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OFFENER BRIEF/003: Offene Antwort an WDR-Hörfunkdirektor Wolfgang Schmitz (Die Radioretter)


Die Radioretter
Initiative für Kultur im Rundfunk

Offene Antwort auf die Stellungnahme des WDR-Hörfunkdirektors Wolfgang Schmitz, 29.2.2012


Initiative für Kultur im Rundfunk

An den Hörfunkdirektor WDR 3
Herrn Wolfgang Schmitz

Westdeutscher Rundfunk
Appellhofplatz 1
50667 Köln



29. Februar 2012

Sehr geehrter Herr Schmitz,

wir danken Ihnen für Ihren "Offenen Antwortbrief". Immerhin setzt er ein öffentliches Gespräch über den WDR3 fort.

Wie Sie schreiben, gingen die Unterzeichner des Offenen Briefs "von falschen Voraussetzungen aus". Doch was stellen Sie in der Sache richtig? Dass der WDR ein "großes Angebot an anspruchsvoller Musik, Hörspielen, Features sowie an Berichterstattung" macht, bestreitet niemand. (Allerdings ist dieses Angebot, auch was die Zahl der Neuproduktionen angeht, über die Jahre immer kleiner geworden.) Ebenfalls ist uns bekannt, dass es WDR 3 und WDR 5 gibt und beide "gehobene Programme" genannt werden. Und dass diese beiden Programme nicht nur ihre Hörer, sondern auch ihren Auftrag ernst nehmen, hoffen wir oder setzen es voraus. Auch ist uns nicht verborgen geblieben, dass es viele kompetente Autorinnen und Redakteurinnen im WDR gibt und das Auslandskorrespondentennetz der ARD ein "Alleinstellungsmerkmal" darstellt. Gerade weil wir den öffentlich rechtlichen Rundfunk als hohes gesellschaftliches Gut begreifen, dessen Möglichkeiten wir erhalten und entwickeln möchten, haben wir uns an die WDR-Intendantin gewendet. Weshalb denn sonst?

Bei genauerer Lektüre Ihres Briefes stellt sich jedoch heraus, dass Sie mit Ihren Aussagen letztlich bestätigen, worauf unser "Offener Brief" zielt.

1. Sie behaupten, dass "bei WDR 3 der Akzent zunehmend auf ein Musik geprägtes Kulturradio gesetzt" und dass "WDR 5 konsequent als Wortprogramm ausgebaut" wurde - beides ohne Abstriche an Qualität und Vielfalt. Das entspricht freilich nicht den Tatsachen. WDR5 wurde bereits als reines Wortprogramm gegründet und hat in den letzten Jahren nach und nach seinen Musikanteil erhöht, also Wort abgebaut und immer mehr serviceorientierte Angebote ins Programm genommen. Der sogenannte Ausbau von WDR 3 zu einem "Musik geprägten Kulturradio" reduziert nun ständig die großen Wortsendungen bzw. die Wortanteile. Dass dies mit mehr Musikangeboten Hand in Hand geht, ergibt sich von selbst. Die Stunden wollen schließlich gefüllt sein. Es bedeutet aber nicht eine weitere Profilierung als Musikprogramm. Die Reformpläne zielen vielmehr in die gegenteilige Richtung:

2. Die PG Musik als Organisationseinheit der mit musikalischen Inhalten befassten Sendungen soll aufgelöst werden. Dies führt zu einer erschwerten Kommunikation sachbezogener Inhalte oder macht sie unmöglich.

Alle Musik-Programme im Tagesverlauf am Werktag sollen ausschließlich über den "Music Master" generiert werden, also von einem Computer, an den bislang zuständigen Redakteuren vorbei. So schafft man Sparpotentiale für die Zukunft. Eine individuelle Programmgestaltung ist kaum mehr möglich. Ausnahme bliebe das Klassik Forum.

Das Musikfeature (die "Königsdisziplin" der Musikvermittlung) als eine von einer kundigen Musikredaktion geplanten, disponierten und produzierten Sendung wird ersatzlos gestrichen. Das kann von einem Kulturfeature mit musikalischem Schwerpunkt inhaltlich nicht ersetzt werden.

