Schattenblick →INFOPOOL →MEDIZIN → FACHMEDIZIN

CHIRURGIE/432: Hightech im OP - Modernste Methoden der Chirurgie (Securvital)


Securvital 6/2010 - November/Dezember
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen

MODERNSTE METHODEN DER CHIRURGIE
Hightech im Op

Von Constanze Löffler


Kleinste Schnitte statt großer Wunden: Die moderne minimalinvasive Chirurgie ist ein Segen für viele Patienten. Sie verspricht schnellere Heilung, weniger Komplikationen, geringere Schmerzen. Voraussetzung ist, dass die Operateure die modernen High-Tech-Methoden perfekt beherrschen.


Vor 30 Jahren wurde erstmals in Deutschland ein Blinddarm per »Schlüsselloch-Chirurgie« entfernt. Heute ist diese Art der schonenden Chirurgie weit verbreitet und macht vor keinem operierenden Fachgebiet Halt. Statt das Operationsfeld durch einen großen Schnitt freizulegen, werden für das Verfahren über mehrere Mini-Hautschnitte Instrumente, Licht und Kamera ins Körperinnere geschoben. »Die minimalinvasive Chirurgie ist ein großer Fortschritt in der Behandlung von Patienten«, sagt Hans-Peter Bursig vom Fachverband Elektromedizinische Technik. Fachleute nennen die Methode auch minimalinvasive Chirurgie (MIC), weil Haut und Weichteile viel weniger verletzt werden als bei einem herkömmlichen Eingriff. Folgerichtig setzt sich die MIC zunehmend in deutschen Kliniken durch: Heute gibt es kaum mehr ein Organ, das man nicht minimalinvasiv operiert. Knie- und Hüftgelenke, Schilddrüse, Eierstöcke, Gebärmutter, Mägen, Leistenbrüche und die Prostata - sie alle werden möglichst schonend per MIC behandelt. »Wir haben hierzulande Mediziner, die die Technik intensiv nutzen und voranbringen«, sagt Bursig.


Kunstfertige Ärzte

Was für die Patienten von Vorteil ist, stellt hohe Anforderungen an die Kunstfertigkeit der Chirurgen. Ein gutes räumliches Vorstellungsvermögen ist genauso essentiell wie das gekonnte Koordinieren von Videobild und Operationsgebiet. »Wir operieren nur per Sicht auf den Monitor«, sagt Professor Martin Strik, Chefarzt der Chirurgie am Helios Klinikum Berlin-Buch. »Man muss sich erst daran gewöhnen, dass man im Vergleich zum Monitorbild genau umgekehrt arbeitet.« Der Arzt kann sich nur begrenzt auf sein Tastgefühl verlassen, da er aus der Ferne hantiert. Die in starre Metallrohre eingeführten Instrumente sind seine verlängerten Arme.

»Vor allem für ältere und mehrfach kranke Patienten oder für Menschen, die zu Wundheilungsstörungen neigen, ist die minimalinvasive Chirurgie ein Segen«, sagt Strik, der auch die Arbeitsgemeinschaft für minimalinvasive Chirurgie in Deutschland leitet. Die Patienten haben weniger Schmerzen, Wunden infizieren sich seltener, die Narben sind kleiner. »MIC-Operierten geht es vor allem in den ersten drei Monaten nach einem Eingriff besser«, sagt Strik. Danach passen sich die Erholungsprozesse denen herkömmlich Operierter an.


Weniger Komplikationen

Nachdem vor einigen Jahren vor allem der ambulante Bereich boomte, kehrt die MIC mittlerweile auch wieder an die Kliniken zurück. Für die Krankenhäuser lohnt es sich, die schonende Chirurgie anzubieten: Von den Krankenkassen bekommen sie das gleiche Geld, egal ob die Ärzte die Galle über einen großen Bauchschnitt oder minimalinvasiv entfernen. Doch wer per MIC operiert wurde, verlässt das Krankenhaus normalerweise schon nach wenigen Tagen. Das frei gewordene Bett kann schnell wieder belegt werden.

Selbst äußerst sensible Organe wie Gehirn oder das Herz werden zunehmend seltener offen operiert. Stattdessen ersetzen und reparieren die Spezialisten Herzklappen minimalinvasiv per Katheter, beispielsweise über eine große Vene in der Leistengegend. »Eine Studie mit knapp 300 Patienten konnte zeigen, dass nach einer Beobachtungszeit von einem Jahr die minimalinvasive Methode genauso erfolgreich war wie eine herzchirurgische Mitralklappen-Operation, jedoch mit weniger Komplikationen«, sagt Raimund Erbel, Leiter des Westdeutschen Herzzentrums Essen.


