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INTERNATIONAL/169: Westsahara - Medienaktivisten trotzen Informationssperre (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 24. August 2015

Westsahara: Medienaktivisten trotzen Informationssperre

von Karlos Zurutuza


Bild: © Medien-Team

Marokkanische Polizisten gehen auf einer Protestkundgebung in Laayoune mit Schlagstöcken gegen saharauische Demonstranten vor
Bild: © Medien-Team

LAAYOUNE, WESTSAHARA (IPS) - Ahmed Ettanji ist auf der Suche nach einer Wohnung. Sie soll im Zentrum der Stadt Laayoune in der Westsahara liegen und eine Dachterrasse haben, die ihm einen guten Blick über die Straßen rundherum ermöglicht. Von dort will er die Demonstrationen beobachten, auf denen Aktivisten die Anerkennung der Westsahara als souveränen Staat einfordern.

"Dachterrassen sind essenziell für uns, um die Brutalität der marokkanischen Polizei gegenüber den Demonstranten zu dokumentieren", erklärt Ettanji. Der 26-Jährige gehört dem Medien-Team an, einer Gruppe von ehrenamtlich arbeitenden Saharauis, die gegen die Informationssperre ankämpfen, die die marokkanische Regierung über die Westsahara verhängt hat. "Es gibt hier keine Nachrichtenagenturen", erklärt der Aktivist. "Ausländische Journalisten dürfen nicht hierher kommen. Wer doch erwischt wird, wird ausgewiesen."

Seit 40 Jahren beansprucht Marokko das Territorium der Westsahara für sich. Im Jahr 1975 hatte sich die damalige Kolonialmacht Spanien aus dem Gebiet von der Größe Großbritanniens zurückgezogen. Daraufhin zogen im so genannten Grünen Marsch etwa 350.000 Marokkaner in die ehemalige Kolonie ein. Das Land kontrolliert nun einen Großteil des Gebietes.

Die 'Frente Polisario', die linksgerichtete Befreiungsfront der Saharauis, kämpft seitdem für einen unabhängigen Staat. Die UN erkennt die Frente Polisario als legitime Vertretung des Volkes an und bezeichnet die Westsahara als "Territorium im Prozess der Dekolonialisierung".


"Was wir brauchen, lernen wir auf der Straße"

Auch Mohamed Mayara gehört dem Medien-Team an. Er begleitet Ettanji auf dessen Suche nach einer Wohnung mit Dachterrasse. 2009 haben sie die Gruppe gegründet. "Wir arbeiten aus purem Instinkt heraus. Keiner von uns hat eine Ausbildung als Journalist hinter sich. Was wir brauchen, lernen wir auf der Straße", erklärt Mayara, der für die Übersetzung der Pressetexte ins Englische und Französische zuständig ist.


Bild: © Karlos Zurutuza/IPS

Ahmed Ettanji bespricht mit einem Kollegen des Medien-Teams ein Video, das sie während einer saharauischen Demonstrantion gedreht haben
Bild: © Karlos Zurutuza/IPS

Sein Vater, erzählt er, sei zwei Monate nach seiner Geburt vom marokkanischen Militär mitgenommen worden und nie wieder aufgetaucht. Er selbst wurde bereits mehrfach verhaftet und gefoltert.

Die Mehrheit der Saharauis lebt seit 1976 in Flüchtlingslagern in Tindouf in der algerischen Sahara in Zelten oder auch einfachen Lehmhütten. Viele junge Leute verlassen die Camps, um zu studieren, kehren nach Abschluss aber häufig zurück. In den Flüchtlingslagern arbeiten sie meist als Lehrer.

Die Mitglieder des Medien-Teams sind in ständigem Austausch mit Vertretern der Demokratischen Arabischen Republik Sahara (RASD), die die Frente Polisario 1976 ausgerufen hatte und die ihren Sitz in Tindouf hat. Häufig arbeiten die jungen Leute vom Medien-Team direkt mit Hayat Khatari zusammen, der einzigen Journalistin, die offen für den in Tindouf ansässigen Sender RASD TV berichtet.


Bild: © Karlos Zurutuza/IPS

Hayat Khatari arbeitet für den Fernsehsender RASD TV
Bild: © Karlos Zurutuza/IPS

Die 24-Jährige arbeitet seit 2010 für den Sender. Damals berichtete sie vom Protestcamp Gdeim Izzik (deutsch: Camp der Würde), das rund 20.000 Saharauis außerhalb von Laayoune errichtet hatten. Mit dem Camp wollten sie gegen ihre gesellschaftliche Ausgrenzung protestieren. Begonnen hatte es als friedlicher Protest. Nach nur ein paar Wochen stürmte die marokkanische Armee das Camp jedoch am 8. November und ging gewaltsam gegen die Bewohner vor, die sich zum Teil mit Steinen und Knüppeln zur Wehr setzten. Dabei sollen zwölf Menschen gestorben und etliche verletzt worden sein.


Saharauisches Protestcamp als Auslöser des Arabischen Frühlings

In der Regel wird der Aufstand in der tunesischen Hauptstadt Tunis im Dezember 2010 als Ausgang des Arabischen Frühlings genannt. Doch mehrere westliche Analysten, darunter der linke Intellektuelle Noam Chomsky, sahen in dem saharauischen Protestcamp die Anfänge des Arabischen Frühlings.

"Es ist ganz schön viel Arbeit, der marokkanischen Propaganda andere Informationen entgegenzustellen", sagt Khatari. Riskant ist es auch. Genau wie ihre Mitstreiter war die junge Journalistin bereits mehrfach im Gefängnis, zuletzt im Dezember 2014. Anders als ihr Vorgänger bei RASD TV, Mahmood al Lhaissan, wurde sie damals nur kurze Zeit später wieder entlassen.

Al Lhaissan war nach Angaben der Organisation Reporter ohne Grenzen acht Monate im Gefängnis, nachdem er von einer Demonstration berichtet hatte. Am 25. Februar wurde er auf Kaution entlassen. Der Prozess steht ihm noch bevor. Die Anklagen lauten auf Teilnahme an einer "bewaffneten Versammlung", Blockade einer öffentlichen Straße und auf Sachbeschädigung. Außerdem soll er Sicherheitsbeamte angegriffen haben.

Im gleichen Bericht verurteilen Reporter ohne Grenzen auch die Festnahme der französischen Journalisten Jean-Louis Perez und Pierre Chautard im Februar dieses Jahres. Sie hatten für den Fernsehsender France 3 an einem Dokumentarfilm über die wirtschaftliche und soziale Situation der Marokkaner gearbeitet. Als sie festgenommen wurden, wurde ihr komplettes Material konfisziert.

Die jungen Mitarbeiter vom Medien-Team haben nach einiger Suche eine passende Wohnung im Zentrum von Laayoune gefunden. Die Besitzer sind Saharauis wie sie. (Ende/IPS/jk/24.08.2015)


Links:

http://www.ipsnews.net/2015/08/breaking-the-media-blackout-in-western-sahara/
http://www.ipsnoticias.net/2015/08/rompiendo-el-bloqueo-informativo-en-sahara-occidental/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 24. August 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. August 2015

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