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INTERVIEW/006: Borgia im ZDF - Alter Wein ..., Wolfgang Feindt und Christoph Schrewe im Gespräch (SB)


Interview mit dem ZDF-Redakteur Wolfgang Feindt und dem Regisseur Christoph Schrewe am 30. Juli 2013 in Hamburg

Griff ins volle Leben



Serien haben Konjunktur im Fernsehen - national und international. Sie haben das, was Kino nicht bieten kann - Zeit zum Erzählen. Am 30. September 2013 startet das ZDF die 2. Staffel des Historiendramas Borgia. Zur besten Sendezeit, wie die Macher befriedigt konstatieren. Über die Besonderheiten dieser europäischen Mammutproduktion und die Renaissance des Fernsehens sprach der Schattenblick mit dem verantwortlichen Redakteur des ZDF für Serien Wolfgang Feindt und dem Regisseur Christoph Schrewe anläßlich der Pressepräsentation am 30. Juli in Hamburg.

Schattenblick: Welche persönlichen Gefühle begleiten Sie vor dem Start der zweiten Staffel? Ist es eher die Gewißheit, daß es wieder so ein Erfolg wird - immerhin haben 5 Millionen Fernsehzuschauer allein in Deutschland die erste Staffel gesehen -, oder eher eine Unsicherheit, ein Fragezeichen, eine Aufregung, was beschäftigt Sie?

Wolfgang Feindt: Es ist eine Aufregung da auf alle Fälle, weil man wirklich sehr hinter dem Programm steht und ich wünsche mir natürlich, daß so große Erzählstoffe auch international die Möglichkeit finden, immer wieder in die Primetime zu gelangen und großes Publikum zu begeistern.

SB: Es klang heute auf der Pressekonferenz an, daß die Serie nicht von vornherein auf drei Staffeln ausgelegt war.

WF: Das entwickelt sich eigentlich von Staffel zu Staffel. Man braucht den Erfolg, sonst kann man so etwas nicht prolongieren. Projekte dieser Größenordnung von 25, 30 Millionen kann man nur angehen, wenn man sie auch international verkaufen kann.

SB: Also hätte es auch passieren können, daß nach der ersten Staffel Schluß ist?

WF: Es wäre sicherlich schwierig geworden, weil ja auch große Mittel gebunden werden. Das ist der Wettbewerb. Aber mit dem Erfolg eröffnete sich natürlich jetzt eine tolle Möglichkeit, zumal es vom inneren Kern, also von den Figuren her, so viel zu erzählen gab.

Foto: © 2013 by Schattenblick

Verantwortlich für Serien im ZDF: Wolfgang Feindt
Foto: © 2013 by Schattenblick

SB: Die Serie ist von der Anlage her eigentlich großes Kino, was macht den Stoff trotzdem für das Fernsehen so geeignet?

WF: Die Serie erlebt, auch international, eine unglaubliche Renaissance, ich selbst bin ein großer Seriengucker. Man hat eine längere Erzählzeit und kann Figuren ganz anders in verschiedene Entwicklungen und auch in eine Tiefe führen. Das ist gerade bei einem historischen Stoff eine großartige Möglichkeit. Wir erleben in der zweiten Staffel, wie Cesare und Lucrezia sich ins Erwachsenenleben bewegen, wie sie in die Verantwortung kommen; diese zeitliche Entwicklung kann man nur in einer Serie erzählen.

SB: Bedeutet das auch eine Renaissance für das Medium Fernsehen?

WF: Es ist ein goldenes Zeitalter fürs Fernsehen, weil wir die Möglichkeit haben, mit diesen Serien große Zuschauerströme in Bewegung zu bringen. Solche Serien werden sehr stark wahrgenommen und diskutiert.

SB: Nach der Ausstrahlung der ersten Staffel im Jahr 2011 hat es auch Kritik gegeben derart, man hätte aus dieser so wichtigen Zeit der Renaissance ein anderes, besseres Thema wählen können oder sollen als den Aufstieg eines korrupten Familienclans.

