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FILM/002: Australien - Ein Film setzt den 'vergessenen Kindern' ein Denkmal (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 22. Juli 2011

Australien: 'Orangen und Sonnenschein' - Ein Film setzt den 'vergessenen Kindern' ein Denkmal

Von Neena Bhandari


Sydney, 22. Juli (IPS) - Man versprach ihnen Orangen und Sonnenschein, doch im Gastland Australien warteten Vernachlässigung, Schwerstarbeit und Misshandlungen auf Zehntausende von Heimkindern, die Großbritannien seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs bis in die 70-er Jahre nach Australien, Kanada und andere Commonwealth-Länder zwangsverschickte. In Australien suchen viele dieser 'vergessenen Kinder' seit Jahrzehnten nach ihrer Herkunft und ihrer wahren Identität.

Laurie Humphreys war eines von 150 Kindern an Bord des ersten Schiffs, das 1947 erstmals britische Jungen und Mädchen nach Australien brachte. Man hatte dem damals 13-Jährigen Orangen, Sonnenschein und Abenteuerferien versprochen. Doch in der harten Realität australischer Waisenhäuser, kirchlicher Heime und liebloser Pflegeeltern erwarteten Humphreys und zehntausende seiner Leidensgenossen auf dem 5. Kontinent ausbeuterische Kinderarbeit, Vernachlässigung, Hunger und Prügel.

Der Regisseur Jim Loach hat den leidvollen Erinnerungen des heute 77 Jahre alten Humphries und dem Schicksal der mehr als 7.000 unfreiwilligen britischen Kindermigranten einen Film gewidmet. Darin wird auch an die übrigen fast 500.000 so genannten 'vergessenen Australier' erinnert, die man als Kinder ihren Eltern weggenommen hatte. Man versprach den Betroffenen, darunter Waisenkinder, Kinder geschiedener Eltern, allein stehender Mütter oder armer indigener und weißer Familien ein besseres Leben.

Laurie hat inzwischen einige Angehörige wieder gefunden. Sein Vater starb 1982, lange bevor er im vergangenen Jahr erstmals seine Heimat besuchte. Die britische Regierung bezahlte ihm die teure Reise.

Jim Loach hat seinen Film 'Orangen und Sonnenschein' betitelt. Er schildert die Pionierarbeit der britischen Sozialarbeiterin Margaret Humphreys. Sie hatte 1987 mit Nachforschungen über das britische Regierungsprogramm zur Zwangsumsiedlung armer Kinder nach Australien und in andere Commonwealthländer begonnen und die Öffentlichkeit auf diese Praxis aufmerksam gemacht.

Mit umgerechnet 3,18 Millionen US-Dollar finanziert die australische Regierung die Startphase eines nationalen 'Find and Connect Service', eines Projektes, das die Wiedervereinigung verschleppter Kinder mit ihren Angehörigen unterstützt. Dieser Dienst bietet ihnen Hilfe bei der Suche nach ihrer Identität und ihren Familien an. Die Regierung sieht darin eine heilsame Möglichkeit, die Einsamkeit und das Trauma einer verlorenen Kindheit zu bewältigen, erklärte kürzlich Australiens Familienministerin Jenny Macklin.

2009 hatte sich Australiens damaliger Premierminister im Namen der Regierung offiziell bei den vergessenen Australiern entschuldigt. "Es tut uns leid, dass man Sie ihren Familien weggenommen und in Einrichtungen gesteckt hatte, in denen sie häufig missbraucht und lieblos behandelt wurden. Für diese Tragödie einer verlorenen Kindheit bitten wir Sie um Verzeihung", erklärte Rudd.

Ein Jahr später entschuldigte sich auch Großbritanniens damaliger Premierminister Gordon Brown offiziell für das so genannte 'Migrationsprogramm für Kinder' (Child Migrants Programme) der Londoner Regierung.

Doch der Kampf der Betroffenen um Rehabilitation und Entschädigung geht weiter. Nach Ansicht der australischen Zentralregierung sind die Bundesstaaten und Territorien des Landes für entsprechende finanzielle Kompensationen verantwortlich. Bislang haben erst drei der sechs Bundesstaaten gezahlt.

Inzwischen haben etliche der vergessenen Kinder vor drei australischen Senatsausschüssen über ihre Leidenszeit berichtet. "Diese Jahre waren ein einziger Terror", erinnerte sich Caroline Carroll. Man hatte sie im Alter von 14 Monaten in Sydney in ein Kinderheim gesteckt und später bei verschiedenen Pflegefamilien untergebracht, die sie menschenunwürdig behandelten und ihr keine Möglichkeit boten, sich irgendwo zuhause zu fühlen.

"Die von christlichen Brüdern geleitete Jungenstadt von Bindoon, 80 Kilometer von Perth entfernt, war eher ein Sklavencamp als ein Waisenhaus", berichtete der ehemalige Vizepräsident der Transportarbeitergewerkschaft Laurie Humphries. "Wir Kinder mussten von morgens bis spätabends auf Baustellen schuften. Prügel gehörten zu unserem Alltag".

"Die vergessenen Australier sind in die Jahre gekommen und fürchten nichts mehr als noch einmal verwaltet zu werden", betonte Eric Harrisson von der Alliance for Forgotten Australians (AFA). "Die Behörden müssen sie und ihre Familien in ihre Arbeit mit einbeziehen und ihnen helfen, selbst über ihr Leben bestimmen zu können", sagte er IPS.

"Die jahrelange Unterbringung in verschiedenen Einrichtungen machte es vielen Kindern schwer, wenn nicht unmöglich, als Erwachsene Gefühle der Sicherheit und des Vertrauens aufzubauen. Die Angst vor emotionaler Zurückweisung verliert man nie", klagte Carroll. "Was Liebe bedeutet, habe ich erst bei meinen Kindern lernen können. Heute sind meine Enkelkinder die Liebe meines Lebens."

"Als wir vor vielen Jahren im Hafen von Fremantle ankamen, erklärte man uns, wir seien nach Australien gebracht worden, um hier für strammen weißen Nachwuchs zu sorgen und die leeren Wiegen der Australier zu füllen", berichtete Humphries. "Meine inzwischen mehr als 70 Nachkommen sind wohl Beweis genug, dass ich diesbezüglich meine Pflicht erfüllt habe." (Ende/IPS/mp/2011)

Links:
http://www.openplace.org.au/
http://www.forgottenaustralians.org.au/
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=56542

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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juli 2011