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INTERNATIONAL/102: Televisión Serrana steht für erfolgreiche kommunale Filmproduktion in Kuba (M - ver.di)


M - Menschen Machen Medien Nr. 1/2013
Medienpolitische ver.di-Zeitschrift

Bauern als Filmemacher
Televisión Serrana steht für erfolgreiche kommunale Filmproduktion in Kuba

Von Ute Evers



Kuba zählt in Lateinamerika und der Karibik zu den Ländern mit einer langen Film- und Kinotradition. Das Nationale Filminstitut ICAIC, die Hochschule der Künste ISA in Havanna oder auch die Internationale Kino- und Filmhochschule EICTV genießen hohes Ansehen. Zählt man noch andere kulturelle Einrichtungen hinzu, wähnt sich die Hauptstadt zu Recht als kultureller Schmelztiegel der Region. Aber auch die kommunale Filmproduktion in der Sierra Maestra kann sich sehen lassen.


Televisión Serrana (TVS) hat ihren Sitz in San Pablo de Yao, einem 800-Seelen-Dorf in der Provinz Granma, ca. 800 km östlich von Havanna entfernt. Zur nächsten Stadt, Bayamo, sind es 25 km. Den Filmemachern von TVS ist es gelungen, inmitten der Sierra Maestra eine Institution aufzubauen, die jetzt schon zur kubanischen Filmgeschichte gehört, mit ihr verbunden auch die Ortschaft San Pablo de Yao.

Früher habe man sie dort schlicht Guajiros, also Bauern, genannt. "Nun aber sind wir auch Kubaner, und das haben wir neben der Revolution auch den Filmemachern da oben zu verdanken", erzählt Pedro Delfín López und deutet mit seinem Kopf in Richtung eines am Ortsrand gelegenen Hügels. Dort hat die Filmproduktion TVS ihren Sitz. "Durch die Filme von TVS kennt man uns nun in ganz Kuba, und zwar als Cubanos", erklärt López, der El Historiador genannt wird, kennt er sich doch so gut wie kein anderer mit der Geschichte des Dorfes aus.

Mit der Gründung von TVS wurden Straßen asphaltiert, ein Restaurant, kleine Geschäfte, eine Bibliothek und ein Kinosaal eröffnet. Von Beginn an galt es, eine kommunale und partizipative Institution zu schaffen. Es werden Filme "über die Landbewohner, für sie und von ihnen" gedreht. "Ich hatte immer die Vorstellung, dass dort die Menschen aus der Region arbeiten sollten. Und sie sollten ihre eigenen Geschichten erzählen können", erinnert sich der Journalist und Filmemacher Daniel Díez Castrillo aus Havanna an seine ersten Ideen, bevor er Televisión Serrana gemeinsam mit anderen damals noch unbekannten Filmemachern wie Rigoberto Jiménez oder Waldo Ramírez gründete. Das war im Jahr 1993.

Kuba befand sich damals auf dem Höhepunkt der so genannten Sonderperiode. Das Land spürte noch die wirtschaftlichen Folgen des Zusammenbruchs der Sowjetunion. Leere (Geld-)Töpfe und Zweifel gab es auf allen Seiten. Doch schließlich konnte Díez auf internationaler Ebene die UNESCO, UNICEF und auf kubanischer das Ministerium für Kultur und die staatliche Radio- und Fernsehanstalt ICRT für die Finanzierung des Projekts Televisión Serrana als Produzentin für Dokumentarfilme gewinnen.

Daniel Díez ist längst wieder in Havanna und TVS fest in den Händen der Filmemacher aus der Sierra Maestra. "Die Themen liegen praktisch auf der Straße. Man muss sie nur erkennen", erzählt Regisseur Carlos Y. Rodríguez, der schon wieder unterwegs war, um einige Landarbeiter bei der Herstellung von Seilen zu filmen. Die Filme werden auf kubanischen und internationalen Filmfestivals präsentiert, aber auch in den umliegenden Dörfern. Dann wird der hauseigene Jeep mit Verstärkern, Beleuchtungen, Betttüchern als Leinwand und einem Laptop beladen: die Mindestausstattung für eine Filmschau in den Bergdörfern. Das Wanderkino ist ein fester Programmpunkt von TVS. Ortschaften, die oft nur mit Maultieren oder einem Jeep erreichbar sind, nehmen so am kulturellen Leben teil. Sie erfahren, wie die Menschen im Nachbarort leben. Die Bergdörfer sind untereinander praktisch unerreichbar für alle, die kein Auto besitzen. Das gilt für die meisten dort.