WF: Sicherlich könnte man in dem Zusammenhang auch noch andere Überlegungen anstellen. Zum Beispiel arbeiten wir schon sehr lange an einem Projekt über die Medici. Wir machen auch sehr anspruchsvolle, gute Dokumentationen, aber hier steht das fiktionale Erzählen im Vordergrund. Wir haben gemerkt, daß diese Borgias zwischen Mittelalter und Renaissance eine tolle Fläche bieten, die unterschiedlichen Charaktere in dem, was sie mitgenommen haben aus dem Mittelalter und was immer noch wirkt, und der Zukunft, die schon sichtbar wird, zu dramatisieren. Das macht diese Figuren so spannend. Und natürlich bieten die Borgia als Familie, die die europäische Geschichte in so maßgeblicher Weise bestimmt hat, auf alle Fälle einen Erzählstoff, der es wert ist, in Serie zu gehen.

SB: Wieviel Geschichte läßt sich dabei tatsächlich transportieren? Gucken die Zuschauer das, weil sie an der Zeit interessiert sind, oder gucken sie es doch eher aus Unterhaltungsgründen?

WF: Ich glaube, was hier manchmal sehr einfach und unterhaltend daherkommt, kann nur funktionieren, wenn es in einer großen geschichtlichen Genauigkeit gearbeitet ist, sonst würde es sofort wegbrechen. Das Projekt liegt ja in der Hauptverantwortung von Tom Fontana, er ist Headautor, also verantwortlich für das Gesamtkonzept der Bücher und gleichzeitig auch Produzent dieser Serie. Er lebt selber in einer Riesenbibliothek und recherchiert an einem Stoff jahrelang, bevor er so ein Projekt anfaßt.

Und das liest man auch an den Reaktionen der Zuschauer ab, die sehr breit gefächert sind. Viele interessiert das gar nicht, gerade jüngere Zuschauer finden erst einmal diese Leute total geil und dann auch nochmal die Zeit, fangen dann aber an, sich mit Borgia zu beschäftigen; da kehrt es sich um. Wir haben natürlich, so funktioniert öffentlich-rechtliches Fernsehen, ein starkes Fachpublikum, was sich historisch sehr gut aufgehoben fühlt, weil sich die Figuren stark an den Quellen orientieren. Wo es eine ganz unterschiedliche Quellenlage gibt wie bei dem den Borgia nachgesagten Inzest, haben wir uns für einen ganz passiven Umgang damit entschieden, während die US-Serie von Showtime dieses Thema sehr in den Mittelpunkt gestellt hat.

Christoph Schrewe: Und gleichzeitig gibt es ein fiktionales Element - manchmal spielen wir ein bißchen mit den Jahren, Ereignisse werden ein wenig vor- oder zurückgezogen, und es gibt Lücken.

Foto: © 2013 by Schattenblick

Regisseur Christoph Schrewe während der Pressekonferenz
Foto: © 2013 by Schattenblick

SB: Sie wollen, heißt es, dem negativen Bild der Borgia von einer korrupten, wollüstigen und machtbesessenen Dynastie ein Stück historische Wahrheit entgegensetzen oder das Bild zumindest um diese ergänzen. Die Serie wirbt aber fast ausschließlich mit eben diesen Attributen. Wie paßt das zusammen?

WF: Diese Form der Freizügigkeit, die uns stellenweise als selbstreferenziell und sehr nach außen gestellt vorkommt, kommt aus der damaligen Zeit. Es wäre eher verklemmt, wenn man das aussparen würde. Aber es ist natürlich so, daß so etwas besonders stark wahrgenommen wird; das ist dieser Blick durchs Schlüsselloch. Aber er hält stand, weil aus dem Drama heraus Geschichte implantiert wird. Das ist einfach eine Zeit, wo alles aufbricht, wo alles da ist. Wir zeigen ja auch Figuren, die die Borgias direkt begleitet haben, Machiavelli oder Leonardo da Vinci. Dieses enge Verhältnis mit Cesare, der in der Berührung mit Kunst und Kultur zu einem anderen Menschen wird, ist verbrieft.

CS: Da die Borgias zu ihrer Zeit sehr verhaßt waren und sich ihre Feinde bemüht haben, sie in den Dreck zu ziehen, gibt es viel Literatur aus der Zeit, auch eine Menge Gerüchte, die publiziert wurden. Da hat Tom einen enormen Job gemacht, als er versucht hat, das auseinanderzudividieren. Ganz wichtig im Vergleich zu den anderen Borgias ist, glaube ich, auch, daß wir keine antikatholische Propaganda machen. Ich bin Katholik, Fontana ist Katholik - und das ist ein Ringen mit der Geschichte und mit dem, wie es dazu kommt, wie das zusammenhängt - und kein Aburteilen.

