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NACHRUF/006: Neil Sheehan gestorben (Stefan Kühner)


Neil Sheehan gestorben

Ein Nachruf von Stefan Kühner - 9. Januar 2021


Der amerikanische Journalist Neil Sheehan starb am 7. Januar 2021 im Alter von 84 Jahren. In den sechziger-Jahren des letzten Jahrhunderts berichtete er vor allem in der New York Times über den Krieg der USA in Vietnam. Beginnend in der Sonntagsausgabe vom 13. Juni 1971 begann er über die Washington Post und die New York Times, für die er arbeitete, geheime Papiere über den Krieg in Vietnam zu publizieren. In seinen Berichten zeigte Sheehan auf, dass die amerikanische Regierung ihre eigene Bevölkerung und die Welt jahrelang über ihre Verbrechen in diesem Krieg belogen hat. Er hatte dazu tausende geheimer Dokumente aus dem Verteidigungsministerium analysiert und nachgewiesen, dass die US-Regierung schon lang vor dem inszenierten Tonking-Zwischenfall vom August 1964 den Krieg gegen die Demokratische Republik Vietnam (hierzulande als Nordvietnam bezeichnet) geplant hat und dass trotz der aussichtslosen Lage der US-Kriegsmaschinerie weiterhin tausende junge amerikanische Soldaten in den Tod geschickt wurden - abgesehen von dem Terror und dem Leiden, das sie in Vietnam selbst anrichteten. Die Veröffentlichung führte in der Regierungszeit unter Richard Nixon zu einer schweren Regierungskrise und einem weiteren weltweiten Zerfall des Ansehens der USA bei seinen Verbündeten. 1972 erhielt Sheehan für seine Berichte den Pulitzer-Preis. 2017 verfilmte Stephen Spielberg die Geschichte um die Veröffentlichung der Pentagon Papiere in dem Film "Die Verlegerin".

Zusammengetragen hat Neil Sheehan die Papiere gar nicht selbst. Der eigentliche Urheber ist der ehemalige US-Verteidigungsminister Robert S. McNamara. Er veranlasste einen streng vertraulichen Bericht über die Rolle der Vereinigten Staaten in Indochina. Das Ergebnis war eine etwa 3.200 Seiten starke Schilderung der Ereignisse, ergänzt durch mehr als 4.000 Seiten beigefügte Dokumente, alles zusammen in einem Gesamtumfang von schätzungsweise zweieinhalb Millionen Worten. Die Aufzeichnungen dokumentieren das Engagement der US-Regierungen unter Truman, Eisenhower, Kennedy, Johnson und Nixon, beginnend mit dem zweiten Weltkrieg bis zum Mai 1968, dem Zeitpunkt, zu dem die Friedensverhandlungen in Paris begannen.

Ein oder besser der wichtigste Informant für Sheehan war Daniel Elsberg, der als Mitarbeiter im Verteidigungsministerium der USA einer regierungsnahen "Denkfabrik" Zugang zu den geheimen Berichten hatte. Ihm gelang es, über Monate hinweg Dokumente aus den Archiven zu entwenden, sie zu kopieren, um sie dann an Zeitungen weiterzugeben. Sheehan hat diese Papiere dann von Elsberg, teilweise ohne dessen Wissen, durchgearbeitet und seine Reportagen mit den richtigen Fakten bestätigt.

Der Abdruck der Artikelserie von Neil Sheehan war sowohl für ihn selbst, als auch für Elsberg, die New York Times, die Washington Post und andere Zeitungen, die quer über die USA die Berichte ebenfalls druckten, mit erheblichen Risiken verbunden. Die US-Regierung versuchte mit allen Mitteln den Abdruck durch Drohungen, Einschüchterungen und juristische Mittel zu verhindern. Allen drohten Verfahren wegen Geheimnisverrat. Am 30. Juni 1971 lehnte das Oberste Gericht der USA die Klage der Regierung ab und die Berichte durften fortgesetzt werden.


Quellen:

New York Times; 07.01.2021
How Neil Sheehan Got the Pentagon Papers - The New York Times (nytimes.com)

Neil Sheeehan (hrsg); Die Pentagon Papiere; Droemersche Verlagsanstalt; München 1971

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Quelle:
© 2021 by Stefan Kühner
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Februar 2021

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