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OFFENER BRIEF/004: Antwort von Hörfunkdirektor Schmitz auf die Replik der "Radioretter" (WDR)


Westdeutscher Rundfunk Köln (WDR) - Pressemitteilung vom 6. März 2012

WDR-Hörfunkdirektor Wolfgang Schmitz antwortet auf die Replik der "Initiative für Kultur im Rundfunk" auf seine Stellungnahme zur geplanten Veränderung bei WDR 3:


Sehr geehrter Herr Professor Lenger,
sehr geehrter Herr Fend,
vielen Dank für Ihren Brief vom 29.02.

Da Sie sich im Wesentlichen mit programmlichen Fragen befassen, will ich dazu gerne nachfolgend detailliert Stellung nehmen.

Erlauben Sie mir vorab den Hinweis, dass sich, anders als Sie vermuten, durch die organisatorischen Änderungen nichts am Status der verantwortlichen RedakteurInnen ändern wird - alles andere würde übrigens auch den eindeutigen Regularien des Hauses widersprechen. Die Planungsredaktion hat koordinierende Aufgaben und ersetzt in keiner Weise Kreativität, Phantasie und Verantwortung der FachredakteurInnen. Deren Kompetenzen werden auch künftig gefragt sein, um inhaltliche Qualität und formale Vielfalt bei WDR 3 nicht nur zu halten, sondern möglichst noch auszubauen. Darüber hinaus sind die Abteilungen Aktuelle Kultur sowie Hörspiel und Feature auch für kulturelle Angebote von WDR 5 und anderer Wellen als Kompetenzzentren unersetzlich.

Zu den einzelnen Punkten Ihres Schreibens:

1. Der Wortanteil von WDR 5 wurde bei Gründung der Welle auf achtzig Prozent festgelegt. Daran hat sich bis heute nichts geändert, allerdings gibt es einzelne Programmstrecken, die mehr und andere, die weniger Wort enthalten. Falsch ist, dass die Anzahl serviceorientierter Beiträge erhöht wurde, sie wurde im Gegenteil in den letzten Jahren kontinuierlich gesenkt. Das Musik-Wort-Verhältnis bei WDR 3 ist im Tagesprogramm schon vor Jahren auf 70:30 festgesetzt worden, wobei es auch hier Schwankungen bei einzelnen Sendungen gibt. Hier sind keine Änderungen geplant. Der Wortanteil von WDR 3 wird also nicht reduziert.

2. Die geplante Organisationsreform wird, im Gegensatz zu Ihrer Behauptung, die Kommunikation verbessern, da die am Tagesprogramm beteiligten RedakteurInnen von Musik und Wort künftig in einer Abteilung eng zusammenarbeiten. Die Unterstützung durch Datenbanken ist in allen Radioprogrammen eine selbstverständliche Arbeitserleichterung. Sie ersetzt nicht die Musikzusammenstellung durch die für einzelne Sendestrecken zuständigen RedakteurInnen. Das "Musikfeature" wird nicht ersatzlos gestrichen, sondern zu einem guten Teil auf einem anderen Featuresendeplatz fortgeführt. Die "Musikpassagen" in ihrer jetzigen Form sind kein spezielles Markenzeichen von WDR 3. Ihre Themen werden nicht verloren gehen, sie finden in den Musiksendungen des Nachmittagsprogramms ausreichend Platz.

3. Die derzeit vier Sendeplätze für die "Journale" werden ersetzt durch O-Ton-Nachrichten. Um 18 Uhr wird es künftig eine Zusammenfassung der wichtigen Tagesaktualität geben. Durch diese Umschichtung gehen maximal zwei Minuten politischer Information verloren. Vermutlich aber wird sie sogar mehr Platz einnehmen, weil besonders wichtige Nachrichtenlagen künftig auch im laufenden Programm abgebildet werden können. Beispiel zuletzt: Für den Rücktritt von Christian Wulff wurde das "KlassikForum" unterbrochen. Vertiefende politische Information finden die WDR 3-Hörer bei WDR 2 und bei WDR 5.

