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NEUROLOGIE/1027: Seltene Ursache von Sehverlust und Querschnittslähmung besser behandelbar (idw)


Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. - 27.09.2019

Seltene Ursache von Sehverlust und Querschnittslähmung besser behandelbar


Die NMO (Neuromyelitis optica) stellt eine seltene Erblindungs-Ursache dar. NMO ist eine Autoimmunerkrankung, die zur Sehnervenentzündung führt, aber auch das Rückenmark befallen und bis zur Querschnittslähmung führen kann. Die Erkrankung verläuft in Schüben, die sich auch bei rechtzeitiger Behandlung nicht immer vollständig zurückbilden. Ähnlich wie bei Multipler Sklerose ist daher die Schubprophylaxe von großer Bedeutung. Ein neues Medikament, Eculizumab, könnte hier künftig auch Patienten mit hochaktiven NMO-Formen und häufigen, schwer kontrollierbaren Schüben das Fortschreiten der Erkrankung und somit viel Leid ersparen.

Erkrankungen des Neuromyelitis-optica-Spektrums (NMOSD "Neuromyelitis optica spectrum disorders") sind seltene Autoimmunerkrankungen des zentralen Nervensystems (ZNS) [1, 2]. Dabei greifen Zellen des Immunsystems fälschlicherweise die eigenen Nervenzellen der Sehnerven und des Rückenmarkes an. Es kommt zu Entzündungen der Sehnerven mit Sehstörungen (z. B. Verschwommensehen) bis hin zur Erblindung. Bei Befall des Rückenmarkes finden sich Muskelschwäche bzw. Lähmung der Beine, Sensibilitätsstörungen, Entleerungsstörungen von Blase und Darm sowie weitere variable Symptome.

Die Erkrankung verläuft in der Regel schubförmig. Bei rechtzeitiger Behandlung eines Schubes (z. B. mit Kortison) kann sich die Symptomatik vollständig zurückbilden; bei unvollständiger Erholung kommt es jedoch zu bleibenden Behinderungen, die bei jedem Schub fortschreiten. In Deutschland geht man von 1 - 4 Erkrankten pro 100.000 Personen aus.

"Früher dachte man, dass es sich um eine Form der Multiplen Sklerose handelt, heute ist NMO(SD) jedoch eine eigenständige Erkrankung, bei der sich das körpereigene Immunsystem gegen Aquaporin-4, einen Wasserkanal in den Zellmembranen, richtet", erklärt Priv.-Doz. Dr. Harald Prüß von der Klinik für Neurologie der Charité und dem Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE) in Berlin.

Die beste Behandlung ist neben der schnellstmöglichen Schubtherapie die Prophylaxe neuer Schübe. Dies erfolgt medikamentös durch eine dauerhafte Immunsuppression, wodurch das Immunsystem unterdrückt und so die Bildung von Aquaporin-4-Autoantikörpern verhindert wird. Immunsuppressive Therapien bergen jedoch das Risiko schwerer, potenziell tödlich verlaufender Infektionen - vor allem bei starken, immunsuppressiven Medikamenten, die viele oder alle Anteile des Immunsystems gleichzeitig unterdrücken. Neue Immunsuppressiva ermöglichen es inzwischen, das Immunsystem nur noch an spezifischen Stellen zu unterdrücken und nicht in seiner Gesamtheit. So wird zurzeit erfolgreich Rituximab (ein sogenannter CD20-Antikörper) zur NMO-Schubprophylaxe eingesetzt.

Die "American Academy of Neurology" (AAN) hat bereits 2019 als "Jahr der NMO" ausgerufen, da auf der AAN-Jahrestagung drei international durchgeführte Studien zu weiteren, im Ergebnis sehr wirksamen NMO-Therapien präsentiert wurden. Untersucht wurden drei neue Antikörper: Inebilizumab (ein CD19-Antikörper), Satralizumab (ein Interleukin-6-Rezeptor-Antikörper) und Eculizumab (ein Antikörper gegen Protein C5 des Komplementsystems, einem Teilsystem unseres Immunsystems). Eculizumab ist dabei von großem Interesse, da seit fast 20 Jahren die Rolle der Komplementaktivierung bei der NMO bekannt ist (durch den Nachweis von Komplementablagerungen im Rückenmark von Patienten).

In einer doppelblinden, randomisierten Studie [3] erhielten 143 NMO-Patienten mit hochaktiver Erkrankung entweder Eculizumab oder Placebo (2 : 1) zusätzlich zu ihrer bereits laufenden Therapie. Die Gabe erfolgte intravenös zunächst wöchentlich, nach vier Wochen dann alle zwei Wochen. Vor Studienbeginn hatten die Patienten im Mittel jährlich zwei Schübe (1,99 ± 0,94). Das primäre Outcome der Studie war die Zeit bis zum ersten Rückfall. Im Ergebnis hatten 3/96 Patienten (3 %) in der Eculizumab-Gruppe einen Rückfall - gegenüber 20/47 Patienten (43 %) in der Placebogruppe. Das entsprach einer relativen Risikoreduktion von 94 % (HR 0,06). Nach 3 Jahren waren 96 % in der Eculizumab-Gruppe ohne Rückfall (gegenüber nur 45 % mit Placebo). Eculizumab zeigte ein relativ gutes Sicherheitsprofil (im Allgemeinen keine schweren Nebenwirkungen, insbesondere keine der gefürchteten Meningokokkeninfektionen). Unter Eculizumab klagten mehr Patienten über Kopfschmerzen und obere Atemwegsinfekte, ein Patient verstarb an einer Infektion der Lunge (sogenanntes Lungenempyem). Dr. Prüß erläutert aber auch die Limitationen der Studie: "Angesichts der Schwere der NMO-Erkrankung war eine Placebogruppe ohne jegliche Behandlung ethisch nicht vertretbar, so dass die Mehrzahl der Patienten beider Gruppen noch weitere Immuntherapien erhielt - diese könnten Effekte auf das Studienergebnis gehabt haben, letztlich auch auf die Nebenwirkungsrate."

Eculizumab muss alle zwei Wochen als Infusion verabreicht werden, was die Anwendung in der klinischen Routine nicht immer einfach macht. Hinzu kommen die sehr hohen Kosten des Medikamentes. "Dennoch kann Eculizumab zu einem sehr wichtigen Reservemedikament für die NMO werden und die Patienten vor bleibender Behinderung retten, wenn die Standardtherapie, beispielsweise mit Rituximab, nicht ausreicht."


Literatur

[1] https://nemos-net.de/fuer-patienten-was-ist-die-nmo.html

[2] https://www.dgn.org/neuronews/3159-schubtherapie-der-neuromyelitis-optica-plasmaaustauschverfahren-besser-als-steroide

[3] Pittock SJ, Berthele A, Fujihara K et al. Eculizumab in Aquaporin-4-Positive Neuromyelitis Optica Spectrum Disorder. N Engl J Med 2019 Aug 15; 381 (7): 614-25

Weitere Informationen finden Sie unter
http://www.dgn.org
http://www.dgnkongress.org

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution1276

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. - 27.09.2019
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Oktober 2019

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