Die "Musikpassagen", eine thematisch zentrierte Sendung aus Musik und Wort, ein sehr spezielles Markenzeichen von WDR3, soll ersatzlos gestrichen werden: eine unbestreitbare Sparmaßnahme und das Aus für eine sehr beliebte Sendung.

3. Die politischen Journale, so erfahren wir in Ihrem Antwortschreiben, möchten Sie "aufgeben", "weil es seit einem Jahr bei WDR 3 Nachrichten mit ergänzenden O-Tönen gibt, die zusätzliche Orientierung bieten". Über den Wert von O-Tönen in Nachrichten kann man zwar trefflich streiten. Sie ersetzen aber keinesfalls die politische Auseinandersetzung. Die war schon in der auf je acht Minuten (einschließlich Nachrichten) zusammengestauchten Informationssendung "Journal" schwer möglich. Jetzt soll auch das "Journal" ganz aufgegeben werden. Zwar bieten Sie in einem Interview auf wdr.de eine Zusammenfassung der wichtigsten aktuellen Ereignisse um 18 Uhr an - aber das kann die Streichungen der bisher über den Tag verteilten Journale ja nicht ausgleichen. Wir halten dagegen einen Ausbau der politischen Hintergrundinformationen für nötig - als Grundvoraussetzung für Wissen und Orientierung. Kultur und Politik lassen sich nicht in zwei verschiedene Bereiche trennen. Dieser Kulturbegriff war schon immer falsch.

4. Das zweistündige Musik/Wortmagazin "Resonanzen" solle keine "Wiederholungssendung" werden, so versichern Sie uns, es werde vielmehr ein Live-Gespräch und einen Kommentar geben. Ansonsten aber greife man "auf Beiträge der verschiedenen Kultur-Sendeplätze von WDR 3 und WDR 5 zurück, soweit diese den aktuellen Stand wiedergeben". Man macht also, wie wir schrieben, eine Wiederholungssendung. An anderer Stelle nennen Sie die künftigen "Resonanzen" eine "Tageszusammenfassung aktueller Ereignisse". Das klingt, als werde es eine zusätzliche Sendung geben, was aber nicht der Fall ist. Ebenso wenig können ein Live-Gespräch und ein Kommentar von "maximal zwei Minuten" (so die Vorgabe) die gestrichenen Journale und die fünf wegfallenden Beiträge pro Resonanzen-Sendung ersetzen. Themen übrigens, die es in ihrer inhaltlichen und formalen Vielfalt und Zusammenstellung sonst im WDR nirgendwo gibt. Mit diesen Sendeplätzen fallen auch Rezensionen und Kritiken weg, die nirgends ersetzt werden.

5. Ihr Versuch, WDR3 und WDR5 als ein gemeinsames Programm darzustellen - das die im WDR 3 geschlagenen Lücken als "Tandem" auffangen würde - ist untauglich. WDR 5 ist nicht das Programm für die publizistischen Debatten, für die nachdenklichen Essays, für regelmäßige Gespräche mit Kulturschaffenden, für Sperriges, Forderndes, für die vielen "Schätze" außerhalb des Mainstream. Das gilt auch für das "Politikum" auf WDR 5. Diese Sendung hat ihre eigene und anerkannte Qualität. Aber sie hat nichts mit der "Politischen Kultur" im früheren "Kritischen Tagebuch" oder den heutigen "Resonanzen" zu tun. So unterschied sich das "Tagebuch" markant von Aktualitätsbegriffen, wie das "Politikum" sie seither kultiviert.

Und wo fanden Ihrer Meinung nach all die im letzten Jahrzehnt abgebauten Sendeplätze für Essays, Debatten, Reflexionen und Provokationen einen neuen Ort? Für viele Themen gab es schon seit vielen vergangenen Jahren keinen Zugang mehr zum Hörer, weil es "Formate" nicht gab, die ihnen Platz hätten bieten können.

