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VORWÄRTS/1566: Weltweit umkämpft - Reproduktive Selbstbestimmung


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 07/08 vom 28. Februar 2020

Weltweit umkämpft: Reproduktive Selbstbestimmung

Vom Frauen-Café Winterthur


Viele Errungenschaften der Frauenbewegungen stehen unter Dauerbeschuss von rechts. So auch das umkämpfte Recht über den eigenen Körper zu bestimmen. Die Möglichkeit, eine Abtreibung vorzunehmen, besteht häufig nicht.

In der Schweiz gilt die Fristenregelung erst seit 2002 - nach einem langen Kampf. Während der ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft ist damit eine Abtreibung möglich. Ansonsten bleibt der Abbruch verboten. Seit Einführung der Fristenregelung nimmt die Zahl der durchgeführten Abbrüche tendenziell ab; 2018 waren es 10.457. Die tiefen Abtreibungszahlen erklären sich mit der flächendeckenden Gesundheitsversorgung, dem Zugang zu Verhütungsmitteln und der einigermassen vorhandenen Sexaufklärung. Im Vergleich zu anderen Ländern gibt es weniger minderjährige Mütter und eine tiefe Muttersterblichkeit.

Die Bedeutung der Religionen nimmt in der Schweiz ab. 2018 gaben 28 Prozent der Bevölkerung an, keiner Religion anzugehören. Deshalb versuchen fundamentalistische ChristInnen, ihren politischen Einfluss zu vergrössern. Sie haben 2019 dafür eine Lobby-Organisation gegründet, die "Christian Public Affairs" CPA. Die CVP gewährt ihr Zugang zum Bundesparlament. Es ist zu erwarten, dass sich ihre Lobbyarbeit direkt gegen die Rechte von Frauen sowie von Homo-, Bi- und Transsexuellen richtet. Einige Mitglieder der mehrheitlich evangelikalen CPA sind in der Vergangenheit bereits aufgefallen: Sie versuchten, MigrantInnen zu missionieren, sie verteidigten öffentlich die gegen Schwule und Lesben gerichtete sogenannte Konversionstherapie und setzten sich gegen die reproduktive Selbstbestimmung von Frauen ein.

Im September 2019 versuchte dieselbe religiöse Rechte, in Zürich erneut einen Anti-Abtreibungs-Marsch durchzuführen. Dabei stiess sie auf heftigen und vielfältigen Widerstand auf der Strasse. Die Polizei schützte die FundamentalistInnen, griff die Gegenmobilisierung massiv an und kesselte fast 180 Personen ein. Die Strafverfahren sind noch im Gang - die Betroffenen brauchen unsere Solidarität.


Fort- und Rückschrltte in ...

Die letzten Jahre waren geprägt von grossen feministischen Mobilisierungen in Lateinamerika, die zugleich das Recht auf Abtreibung forderten, wie sie gegen die grassierenden Frauenmorde protestierten. Pro Jahr werden auf dem Kontinent 6,5 Millionen Abtreibungen vorgenommen, drei Viertel davon unter unsicheren und kriminalisierten Umständen. Religiöse Vorurteile, Armut und der fehlende Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung hindern die Frauen daran, legale und sichere Abtreibung in Anspruch zu nehmen - so diese Möglichkeit überhaupt besteht. In einigen Ländern verzeichneten die Mobilisierungen erste Erfolge. Vielerorts halten die Kämpfe an.


Argentinien

In Argentinien versammeln sich seit 2015 Hunderttausende auf den Strassen mit den Forderungen: "Ni una menos - Nicht eine weniger" und: "Sexuelle Bildung, um zu entscheiden - Verhütung, um nicht abzutreiben - legale Abtreibung, um nicht zu sterben". Bisher sind Abtreibungen nur bei einer Vergewaltigung legal; aber auch dann wird dieses Recht häufig verweigert. 2017 gab es mehr als 2490 Mädchen unter 15 Jahren, die meist durch eine Vergewaltigung durch Familienmitglieder schwanger wurden. Im gleichen Jahr starben über 100 Frauen bei unsicheren, illegalen Abbrüchen. 2018 wurde ein Gesetzesentwurf abgelehnt, der Abtreibungen legalisieren wollte. Am kommenden 1. März steht ein neuer Entwurf zur Debatte. Die katholische Bischofskonferenz hat auf den 8. März Protestmessen angesetzt. Ausgerechnet am internationalen Frauenkampftag.


