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UMWELT/247: 5G-Hype versus 5G-Skepsis - Wie problematisch ist die Mobilfunkstrahlung? (Werner Thiede)


5G-Hype versus 5G-Skepsis
Wie problematisch ist die Mobilfunkstrahlung?

von Werner Thiede, 10. Februar 2022


Der vielbeworbene 5G-Mobilfunk ist gesellschaftspolitisch und wissenschaftlich nicht unumstritten. Wer neue Technologien skeptisch betrachtet oder gar Gesundheitsrisiken mit ihnen verbindet, gilt dabei freilich allzu schnell als Esoteriker oder Verschwörungstheoretiker. In diesem undifferenzierten Sinne äußert sich beispielsweise Kai Funkschmidt von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW), indem er in deren Hauszeitschrift "die Angst vor Elektrosmog" etwa dem UFO-Glauben gleichstellt und mutmaßt, in den relativ hohen Prozentzahlen einer kritischen Einstellung zur Mobilfunkstrahlung würden sich möglicherweise Verschwörungstheorien "im Zusammenhang des G5-Mobilfunkstandards" auswirken. Tatsächlich existieren zu dem neuen Mobilfunkstandard im Unterschied etwa zu Wünschelrutengehen oder UFO-Glaube international einige wissenschaftliche Stellungnahmen, die in gesundheitlicher Hinsicht durchaus zu Besorgnis Anlass geben.

In Deutschland sind immerhin bereits über 80 Prozent der Bevölkerung mit ersten 5G-Varianten "abgedeckt"; in den kommenden Jahren soll eine möglichst vollständige Flächendeckung erreicht werden. Deshalb sind Fragen der Gesundheitsverträglichkeit dieser neuen Technologie alles andere als zweitrangig. Dies umso mehr, als am 8. Oktober 2021 ein neues Menschenrecht von den Vereinten Nationen verlautbart wurde: Überall auf der Welt haben demnach Menschen das Recht auf ein Leben in einer gesunden Umwelt. Die Frage drängt sich seither jedenfalls noch verstärkt auf: Ist 5G wirklich harmlos oder doch gesundheitlich - und wenn auch nur für Vorgeschädigte oder bestimmte Altersgruppen - riskant? Reduktionistische Behandlungen dieses wissenschaftlich zu ergründenden Problems verbieten sich angesichts des Ernsts der Frage eigentlich von selbst.

Dass staatlicherseits kaum mobilfunkkritische Töne zu erwarten sind, verwundert nicht, nachdem Mobilfunkfrequenzen vom Staat für stolze Summen an die entsprechenden Konzerne versteigert wurden. So startete am 1. Dezember 2020 die deutsche Bundesregierung im Internet per Live-Stream zum Thema 5G einen "Bürgerdialog": Einträchtig erklärten da Ex-Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer, Ex-Bundesumweltministerin Svenja Schulze sowie Inge Paulini als Präsidentin des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS), 5G könne in allen Frequenzen bedenkenlos eingeführt werden. Die gesundheitlichen Auswirkungen von Mobilfunk seien in vielen Studien sehr gut erforscht, und unterhalb der geltenden Grenzwerte seien bislang keine gesundheitlichen Auswirkungen bewiesen worden. Allenfalls zu den höheren Frequenzen über 20 Gigahertz gebe es noch Unsicherheiten. Warum aber erfolgten dann bereits im Mai 2021 von der Bundesnetzagentur erste Zuteilungen sogar im hohen 26-GHz-Bereich für lokale und regionale 5G-Netze? Gerade diese höheren Frequenzen sind tatsächlich noch recht wenig erforscht. Gleichwohl haben zum genannten Zeitpunkt Deutschland und Frankreich einen Förderaufruf zu 5G gestartet. Wird der Kultur des stetigen Wachstums und Fortschritts, in diesem Fall: des immer noch schnelleren Übertragungstempos, alles andere untergeordnet?

Tatsächlich geben nicht wenige Wissenschaftler angesichts verbreiteter Ängste vor 5G ausdrücklich Entwarnung - so etwa Professor Georg Fischer vom Lehrstuhl für Technische Elektronik an der Universität Erlangen-Nürnberg. In der Uni-Zeitschrift friedrich (Nr. 120/2021) wird er wie folgt zitiert: "Wenn es überhaupt negative Effekte auf die Gesundheit geben sollte - das ist alles noch nicht wissenschaftlich bewiesen -, so denke ich, dass diese eher bei den athermischen Effekten zu suchen sind." Gemäß heutigem Stand der Wissenschaft und Technik seien keine negativen Auswirkungen von 5G auf die Gesundheit zu erwarten.

