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NEUROLOGIE/774: Multiple Sklerose - Therapiestudie mit neuen Antikörpern (idw)


Universitätsklinikum Tübingen - 17.10.2013

Therapiestudie Optikusneuritis/Multiple Sklerose: Antikörper sollen Sehnerv schützen



Eine Entzündung des Sehnervs kann das erste Symptom einer Multiplen Sklerose sein. Innerhalb einer internationalen Therapiestudie prüfen Wissenschaftler der Universitäts-Augenklinik Tübingen mit speziellen Antikörpern, ob bereits geschädigte Sehnerven regeneriert oder vor weiterer Entzündungen geschützt werden können.

Die Neuroophthalmologische Ambulanz am Universitätsklinikum Tübingen unter der Leitung von Prof. Helmut Wilhelm zählt zu den wenigen Spezialzentren ihrer Art in Europa und wurde wegen ihrer großen Expertise bei den Erkrankungen der Sehbahn als einziges Augenzentrum für diese Patientenstudie ausgewählt.

Entzündeter Sehnerv kann erster Hinweis auf eine Multiple Sklerose sein

Obwohl die Krankheit vor mehr als einem Jahrhundert erstmals beschrieben wurde, sind Diagnose und Therapie der Multiplen Sklerose (MS) nach wie vor schwierig. Patienten mit MS leiden an schubweise in Gehirn und Rückenmark auftretenden Entzündungsherden. Die daraus entstehenden Schäden im zentralen Nervensystem lassen sich bisher nicht rückgängig machen, da sich diese Zellen nicht aus eigener Kraft erholen können. Die mangelnde Regenerationsfähigkeit der Nerven liegt vor allem daran, dass die sie umgebende Schutzschicht - das sogenannte Myelin - nicht mehr nachgebildet wird. Die Folge sind anhaltende Beeinträchtigungen des Sehens, Missempfindungen oder Bewegungseinschränkungen.

Die Multiple Sklerose entwickelt sich schleichend - teilweise werden die ersten Symptome gar nicht in Verbindung mit dieser Erkrankung gebracht. Wenn jedoch junge Erwachsene unter einer Optikusneuritis - dem entzündeten Sehnerv - leiden, sind die Beschwerden meistens typisch. Die Betroffenen bemerken Schmerzen, wenn sie die Augen bewegen, außerdem erscheint das Sehen auf dem jeweiligen Auge "verschleiert". Farben werden nicht mehr so intensiv wahrgenommen.

Studie mit neuen Antikörpern

Ein neuer Antikörper könnte den molekularen Schalter umlegen, so dass die fehlende Myelin-Schutzschicht wieder produziert wird. Wie die Antikörper bei Patienten wirken, wird im Rahmen der Studie wissenschaftlich untersucht. Für diese Untersuchungen ist der Sehnerv besonders geeignet, da er - besser als andere Nervenstrukturen - von außen problemlos einsehbar ist und vermessen werden kann.

Die Studie mit dem Antikörper "Anti LINGO-1" ist für Patienten geeignet, die das erste Mal eine Entzündung des Sehnervs erleiden. Nach eingehenden Untersuchungen und Tests erhalten die Probanden im ersten Monat Infusionen mit entzündungshemmenden Medikamenten, die Standardtherapie der akuten Sehnervenentzündung. Danach folgt bei den bei den ausgewählten Studienteilnehmern eine 20-wöchige Behandlungsphase, in der ein Teil dass neue Medikament oder alternativ ein Placebo erhält. Wer den Wirkstoff erhält und wer nicht erfolgt zufallsbedingt, auch die behandelnden Spezialisten der Neuroophthalmologie* wissen nicht, wer welche Substanz erhält. Durch dieses sogenannte "Doppelblind-Verfahren" werden die Faktoren minimiert, die aus dem Vorwissen der Patienten und Ärzte entstehen könnten, wenn während und nach der Medikamentengabe der allgemeine Gesundheitszustand sowie mögliche Verbesserungen des entzündungsbedingt eingeschränkten Sehvermögens durch Patient und Arzt beurteilt werden.

Untersuchungstechnik und klinische Erfahrung

In wenigen Feldern der Augenheilkunde ist die klinische Erfahrung und das Untersuchungshandwerk so von Bedeutung wie in dem Feld der Sinnesphysiologie, das sich im Bereich der degenerativen, neoplastischen und entzündlichen Erkrankungen der Sehbahn bewegt. "Gut zuhören und weniger - dafür aber die richtige - Diagnostik sind entscheidend für eine gute Betreuung von Patienten", sagt Prof. Helmut Wilhelm. Jedes Auge besitzt rund eine Million Nervenfasern, die die Signale ans Gehirn weiterleiten. Um diese Nervenfasern des Sehnervs auf wenige Tausendstel Millimeter genau vermessen zu können, benutzt man die sogenannt "alsoptische Kohärenztomografie (OCT)", die viele feine Schichtaufnahmen liefert. Die Experten der Tübinger Universitätsaugenklinik haben langjährige große Erfahrung bei dieser Untersuchung des Sehnervs und waren an der Entwicklung der Technik maßgeblich beteiligt.


* Die Neuroopthalmologie an der Universitätsaugenklinik Tübingen

In diesem spezialisierten Fachgebiet steht die Verknüpfung des Auges mit den verarbeitenden Zentren des Gehirns im Vordergrund. Als eine der bundesweit größten und renommiertesten Einrichtungen dieser Art verbindet das Zentrum die medizinische Versorgung der Patienten mit einem umfangreichen Beratungsangebot und einer regen Forschungstätigkeit. Neben modernster Pupillen-Diagnostik werden elektrophysiologische Messplätze sowie weiterentwickelte Untersuchungstechniken der Gesichtsfelduntersuchung und des Farbensehens verwendet. Die Abteilung fungiert zudem als Obergutachter in der Bewertung der Fahrtauglichkeit. 2015 wird die Spezial-Ambulanz mit der neuen Augenklinik auf den Klinikstandort Kliniken Berg umziehen, so dass der Austausch mit den neurowissenschaftlichen Experten des Hertie-Instituts, der Neurologie, der Neuropädiatrie, der Neuroradiologie und der Neurochirurgie noch verbessert werden kann. Bereits heute behandeln die Augenärzte der Neuroophtalmologie pro Jahr mehr als 3000 Patienten, davon allein über 50 mit einer Entzündung des Sehnervs. Besonders eng kooperiert die Neuroophtalmologie mit der Neurologie, u.a. der renommierten Arbeitsgruppe des Neuro-Immunologen Prof. Dr. Felix Bischoff auf dem Gebiet der Multiplen Sklerose.


Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution82

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Universitätsklinikum Tübingen, Dr. Ellen Katz, 17.10.2013
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Oktober 2013