Kolumbien

In Kolumbien wurde 2006 die Abtreibung in drei Fällen legalisiert: bei Gefahr für die Gesundheit der Frau; bei einer Vergewaltigung oder Inzest; oder wenn der Fötus nicht lebensfähig ist. Die religiöse Rechte stellte sich dagegen - bis jetzt ohne Erfolg. Trotz der Legalisierung wurden 2016 noch 400.000 illegale Abtreibungen vorgenommen, während es 2017 gerade noch 10.517 legale Abbrüche gab. Aktivistinnen stellen klar, dass unter diesem Gesetz eine klassenspezifische Diskriminierung weiter besteht, da nur reiche Frauen in den Städten ihre Rechte in Anspruch nehmen können. Arme Frauen, vor allem auf dem Land, bleiben weiterhin den Risiken einer illegalen Abtreibung ausgesetzt.


El Salvador

In El Salvador besteht seit 1997 ein absolutes Abtreibungsverbot. Den Betroffenen und jenen, die sie medizinisch oder sozial unterstützen, drohen hohe Strafen. Gemäss WHO starben seither 11 Prozent der Frauen, die abgetrieben hatten. Seit Einführung des Verbots wurden zudem mehr als 30 Frauen zu langen Gefängnisstrafen verurteilt, weil sie Fehlgeburten oder andere medizinische Notfälle erlitten hatten. Meist trifft es auch hier Frauen aus den Unterklassen, die kaum Zugang zu Aufklärung, Verhütung und Gesundheitsversorgung haben. Aufgrund des Drucks feministischer Kampagnen wurden seit 2018 13 Frauen freigelassen, die bis zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt worden waren. Noch sind weitere 18 Frauen in Haft. 2018 gab es das Vorhaben einer teilweisen Legalisierung von Abtreibungen, doch kamen die Gesetzesentwürfe nie zur Abstimmung.


Ecuador

In Ecuador lehnte das Parlament im September 2019 einen Gesetzesentwurf zur teilweisen Entkriminalisierung des Abbruchs ab. Seit 1938 sind Abtreibungen nur bei Gefahr für das Leben der Schwangeren oder bei der Vergewaltigung einer geistig behinderten Frau zugelassen. Diskutiert wurde nun ein Gesetz, das Vergewaltigung, häusliche Gewalt und die schwere Missbildung des Fötus als weitere Gründe nannte. Die feministische Kampagne für legale und kostenlose Abtreibung stellte die hohe Zahl von Vergewaltigungen von Mädchen und jungen Frauen in den Vordergrund, die häufig zu Schwangerschaften führen. Zwischen 2008 und 2018 haben in Ecuador 20.000 Mädchen unter 14 Jahren Kinder geboren - die meisten aufgrund von Vergewaltigungen. Arme Mädchen und Frauen sind gerade in ländlichen Gebieten gezwungen, unsichere Abtreibungen durchführen zu lassen, die zu Komplikationen, Krankheit und Tod führen können.


Chile

In Chile wurde das Recht auf Abtreibung 2017 entschärft: bei Gefährdung der Mutter, bei der Nicht-Überlebensfähigkeit des Fötus oder einer Schwangerschaft durch Vergewaltigung. Viele ÄrztInnen weigern sich aber weiterhin, insbesondere bei Vergewaltigung Abbrüche vorzunehmen. Vor 2017 wurden ungefähr 33.000 illegale Abtreibungen jährlich durchgeführt. 2018 wurde eine generelle Fristenlösung vorgeschlagen; gleichzeitig wollte ein Gegenentwurf jegliche Abtreibungen verbieten. Auch in Chile kam es 2019 zu grossen Frauenmobilisierungen für das Recht auf legale, sichere und kostenlose Abtreibungen.


