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VORWÄRTS/1594: Klimastreik veröffentlicht Krisenaktionsplan


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 19/20 vom 5. Juni 2020

Klimastreik veröffentlicht Krisenaktionsplan

von Siro Torresan


17 Massnahmen und eine Reihe von teilweise radikalen Forderungen schlägt die Klimabewegung als Corona-Krisenmanagement vor. Das Dokument versteht sich als Diskussionsgrundlage für eine breite Auseinandersetzung in der Gesellschaft. Wichtige Fragen werden jedoch nicht thematisiert, die aber bald ein Thema sein werden müssen.


"Der 'Climate Action Plan' (CAP) ist ein Projekt, das darauf abzielt, politische und soziale Massnahmen zu entwickeln, welche die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius beschränken sollen. Es wurde von Climatestrike Switzerland initiiert und beruht auf der Beteiligung von Expert*innen und der öffentlichen Bevölkerung", informieren die Klimaaktivist*innen in ihrer Medienmitteilung vom 25. Mai 2020.

Seit Dezember 2019 arbeiten Klimastreikende und Wissenschaftler*innen gemeinsam am Klimaaktionsplan. Dieser soll aufzeigen, wie die Schweiz Netto-Null Treibhausgasemissionen erreichen kann und beinhaltet alle emittierenden Sektoren der Schweiz." Aus diesem Plan wurden "geeignete Massnahmen für das Corona-Krisenmanagement ausgewählt, welche einen starken ökologischen Effekt haben". Das Dokument versteht sich als Diskussionsgrundlage. "Wir möchten in der Gesellschaft darüber reden, wie eine klimafreundliche Zukunft aussieht und wie wir dorthin kommen", erklären die Aktivist*innen. Gut, diskutieren wir.


50 Milliarden gefordert

Der Aktionsplan ist in die Sektoren "Motorisierter Individualverkehr und Luftfahrt", "Zielvereinbarungen", "Investitionen", "Jobprogramme", "Landwirtschaft" und "Ergänzendes" aufgeteilte. Er beinhaltet 17 Massnahmen mit einer Reihe von Forderungen, an denen es wenig bis gar nichts zu meckern gibt. Sie entsprechen dem, was von der Klimastreikbewegung zu erwarten ist und von ihr in den letzten Monaten postuliert wurde. Das Spektrum ist breit und widerspiegelt die Vielfalt der Bewegung: vom Verbot der Kurzstreckenflüge über die sofortige Arbeitszeitreduktion auf 32 Stunden pro Woche bei gleichem Lohn sowie einem Investitionsfonds in der Höhe von 50 Milliarden Franken, bis hin zur Abschaffung der industriellen Tierproduktion.


Die Alternative ist ein Planet B

Kritiker*innen werden vorwerfen, dass der CAP einem Geschenkewunschzettel eines Kindes zu Weihnachten gleicht. Tatsache ist aber, dass es Climastrike gelungen ist, verschiedene, wichtige Anliegen und Einzelaspekte unter einen Hut zu bringen, was ohne Wenn und Aber ein Erfolg ist. Und es sind alles Massnahmen und Forderungen, die bald mal umgesetzt werden müssen. Sie sind daher nicht realitätsfremd. Dies begreift jede Person, die auch nur ein ganz klein wenig über den eigenen, egoistischen Tellerrand schaut. Denn die Alternative ist, einen Planeten B mit einer intakten Umwelt zu suchen und finden, auf den dann die Menschheit umgesiedelt werden kann. Verglichen zu dem ist selbst die Schaffung eines Investitionsfonds für eine nachhaltige, grüne Wirtschaft von 50 Milliarden Franken ein Kinderspiel.


Fehlender politischer Wille - auch bei der Bewegung?