SB: Wenn man die aktuelle Auseinandersetzung zwischen einem extremen Christentum und einem fundamentalistischen Islam betrachtet, hat eine solche Serie für die Wirklichkeit irgendeine Form von Aufklärungsarbeit beizutragen?

WF: Sicherlich nicht. Da würde man das Medium überschätzen. Interessant aber ist die Reibung von Entwürfen, die wir jetzt leben, mit denen der Vergangenheit. Das gerät oft aus dem Blick, wenn man zu stark im Alltag verhaftet ist. Deswegen freue ich mich - und das ist dann der kleine Beitrag, den man setzen kann -, wenn man einfach einmal Welten in den Fokus stellt und Interessen in einen Abgleich bringt. Ich glaube, daß auch das wieder Bewegungen auslösen kann.

Unser ganz großer Vorteil ist, glaube ich, daß wir bei Borgia eine Situation vorfinden, wo wir in einer europäischen Koproduktion europäische Geschichte erzählen. Das ganze paart sich mit Tom Fontana als Showrunner, der sicherlich singulär ist auf dem Markt, wo nochmal eine ganz andere Perspektive reinkommt, so daß eine ganz spezielle Mischung entsteht.

SB: Bei solch einem Stoff der historischen Wahrheit auf die Spur zu kommen, ist ein fast aussichtsloses Unterfangen. Welchen vielleicht auch bewußt interpretativen Schwerpunkt haben Sie, Herr Schrewe, bei Ihrer Arbeit als Regisseur gesetzt?

Foto: © 2013 by Schattenblick

Sichtbarer Spaß an der Zusammenarbeit - Regisseur Christoph Schrewe mit 'Showrunner' Tom Fontana
Foto: © 2013 by Schattenblick

CS: Mir war wichtig, daß sich mir die Charaktere heute erschließen, daß sie mir in dem Moment, wo die Kamera läuft, als echte Menschen daherkommen, daß sie mir nahe sind, daß ich sie verstehen kann, daß ich mitbekomme, das sie nicht anders sind als heute. Da ist eine Familie, die haben familiäre Szenen miteinander, und es sind sehr mächtige Menschen, die diskutieren, wohin sie das Geschick ihres Landes lenken. Da ist kein Unterschied zu dem, wie es im Kanzleramt zugeht, vielleicht in der Wahl der Mittel, aber nicht in dem, wie Macht diskutiert wird.

Tom hat so großartige Charaktere geschrieben. Gerade Cesare Borgia ist einer der faszinierendsten Charaktere, die je in einer Serie geschrieben worden sind. Die Reise, die er durchmacht von einem jungen gläubigen Mann aus dem Mittelalter zu dem Renaissance-Menschen, zum ersten modernen Politiker und Feldherrn, der seinen Armeen verboten hat zu vergewaltigen, was damals üblich war. Er hat neue Standards eingeführt, weil er wußte, daß nicht Gott am Ende richtet, sondern daß wir Menschen einen großen Einfluß auf unser Geschick haben.

WF: Das Entscheidende ist, daß wir hier kein Kostümdrama machen, sondern daß man in der Dramatisierung der Figuren immer wieder die historische Wurzel findet, daß eine geschichtliche Genauigkeit dahintersteht. Das unterscheidet diese Produktion von vielen, vielen anderen. Und deshalb glaube ich, kommt sie auch bei den Leuten zwar sehr unterschiedlich an, aber sie greift.

CS: Das Tolle ist der Blick auf die Figuren: Wir verurteilen sie nicht. Wir gehen mit ihnen auf eine Reise. Und es ist mir sehr wichtig, so saftig wie möglich zu erzählen, wir greifen da ins volle Leben: Wie sie essen, wie sie vögeln, wie sie kämpfen, wie sie lieben, das fasziniert mich, das ist ein großer Spaß, denen da zuzugucken, und ich glaube, für die Zuschauer ist es saugute Unterhaltung. Dazu kommt, daß wir die zum Teil sehr grausamen Szenen in fantastischer Kulisse haben, das sind alles Gemälde. Das ist wie eine eigene Kunstform: so unerträglich schön und gleichzeitig in dieser Schönheit ganz grausam.