Für Entwarnung sorgt insbesondere stets die Internationale Kommission für den Schutz vor nichtionisierender Strahlung (ICNIRP). Sie publizierte 2020 ihre überarbeiteten Sicherheitsrichtlinien für die Exposition gegenüber hochfrequenter Strahlung, die von drahtlosen Kommunikationsgeräten und Netzwerken ausgeht: Darin wird mit Blick auf die 5G-Strahlung versichert, die Gesundheit der Nutzer bleibe vollkommen geschützt. Hierzu muss man aber wissen, dass der ICNIRP seit langem enge Verbindungen zu jenen Industriebranchen vorgeworfen werden, deren technische Neuentwicklungen von möglichst hoch angesetzten Grenzwerten in allen EMF-Frequenzbereichen profitierten. 2020 haben die beiden EU-Parlamentsabgeordneten Michèle Rivasi und Klaus Buchner den Report "Die Internationale Kommission zum Schutz vor nichtionisierender Strahlung: Interessenkonflikte, 'Corporate Capture' und der Vorstoß zum Ausbau des 5G-Netzes" veröffentlicht; er ist auch als Broschüre auf deutsch erhältlich. Nicht von ungefähr hat in den Niederlanden 2021 ein Gericht bekräftigt, dass die von ICNIRP vorgeschlagenen und in vielen europäischen Ländern gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte den Schutz der Gesundheit nicht sicherstellen. Sofern sich Behörden also direkt oder indirekt auf die ICNIRP berufen, ist das durchaus nicht unproblematisch.

Umso mehr wird man sich bei jenen Büros umsehen, die sich offiziell mit der sogenannten Technikfolgenabschätzung befassen. Aber ist man dort neutral? In der Zeitschrift für Technikfolgenabschätzung in Theorie und Praxis (TATuP 1/2019) räumten Linda Nierling und Helge Torgersen ein, mittlerweile sei "Neutralität als Mythos der Technikfolgenabschätzung" entzaubert. Zudem erfährt man in derselben Ausgabe: "Infolge von Veränderungen im Wissenschaftsbetrieb spielen externe Geldquellen eine zunehmende Rolle im alltäglichen Projektbetrieb und verändern zugleich zusehends dessen Charakter." In Österreich hat das dortige Institut für Technikfolgenabschätzung dem Parlament eine Studie vorgelegt, der zufolge gesundheitliche Risiken des etablierten Mobilfunks trotz großer Forschungsbemühungen weiterhin kontrovers diskutiert werden und zu 5G einschlägige Studien noch fast gänzlich ausstehen. Thomas Szekeres erklärte als Präsident der Österreichischen Ärztekammer auf dem Novomatic Forum: "Auf Basis der bisherigen Informationen ist durch den Aufbau von 5G mit einer weiteren, und zwar erheblichen, schon derzeit vielerorts zu intensiven Hochfrequenzexposition der Bevölkerung zu rechnen. Riesige Datenmengen mittels Mikrowellentechnik im unmittelbaren Lebensbereich des Menschen zu übertragen, ist aus ärztlicher Sicht als eine Fehlentwicklung zu sehen."

Tatsächlich gibt es international gesehen manch wissenschaftliche Studien und ärztliche Verlautbarung, die "5G" als riskant einstufen. Wenige Beispiele mögen genügen: In den USA forderten wegen der zelltoxischen Effekte von 5G schon 2018 zwei Forschergruppen um Noa Betzalel und Cindy L. Russell in der Zeitschrift Environmental Research (208-216) ein Ausbau-Moratorium; und eine Studien-Übersicht zu 5G von Ronald Kostoff und anderen betonte 2020: "Fügt man 5G zu den schon vorhandenen schädlichen Strahlungsverhältnissen hinzu, verschlimmern sich die ohnehin schon vorhandenen Gesundheitsschädigungen." Ein Abgeordneten-Briefing des Wissenschaftlichen Diensts des Europäischen Parlaments besagt: "Zusammen mit der Art und Dauer der Exposition scheinen Eigenschaften des 5G-Signals wie das Pulsieren die biologischen und gesundheitlichen Auswirkungen der Exposition zu verstärken, einschließlich der DNA-Schäden, die als Ursache für Krebs angesehen werden." Über kritische internationale Forschung informiert hierzulande näher das Portal von Diagnose.Funk. Somit zeigt sich, dass verharmlosende Bescheide keineswegs von "der" Wissenschaft gedeckt sind - zumal wissenschaftstheoretisch klar sein muss, dass es Wissenschaft ohnehin nur pluriform, stets im Fluss und eher selten ohne gegensätzliche Meinungen gibt. Das gilt selbstverständlich auch auf dem Gebiet der Mobilfunkforschung und speziell zu 5G.

International laut gewordene Forderungen nach einem 5G-Moratorium fanden Gehör in den europäischen Städten Brüssel, Genf, Grenoble und Florenz, in Mill Valley (Silicon Valley!), in den US-Bundesstaaten New Hampshire und Hawai sowie in einigen Gemeinden Bayerns, Frankreichs und vor allem Italiens. Auch Slowenien sagt Nein zu 5G. All solche Verweigerungen dürften nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch sinnvoll sein - denn ein Irrweg käme auf die Dauer teuer zu stehen. Nicht nur beim Klima, sondern auch beim 5G-Mobilfunk ist es höchste Zeit, umzusteuern. Dafür setzt sich jetzt übrigens auch eine Europäische Bürgerinitiative mit dem Namen Stop (((5G))) Stay Connected but Protected ein (http://www.signstop5g.eu). Und das macht Sinn, denn im EU-Vertrag ist das Streben nach einem hohen Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität ausdrücklich festgehalten.


Über den Autor:
Prof. Dr. theol. habil. Werner Thiede (Jahrgang 1955) ist apl. Professor für Systematische Theologie an der Universität Erlangen-Nürnberg, Pfarrer i.R. der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Bayern und Publizist.
Homepage: https://www.werner-thiede.de/

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Quelle:
© 2022 by Werner Thiede
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 12. Februar 2022

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