Die technischen Möglichkeiten, um die geforderten Massnahmen umzusetzen, seien vorhanden, unterstreichen die Klima-Aktivisit*innen. Dem sei hinzugefügt, dass es auch nicht am nötigen Geld mangelt. Bei der Umsetzung fehle es jedoch "am politischen Willen". Wie richtig. Also was tun? Doch genau zu dieser entscheidenden Frage schweigt der Krisenplan beharrlich. Kein klitzekleiner Hinweis darüber, wie man gedenkt, die Ziele zu erreichen. Wie will man die Bevölkerung für sich gewinnen, ohne einen möglichen gemeinsamen Weg zu den Zielen zu diskutieren? Die Frage nach dem Wie beinhaltete gezwungenermassen auch die Frage nach dem "System change". Konkret: Schafft man es in einem Wirtschaftssystem, das die Profitmaximierung als oberstes Gebot hat, mit den Mitteln, die eine bürgerliche Demokratie zur Verfügung stellt, den "politischen Willen" für seine Zwecke "umzubiegen"? Wenn die Antwort Ja lautet, dann muss erklärt und aufgezeigt werden, wie dieses Ja erreicht werden kann: Etwa durch eine Flut von Referenden und Initiativen? Oder durch die Wahl von Klima-Aktivist*innen in lokale, kantonale und ins nationale Parlament?

Der an den Klimademos oft gehörte Slogan (und Forderung) "System change - not climate change" beinhaltet die Diskussion über die politische Machtfrage. Diese führt - ob man will oder nicht - zur Frage über die Besitzverhältnisse der Produktionsmittel, sowie der demokratischen Mitbestimmung: Wer bestimmt, was und wie produziert wird? Wer bestimmt über den Mehrwert, der durch Arbeit entsteht? Es sind einschneidende Fragen, um sich eine "klimafreundliche Zukunft" überhaupt nur zu denken. Die Klimabewegung geht ihnen noch aus dem Weg. Lange wird sie es nicht mehr tun können und sie sollte sich wohl die Worte von Greta Thunberg in Erinnerung rufen. Sie sagte am 5. August 2019 am Klimagipfel "Smile for Future" an der Universität Lausanne: "Wir kratzen noch immer an der Oberfläche". Daran hat sich seit da wenig verändert und der Klimaaktionsplan ist diesbezüglich leider keine Ausnahme.


Die Strasse ist das Kampffeld

Die bürgerliche Presse der Deutschschweiz ignorierte den CAP komplett. Es ist schon erstaunlich: Egal welchen Suchbegriff man eingibt, Tante Google findet nichts. Sicher, in Zeiten, in denen das Coronavirus den Gang der Welt bestimmt, ist alles viel schwieriger als sonst schon. Es könnte sich aber als Irrtum erweisen, alles auf Corona zu schieben. Denn Fakt bleibt: Bis zu den Beschneidungen der politischen Rechte durch den Lockdown mobilisierte die Klimabewegung Zehntausende von hauptsächlich jungen Menschen. Ihr Aktionsplan wird trotzdem totgeschwiegen. Warum? Weil ein Stück Papier keine Massendemonstration ist. Die Bewegung schaffte es, über Monate hinweg die politische Agenda zu besetzen, weil sie auf der Strasse und Plätzen mit Aktionen und Demonstrationen präsent war - und nicht, weil sie kluge Dokumente schrieb. Die Strasse ist ihr Kampffeld, dort hat sie ein enormes Potenzial für gesellschaftliche Veränderungen - und dort wird sie auch wahrgenommen, von den Medien und von den Menschen.


Wetten?

Die nächste Möglichkeit, um zu sehen und begreifen, welche Mittel wirklich nützten, wird sich bald bieten. Der Krisenaktionsplan wird an alle Parlamentarier*innen geschickt. "Monatelang wurde uns von Seiten der Politik vorgeworfen, dass wir keine konkreten Lösungen aufzeigen", sagt die Aktivistin Lena Bühler aus Bern. Sie fügt kämpferisch hinzu: "Mit dem Krisenaktionsplan machen wir genau das und entsprechend erwarten wir vom Parlament, dass diese Massnahmen in den Sommersessionen diskutiert und umgesetzt werden." Wetten, dass wenn kein Druck von der Strasse kommt, das Parlament dies nicht tun wird?

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 19/20 - 76. Jahrgang - 5. Juni 2020, S. 6
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juni 2020

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