Obwohl TVS zur staatlichen Radio- und Fernsehanstalt gehört, werden nur wenige Dokumentarfilme im Fernsehen ausgestrahlt. Man lerne viel über den Alltag, die Traditionen und Legenden der Region, "die vom Vergessen bedroht sind, und auch über die sozialen und wirtschaftlichen Probleme der Sierra Maestra, über die man sonst wenig erfährt", ist ein häufiger Kommentar in Havanna. Obwohl es bisher keine ernsthaften Schwierigkeiten gab, "muss man sich manchmal mit den örtlichen Behörden auseinandersetzen, um die Genehmigung für Dreharbeiten zu erhalten", erzählt der ehemalige Geschäftsführer Isael Martínez.

TVS besteht aus ca. zwanzig Mitarbeitern und einigen externen Filmemachern. Oft kommen auch Schulkinder. Dieses Mal stehen sie um eine Kamera herum, deren Funktion ihnen Kameramann Carlos Rodríguez erklärt. So habe es auch mit "unserer Ariagna" begonnen. Mit ihren knapp 30 Jahren zählt Ariagna Fajardo nun zu den erfolgreichsten Filmschaffenden, die "bei uns ihr Talent entdeckten", sagt Martínez stolz.

Rigoberto Jiménez war wegen der Dreharbeiten an seinem ersten Langspielfilm (1) in San Pablo de Yao. Von Anfang an habe für ihn festgestanden, seine Filme in Kooperation mit TVS zu drehen. Jiménez unterrichtet seit einigen Jahren an der EICTV in Havanna. "Mich hat der Umgang mit dem Medium Film bei TVS sehr geprägt." Daniel Díez setzte auch hier den Akzent. "Es gibt einen Grad an Intimität, den man im Dokumentarfilm nicht überschreiten darf. Es ist dann besser, bestimmte Themen dem Spielfilm zu überlassen, um die Beteiligten nicht bloßzustellen. Hier spielen ungeschriebene Gesetze eine Rolle, die mit der Ethik und Verantwortlichkeit des Künstlers zu tun haben."

Am 15. Januar feierte Televisión Serrana ihren 20. Geburtstag und blickt auf ein Archiv von ca. 500 Dokumentarfilmen. "Das größte Verdienst liegt darin, dass mit den Filmen die vielen Aspekte der Region in den kulturellen Kontext Kubas gebracht wurden. Die ländlichen Regionen werden nicht von folkloristischer Perspektive aus betrachtet, das Handwerk begreift man als einen ästhetischen Wert", erklärte Ariagna Fajardo, als sie 2011 den Kurzfilmpreis "Junger kubanischer Film" für "Adónde vamos"(2) im Rahmen des XVI. Festivals "Cuba im Film" in Frankfurt am Main entgegennahm. TV-Serrana ist nicht frei von inneren Spannungen. Doch ist es den Filmemachern bisher immer gelungen, die kubanische Filmproduktion weiterzuentwickeln und die Würde der Menschen in den Mittelpunkt zu stellen.

ANMERKUNGEN

(1) "Las cuatro hermanas" (Die vier Schwestern) handelt von vier Schwestern aus der Sierra Maestra, die sich für ein Leben ohne Männer entschlossen haben. Basiert auf dem gleichnamigen Dokumentarkurzfilm aus dem Jahre 1999.

(2) "Adónde vamos" (Wohin gehen wir?) zeigt die Situation in den ruralen Gegenden der Sierra Maestra, die immer mehr von Landflucht bedroht sind.


LINKS
www.tvserrana.icrt.cu
www.cinelatinoamericano.cult.cu

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Quelle:
M - Menschen Machen Medien Nr. 1, Februar 2013, S. 40-41
Medienpolitische ver.di-Zeitschrift, 62. Jahrgang
Herausgeber:
ver.di - Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft
Fachbereich 8 (Medien, Kunst, Industrie)
Bundesvorstand: Frank Bsirske/Frank Werneke
Redaktion: Karin Wenk
Anschrift: verdi.Bundesverwaltung, Redaktion M
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Telefon: 030 / 69 56 23 26, Fax: 030 / 69 56 36 76
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Mai 2013