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AUGEN/423: Angeborenes Augenzittern - Defekt in der Netzhaut identifiziert (idw)


Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich) - 06.01.2016

Angeborenes Augenzittern: Defekt in der Netzhaut identifiziert


Botond Roska und seine Arbeitsgruppe am Friedrich Miescher Institut for Biomedical Research (FMI) sowie Forschende der ETH Zürich haben einen eindeutig definierten Neuronentyp und dessen Verschaltung in der Retina mit der Pathophysiologie des angeborenen Augenzittern (Nystagmus) in Verbindung gebracht. In einem Mausmodell der Erkrankung, das vergleichbare klinische Symptome wie betroffene Patienten zeigt, führt ein Defekt der Starburst-Zellen, der durch ein dysfunktionales FRMD7-Gen ausgelöst wird, zum Verlust des horizontalen optokinetischen Reflexes.

Bei Kindern mit idiopathischem, angeborenem Nystagmus bewegen sich die Augen unwillkürlich von links nach rechts und wieder zurück. Aufgrund dieser unbeabsichtigten Hin- und Herbewegung ist die Sehfähigkeit dieser Kinder erheblich eingeschränkt, einige von ihnen werden offiziell als blind eingestuft. Diesen Kindern fehlt der horizontale optokinetische Reflex, der üblicherweise dabei hilft, den Blick stabil zu halten. Bei ungefähr 70 % der Fälle konnte die Ursache dafür identifiziert werden: ein auf dem X-Chromosom lokalisiertes Gen mit der Bezeichnung FRMD7 ist mutiert. Wie jedoch ein Defekt bei diesem Gen zu der Erkrankung führt, konnte bislang nicht genau geklärt werden.

An dieser Stelle liefern die Arbeiten der Forschungsgruppe von Botond Roska, Gruppenleiter am FMI und Professor an der Universität Basel, wertvolle neue Erkenntnisse. Wie in einer Publikation in der Fachzeitschrift Neuron beschrieben, konnten die Forscherinnen und Forscher bei Mäusen nachweisen, dass der Ausfall der FRMD7-Genfunktion den Verlust des horizontalen optokinetischen Reflexes verursacht. Sie zeigten im Detail, dass das Fehlen von FRMD7 die Funktion eines klar definierten Zelltyps in der Retina - der Starburst-Zellen - beeinträchtigt. Bei den Starburst-Zellen handelt es sich um Interneuronen (auch Schaltneurone genannt), die Ganglienzellen in Abhängigkeit von der Bewegungsrichtung eines Objekts oder der gesamten Szene asymmetrisch hemmen. Sie leisten so einen entscheidenden Beitrag zur Wahrnehmung der verschiedenen Bewegungsrichtungen.

Diese Erkenntnisse wurden durch einen mikroelektronischen Chip ermöglicht, den die Arbeitsgruppe von Andreas Hierlemann am Departement für Biosysteme (Department of Biosystems Science and Engineering, D-BSSE) der ETH Zürich entwickelt hat. Mithilfe dieses hochdichten Arrays konnten die Neurobiologen gleichzeitig die elektrischen Signale von Tausenden Ganglienzellen in der Netzhaut während der Wahrnehmung von Bewegungsrichtungen messen. "Es war auffällig, wie das Signal in horizontaler Richtung bei fehlender FRMD7-Genfunktion vollständig ausblieb", erläuterte Michele Fiscella, einer der Erstautoren der Publikation. "Wir denken, dass FRMD7 am Aufbau der asymmetrischen Verbindungen zwischen den Starburst-Zellen und den Ganglienzellen beteiligt ist - einem Schritt in der Entwicklung, der normalerweise kurz nach der Geburt stattfindet", so Antonia Drinnenberg, ebenfalls Erstautorin.

Mit diesen Ergebnissen waren die Neurobiologen erstmals in der Lage, einen direkten Zusammenhang zwischen einem eindeutig definierten Neuronentyp und der Pathophysiologie einer neurologischen Erkrankung herzustellen. "Meines Wissens ist dies das erste Mal, dass wir eine Erkrankung direkt mit einem Defekt in der neuronalen Informationsverarbeitung in Zusammenhang bringen können", erklärte Keisuke Yonehara, dritter Hauptautor des Artikels.

Um weiter zu bestätigen, ob eine FRMD7-Dysfunktion in den Starburst-Zellen auch beim Menschen für den Ausfall des horizontalen Reflexes beim angeborenen Nystagmus verantwortlich ist, verglichen die Wissenschaftler die Krankheitssymptome bei Patienten mit denen von Mäusen mit fehlender FRMD7-Funktion. "Die Patienten konnten ihre Augen willkürlich horizontal bewegen; die horizontale Augenbewegung an sich war also nicht beeinträchtigt", erläuterte Roska. "Darüber hinaus war auch der vertikale optokinetische Reflex nicht betroffen. Da die neuronalen Bahnen, über die der Reflex gesteuert wird, bei den Säugetieren identisch sind, sind wir der Ansicht, dass auch beim Menschen der Verlust des horizontalen Reflexes - zumindest teilweise - durch den Ausfall des FRMD7-Gens in den Starburst-Zellen verursacht wird."

Die Forscher verfügen somit über ein wertvolles Mausmodell, das eindeutig ein Symptom der Erkrankung beim Menschen widerspiegelt. Sie haben zudem einen molekularen Einstiegspunkt - FRMD7 in den Starburst-Zellen -, um die molekularen Mechanismen der Erkrankung eingehender zu untersuchen.


Weitere Informationen finden Sie unter
http://www.fmi.ch/news/releases/articles/roska.160106.html

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution104

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich), Peter Rüegg, 06.01.2016
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Januar 2016

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