Christoph Schrewe im Interview - Foto: © 2013 by Schattenblick

Mitten im Leben
Foto: © 2013 by Schattenblick

SB: Die Art und Weise, Geschichte als das Werk herausragender Persönlichkeiten zu erzählen, die den Fortgang der Ereignisse bestimmen, entspricht einem sehr traditionellen Bild der Historie. Sie haben sich, wie Sie sagen, um eine differenzierte Sicht auf die Personen bemüht, versucht, sie ganz einfach menschlich zu zeigen, auch in ihren Verfehlungen. Läuft man damit Gefahr, einer Sichtweise Vorschub zu leisten, die einen Hitler - ich denke da an den Film Der Untergang, der ihn ja durchaus auch von einer ganz menschlichen Seite zeigt - oder auch einen Berlusconi zu entschuldigen, weil sie zwar Verbrechen begangen haben, aber eben auch (nur) Menschen sind?

CS: Hitler muß ich da ausnehmen, weil das eine ganz andere Diskussion ist. Aber bei Berlusconi kommen wir der Sache näher (lacht) - auf eine Art "Vergib ihnen ihre Schuld". Es gibt so viele Geschichten von Menschen aus unserem Umfeld, Freunde, Bekannte, mit ganz komplexen Seiten. Denn es gibt nicht den fantastischen Familienvater, der auch noch ein guter Unternehmer ist, sich immer anständig verhält und in die Kirche geht - jeder Mensch hat eine Komplexität. Und selbst wenn er die nicht selber lebt, dann gibt es doch eine verbotene Lust, dabei zu sein oder diese Versuchungen zu haben. Ich glaube, daß der Mensch in sich wesentlich komplexer und sehr viel unmoralischer ist. Deshalb ist es so spannend, das anhand von Figuren zu erforschen, die Gott sei Dank 500 Jahre hinter uns liegen, aber in Wirklichkeit ist das alles lebendig.

Ich glaube nicht, daß das menschliche Erzählen eine Rechtfertigung bedeutet - die schlechten Taten bleiben schlechte Taten -, aber es ist Teil des Menschlichen, daß sie passieren. Wir gehen dabei von einem mündigen Zuschauer aus. Es ist eine sehr moderne und fürs Fernsehen ungewöhnliche Erzählweise, die sich eigentlich erst in den letzten zehn Jahren entwickelt hat, mit den amerikanischen Anfängen sind es vielleicht fünfzehn, wo eben nicht der gute Mensch als guter Mensch im Mittelpunkt steht. Tom hat mit Oz den Anfang gemacht.

Foto: © 2013 by Schattenblick

Wolfgang Feindt im Gespräch mit SB-Redakteurin
Foto: © 2013 by Schattenblick

SB: War es für Sie als Katholik auch ein Anliegen, die religiöse Seite mit in die Interpretation zu bringen?

CS: Das spielt mit hinein, bestimmt aber nicht die Interpretation; es ist eher ein Nachdenken darüber. Die katholische Kirche ist kein großer Freund der Borgias, sie mögen diese Phase ihrer Geschichte nicht besonders gerne. Es ist sogar schwierig, sich Rodrigos Grab in Rom anzugucken. Es ist nicht wie andere Gräber leicht zugänglich und man muß den Priester überzeugen, einen hineinzulassen, man muß das begründen. Man will die eigentlich nicht haben.

SB: Herr Feindt, Herr Schrewe, vielen Dank für das Gespräch.

Weitere SB-Beiträge zur ZDF-Serie "Borgia" siehe:

BERICHT/004: Borgia im ZDF - Renaissance verpaßt (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/medien/report/mreb0004.html

BERICHT/005: Borgia im ZDF - Opulenz und Dekadenz (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/medien/report/mreb0005.html

INTERVIEW/003: Borgia im ZDF - Taktische Transparenzen, Jan Mojto im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/medien/report/mrei0003.html

INTERVIEW/004: Borgia im ZDF - Starke Bilder, Nebenwelten, Tom Fontana im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/medien/report/mrei0004.html

INTERVIEW/005: Borgia im ZDF - eher die Ausnahme, John Doman im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/medien/report/mrei0005.html

16. August 2013