6. Das Literatur- und Musikfeature, so schreiben Sie, solle nicht gestrichen werden, sondern bringe seine "Themen künftig in den Sendeplatz des Kulturfeatures ein". Dies allerdings nennt man eine Streichung (von rund 40 Sende-Stunden im Jahr), die Sie "zur Finanzierung neuer Aufgaben" für notwendig halten. Die Finanzierung welcher Aufgaben? Darüber schweigen Sie sich aus. Auch ist das Musikfeature nicht, wie gern behauptet wird, besonders teuer. Es hat geringere Produktionszeiten und Autorenhonorare als andere Features.

7. Es spreche, so Ihre Wahrnehmung, einiges dafür, dass viele Forderungen unseres "Offenen Briefes" inspiriert seien von einem Kulturradio-Verständnis, das in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts modern gewesen sei. Sie unterstellen Ihren Kritikerinnen und Kritikern also eine Art geistiger Vergreisung. Und Sie vermuten bei uns ein "enges und elitäres Kulturverständnis", so als entspräche ausgerechnet die "Enge" dem "Geist" dieses Jahrzehnts.

Nun bewegen sich Verfasser und Unterzeichner des Briefes durchaus in verschiedenen Alltagskulturen, sie drehen wahrscheinlich nicht nur das Kulturradio an, sondern sehen gewiss auch fern, surfen im Internet und wissen es, wie man sieht, sogar zu nutzen. Sie erkunden kulturelle "Nischen" oder Subsysteme (über die bisher wenigstens noch in den Resonanzen berichtet und gestritten wird) oder lassen sich in Medien darüber informieren. Ebenso wenig scheuen sie Alltagskulturen oder Trash. Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk wird aber Tiefe zusehends durch Fläche, Dialog und gegenseitige Inspiration durch Kästchen und Formatierung ersetzt. So schwindet die Fähigkeit und Bereitschaft für eine Verständigung zwischen den gesellschaftlichen Kulturen oder Milieus. Anstatt sie abzubauen, wäre es wichtig, dafür umgekehrt Freiräume zu schaffen.

Ein musikgeprägtes Kulturradio wie WDR 3 müsste eine Programmdramaturgie entwickeln mit klassischer Musik, kürzeren und längeren Wortstrecken, einem Wechsel von Perspektiven, Themen, Meinungen und Formen. Es müsste Platz bieten für Klassisches und Experimentelles, Reflexion und Provokation. Und es erfüllt andere Hörererwartungen als die anderen vier WDR-Wellen.

Zu all dem und einigem mehr hätten wir uns eine Stellungnahme von Ihnen schon erhofft. Ebenso zu Ihren Plänen, redaktionelle "Zwischenhierarchien" zu etablieren, die vielen Redakteuren ihre Programmverantwortung beschneiden, wenn nicht sogar entziehen werden. Auch hätte uns interessiert, wie Sie künftig einen kompetenten Journalismus gewährleisten wollen. Der wäre ja darauf angewiesen, Redaktionen und Redakteure fachlich zu qualifizieren. Ihnen müsste die Möglichkeit gegeben werden, sich dauerhaft in komplexe Fragen einzuarbeiten, anstatt einer Personalpolitik des "fliegenden Wechsels" zu erliegen, die sie mal hier, mal dort einsetzt. So viele Fragen also; und so beredt Ihr Schweigen.

Wir würden Sie deshalb gern daran erinnern, dass der Begriff des "Elitären" zunächst eine "Auswahl" oder "Auslese" bezeichnet. Tatsächlich sind wir der Auffassung, dass die Hörer Anspruch auf ein auserlesenes Programm in Vielfalt haben.

Nicht zuletzt deshalb unsere Initiative.



Mit freundlichen Grüßen

Lothar Fend
Prof. Dr. Hans-Joachim Lenger


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Quelle:
Die Radioretter -Initiative Kultur im Rundfunk
E-Mail: kontakt@die-radioretter.de
Internet: www.die-radioretter.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. März 2012