt werden. Leider gibt es bis heute nicht in allen Kantonen Zufluchtsorte und schweizweit sind nur etwa ein Drittel der notwendigen Plätze vorhanden. Eine verbindliche rechtliche Grundlage für das Thema Gewalt an Frauen* und häusliche Gewalt wurde durch die Istanbul-Konvention des Europarats geschaffen, welche seit 2018 in der Schweiz in Kraft ist. Besonders ist hier hervorzuheben, dass die Konvention niemanden ausschliesst aufgrund des biologischen oder sozialen Geschlechts, Geschlechtsidentität oder anderen Merkmalen wie "Ethnie", Religion etc. Weiter verfolgt die Konvention einen ganzheitlichen Ansatz von der Prävention bis zu Schutz und Strafverfolgung.


Gewaltspirale aufbrechen

Trotz Istanbul-Konvention des Europarats muss noch viel getan werden: Die Prävention wird weiter gefördert, anstatt nur Symptome zu bekämpfen. Prävention heisst hier im feministischen Streikhaus: Solidarität statt Stigmatisierung, Abschaffung des Patriarchats, Gewaltspirale aufbrechen und Machtverhältnisse, welche durch problematische Rollenbilder und Normen der Kernfamilie bestehen, bekämpfen. Um weiter erfolgreich zur Tat schreiten zu können, müssen Vorbilder wie feministische Kämpfe analysiert werden. So gab es eine kurze Vorstellung der "Ni una menos"-Bewegung, welche in Argentinien begann und im Anschluss an den Streik auch in der Schweiz aufgebaut wurde. Aktivist*innen in Zürich sorgen für grössere Aufmerksamkeit, indem nach einem begangenen Femizid eine Kundgebung auf dem "Ni una menos"-Platz (Helvetiaplatz) stattfindet. Ziel ist es dabei, neben der Aufmerksamkeit auch das Wording in den Medien zu ändern - weg von "Beziehungs- und Liebesdramen" zum richtigen Wort: Femizid. Doch nicht nur Argentinien war im Fokus der Brunch-Teilnehmer*innen: eine Frau aus Mexiko erzählte mehr zur "Ni una menos" in Mexiko und legte dar, dass neben etwa zehn Femiziden pro Tag besonders das Verschwinden von Frauen* ein grosses Problem ist. Es gibt in den grossen Städten Frauen*bewegungen, die dagegen kämpfen.


Selbstbestimmt und kämpferisch

Am 25. November war der internationale Tag gegen Gewalt an Frauen* und Mädchen*. In einigen Schweizer Städten organisierten sich Frauen*, um auf das Thema der Femizide und Gewalt aufmerksam zu machen. In Basel sammelte sich eine Demo am Abend auf dem Theaterplatz: "Diese patriarchale Gewalt hat System. Sie trifft uns, wenn wir begafft oder begrabscht werden. Sie trifft uns, wenn wir nicht ernst genommen oder übergangen werden. Sie trifft uns, wenn wir nicht die Person sein können, die wir sein wollen. Sie trifft uns, wenn wir wie selbstverständlich Pflege-, Haus- oder Erziehungsarbeit übernehmen. Und sie trifft uns, wenn wir in unserem Leib und Leben bedroht werden".

Die Aktivist*innen reflektieren aber, dass patriarchale Gewalt Frauen* unterschiedlich trifft. Mit den Privilegien eines sicheren Aufenthaltsstatus und einem guten eigenen Einkommen ist es meist einfacher, sich aus gewalttätigen Beziehungen zu lösen. Auch in Zürich traf sich eine kämpferische Menge auf dem Helvetiaplatz. Es wurden Solibotschaften ausgesprochen: "Wir grüssen alle Frauen* und Mädchen* weltweit, welche am 25. November auf die Strasse gingen. Speziell grüssen wir die kämpfenden Frauen* in Chile, welche sich der massiven Polizeigewalt stellen". Die Demo stand auch in Solidarität mit der Frauen*revolution in Rojava und gegen das türkische Militärregime. "Ni una menos" bedeutet in Zürich auch, dass die politische Verfolgung von Nekane endlich ein Ende haben muss. Später nahmen sich 600 Frauen* trotz der Präsenz eines Polizeiaufgebots die Strasse. Aktivist*innen waren mit verschiedenen Aktionen und Stadtverschönerungen in der Zürcher Innenstadt aktiv.


Es war nicht meine Schuld

In Bern gab es am Abend des 12. Dezember eine Aktion auf der grossen Schanze. Mit Taschenlampen und Augenbinden ausgerüstet machten Aktivist*innen einen Flashmob. Ein choreografierter Protestsong gegen die Gewalt an Frauen*, der Ende November in Chile seinen Ursprung nahm, ist dabei Vorbild. Anlässlich des Internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen* versammelten sich hunderte von Demonstrant*innen zuerst in Valparaíso und danach vor der Kathedrale im Stadtzentrum von Santiago de Chile. Inzwischen ist dieser Protest in Form einer Tanzperformance auf zahlreiche Länder übergeschwappt. "Es war nicht meine Schuld, egal, wo ich war oder was ich anhatte. Der Vergewaltiger bist du!": Das ist der Inhalt der Performance. Vom feministischen Kollektiv Las Tesis stammt der Text, der auf das Werk der Argentinierin Rita Segato zurückgeht, die als Wissenschaftlerin über Ursachen männlicher Gewalt gegen Frauen* geforscht hat. Kritisiert wird damit auch die Argumentation, dass Frauen* selber schuld an der eigenen Vergewaltigung oder sogar Ermordung seien. Den Staat mit seinen männlich geprägten Strukturen, die die Unterdrückung zulassen, prangern die chilenischen Aktivist*innen an: "Es sind die Bullen. Die Richter. Der Staat. Der Präsident."

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 41/42 - 75. Jahrgang - 20. Dezember 2019, S. 7
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Januar 2020

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