Südkorea

In Südkorea wurde 2019 nach 66 jahren das weitreichende Abtreibungsverbot gerichtlich eingeschränkt. Sieben von neun Verfassungsrichtern entschieden für die Rechte der Frauen: "Die Entscheidung über eine Schwangerschaft passiert nicht in einem luftleeren Raum, sondern hängt von den Umständen der Schwangeren ab. Wenn das Recht auf Schwangerschaftsabbruch nicht gegeben ist, kann dies zum Verlust der Menschenwürde führen." Abtreibungen waren bisher in den meisten Fällen zwar illegal und stark stigmatisiert, aber weit verbreitet. Viele Spitäler führten sie stillschweigend durch; viele Frauen reisten dafür auch nach China.


Rückschritte im Norden

Während die hiesigen Medien dem US-Präsidenten Trump tagtäglich viel Platz einräumen, wenn es um Syrien, den Iran oder das WEF geht, bleiben die von ihm gestützten Angriffe auf das Recht auf Abtreibung oft unerwähnt. Das seit 1973 durchgesetzte Recht der Frauen auf Abtreibung geriet 2019 besonders unter Beschuss: 17 Bundesstaaten haben Gesetze eingeführt, um Abtreibungen einzuschränken oder unmöglich zu machen. Innerhalb eines halben Jahres hat die religiöse Rechte über 58 solcher Gesetze vorgeschlagen, vor allem im Süden und im mittleren Westen.

Mehrere Staaten haben sog. "Heartbeat Bills" unterzeichnet, die einen Abbruch (aus was für Gründen auch immer) ab der sechsten Woche verbieten - wenn ein Herzschlag des Fötus zu hören sei. Viele Frauen wissen zu diesem Zeitpunkt gar nicht, dass sie schwanger sind In Alabam wurde im Mai 2019 ein noch strikteres Gesetz erlassen: Ein Abbruch ist demnach nur erlaubt, falls die Mutter ansonsten sterben würde. ÄrztInnen droht zwischen 10 und 99 Jahren Gefängnis, wenn sie Abtreibungen vornehmen. Dieses Gesetz wurde im November von einem Bundesrichter vorerst gestoppt.

Das Ziel all dieser Vorstösse der rechten ChristInnen ist es, früher oder später damit vor den Supreme Court zu gelangen, der neu eine reaktionäre Mehrheit hat, seit Trump die Sexisten und Rassisten Brett Kavanaugh und Neu Gorsuch zu Richtern des Obersten Gerichtshofs der USA ernannte. Hier soll das Grundsatzurteil von 1973 umgestossen, das Recht auf Abtreibung aufgehoben werden.


Angriffe und Proteste

Trumps Administration liess bereits die Finanzierung von Entwicklungshilfeprojekten streichen, die Informationen zu Familienpianung anbieten. 44 der 50 Bundesstaaten erlauben es Spitälern, Abtreibungen zu verweigern. Erweitert wurden ebenso Regelungen, die es verbieten, Steuergelder oder Krankenversicherungen dafür zu verwenden. Die Anforderungen, um eine Spezialklinik für Abbrüche zu betreiben, wurde in den letzten Jahren immer höher geschraubt. Damit wird der Zugang insbesondere in ländlichen und armen Gebieten erschwert. Dies trifft schwarze Frauen und Migrantinnen überdurchschnittlich. Die Anteile der Frauen, die eine Abtreibung vornehmen, sind seit 2014 konstant: 36 Prozent sind weiss, 28 Prozent sind schwarz, 25 Prozent sind Latinas.

Angriffe und Proteste gegen Abtreibungskliniken, Patientinnen und das medizinische Personal haben stark zugenommen: von 580 Angriffen im Jahr 2016 auf 3038 Angriffe 2018. Darunter fallen Todesdrohungen, Vandalismus, Brandanschläge, Drohmails, Telefonterror oder Blockaden.

Am 24. Januar 2020 sprach Trump als erster US-Präsident am 47. reaktionären "March for life" in Washington und verkündete, Kinder seien ein heiliges Geschenk Gottes. Trump ist bei den anstehenden Wahlen im November auf das Geld, die Unterstützung und die Stimmen der Evangelikalen angewiesen. Als Folge dessen könnte das Recht auf Abtreibung gekippt werden. Gegen diese reale Gefahr mobilisieren die sozialen Bewegungen bislang nur verhalten.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 07/08 - 76. Jahrgang - 28. Februar 2020, S. 3
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. März 2020

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