4. "Resonanzen" ist, dem Auftrag von WDR 3 entsprechend, ein Kulturmagazin. Es wird in dem Überblick, den es zu tagesaktuell wichtigen Kulturereignissen zwischen 18 und 20 Uhr anbieten wird, auch auf einschlägige Beiträge aus verschiedenen Kultursendungen des Tages zurückgreifen. Die Wiederholung von Beiträgen oder Sendungen ist eine übliche und von vielen Hörerinnen und Hörern geschätzte Möglichkeit, sich mit einem Thema auch dann vertraut zu machen, wenn sie bei dessen Erstausstrahlung keine Möglichkeit hatten, Radio zu hören. Über die Länge des neu geplanten Kommentars gibt es keine Vorgaben und ist noch nicht entschieden, er wird jedenfalls ein Alleinstellungsmerkmal der "Resonanzen" darstellen. Auch über den Themenzuschnitt des Live- Gesprächs wird noch diskutiert. Es wird in jedem Fall Profil bildend für "Resonanzen" sein.

5. Was Ihre Bewertung der Leistung und der Qualität von WDR 5 betrifft, bin ich dezidiert anderer Auffassung als Sie. Hier lege ich Ihnen gerne, wenn Sie an einer entsprechenden Diskussion interessiert sind, eine Fülle von Beispielen vor, die belegen werden, dass dort reichlich "Schätze außerhalb des Mainstreams" gesendet werden und dass "Sperriges und Forderndes" in allen Formen des Radios stattfindet.

6. Siehe zu 2. Neue Aufgaben, für die Ressourcen umgeschichtet werden sollen, sind unter anderem ein ausführliches Kulturmagazin jeden Sonntag um 12 Uhr mit aktueller Kultur, der Kommentarplatz, ein zeitgemäßer Internet-Auftritt von WDR 3 und der Ausbau von Programm- und Veranstaltungsformaten wie "WDR 3 Lieblingsstücke", mit denen die Welle erfolgreich auf Augenhöhe mit ihrem Publikum gegangen ist und neue HörerInnen für sich interessieren konnte.

7. Mir lag es fern, mit meiner Anmerkung zum "Kulturradio-Verständnis" irgendjemandem zu nahe zu treten. Ich bin als Direktor für das WDR 3 der Gegenwart und der Zukunft verantwortlich und bin überzeugt davon, dass Kulturradio für die Gesellschaft, und zweifellos auch für Minderheiten unverzichtbar ist. Deshalb ist WDR 3, das gilt auch für WDR 5, gut mit Personal und mit sehr auskömmlichem Etat ausgestattet.

Und wenn WDR 3, mit diesen guten Voraussetzungen, auch in Zukunft als Medium und Faktor des kulturellen Geschehens Relevanz behalten und womöglich noch steigern will, wird es sich einstellen müssen auf geänderte Mediennutzungsgewohnheiten auch des kulturaffinen Publikums. Radio, auch Kulturradio, ist Alltagsmedium. Dieser Alltag wandelt sich mit großer Dynamik. Wir definieren dessen Bedingungen nicht - wenn wir sie aber ignorieren, hat anspruchsvolles Kulturradio keine Chance.

Davon bin ich überzeugt und darüber streite ich gerne mit Ihnen. Und besonders gerne dann, wenn Sie mir das zugestehen, was auch Sie zweifellos antreibt: Leidenschaft für ein zukunftsfähiges Kulturradio.

Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Schmitz
WDR-Hörfunkdirektor


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Quelle:
Presseinformation vom 6. März 2012
Herausgeber:
Westdeutscher Rundfunk Köln (Anstalt des öffentlichen Rechts),
Appellhofplatz 1, 50667 Köln
Postanschrift: 50600 Köln,
Telefon: 0221/220 2407, Fax: 0221/220 2288,
Internet: www.wdr.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. März 2012