Zu viele Operationen

Doch die sanfteren Eingriffe bringen nicht nur Vorteile: So ist die Anzahl der Stent-Operationen am Herzen in den letzten Jahren sprunghaft angestiegen - obwohl den Patienten oft schon ein gesünderer Lebensstil helfen würde. Die Gitterröhrchen sollen verstopfte Herzkranzgefäße offen halten und so verhindern, dass sich ein Herzinfarkt ereignet. Das Verfahren ist mittlerweile zur Routine geworden, so dass die Indikation für den Eingriff vielen Experten zufolge oft allzu locker gestellt wird.

Das zeigt die Kehrseite der Medaille: Je unkomplizierter ein Eingriff ist, desto größer ist die Gefahr, dass er zu oft angewandt wird. Ein weiteres Beispiel: Kniegelenkspiegelungen. Der Nutzen des operativen Blicks ins Knie ist stark umstritten. Es gibt weitaus schonendere Diagnose-Verfahren. Dennoch ist die Zahl der Operationen rasant gestiegen. »Weil die Eingriffe gut verträglich sind, entscheiden sich die Chirurgen heute häufig leichter zur Operation«, sagt Strik. So wird beispielsweise bei Schilddrüsen- oder bestimmten Darmerkrankungen öfter minimalinvasiv operiert an Stelle der früher üblichen nicht-operativen Behandlungen.

Neben der MIC sind heute auch Operationstechniken mit dem Laser nicht mehr aus der Medizin wegzudenken. Vor allem am Auge erreichen die Chirurgen damit faszinierende Ergebnisse: Nah- und Fernsichtigkeit oder Grauer Star - mit dem präzisen Laser können die Ärzte mikrometergenau an Hornhaut und Linse werkeln. Ohne Schnitt, ohne Narben und mit höheren Erfolgsraten als bei früheren Operationsmethoden.

»MIC-Operierten geht es vor allem in den ersten drei Monaten nach einem Eingriff besser.«
Prof. Martin Strik, Chefchirurg in Berlin

Die High-Tech-Chirurgie ist längst nicht am Ende ihrer Möglichkeiten. Statt mehrerer kleiner Schnitte versucht man mittlerweile per so genannter Single-Port-Chirurgie mit nur einem einzigen Schnitt auszukommen. Bislang ist die Technik wenig verbreitet, weil sie noch mehr Übung erfordert als die MIC mit ihren drei, vier Schnitten: Der Raum, in dem der Chirurg manövrieren kann, ist kleiner. Instrumente und Sichtgerät, das Endoskop, können leichter kollidieren. Außerdem stellt das Verfahren höchste Ansprüche an die Instrumente: Sie müssen winkelbar sein, damit die Operateure überhaupt arbeiten können.

Und die Chirurgen gehen noch einen Schritt weiter. Sie nutzen natürliche Körperöffnungen, um komplett narbenlos Organe wie Blinddarm oder Gallenblase zu erreichen. NOTES (Natural Orifice Transluminal Endoscopic Surgery) heißt das Verfahren, bei dem der Operateur Endoskop und Operationsbesteck in einem dünnen, flexiblen Schlauch über Mund, Scheide oder Harnröhre in den Patienten befördert. Narbenbrüche fallen weg, und auch Verwachsungen sind wegen des sanften Zugangs seltener.

Momentan operieren Ärzte noch rein experimentell mit NOTES. »NOTES und Single-Port-Chirurgie sind die konsequente Weiterentwicklung der MIC«, sagt Bursig. »Die Verfahren sind jedoch nicht für jedes Organ geeignet.«


Neue Technologien

Auch MIC-Experte Martin Strik ist bei NOTES skeptisch: »Das sind Modeerscheinungen, die bislang keine klaren Vorteile für den Patienten bringen.« Zum einen sind Technik und OP-Besteck noch nicht ausgereift. Zum anderen bedarf es einiger Übung und Erfahrung, um mit dem flexiblen Endoskop im Bauchraum zurechtzukommen. Viele wichtige Fragen sind zudem noch offen, saubere Studien zu den einzelnen Methoden stehen aus: Wie steht es um die Infektionsgefahr, wenn durch Magen oder Scheide geschnitten wird? Welche Organe und Indikationen eignen sich am besten? Und bringt NOTES tatsächlich mehr als nur kosmetische Vorteile?

Ähnlich zurückhaltend sieht Strik robotergestützte Eingriffe. Bei der roboterassistierten Operation dirigiert der Arzt die Instrumente mit einer Art Joystick, dessen Bewegungen von den chirurgischen Instrumenten im Inneren des Patienten aufgenommen werden. »Die neue Technologie ist interessant«, sagt Strik, »doch sie bringt für die Patienten bislang keine Vorteile.« In einigen Jahren wird man sicherlich genauer wissen, wie viel Wert diese Neuerungen der Chirurgie für die Patienten haben.


KLEINES LEXIKON DER MODERNEN CHIRURGIE

MIC (minimalinvasive Chirurgie): Für die MIC werden über drei oder vier kurze Hautschnitte Licht, Endoskop und Instrumente ins Körperinnere geschoben.

Endoskop: Dünnes, schlauchförmiges Präzisionsgerät, mit dem innere Organe und Körperhöhlen untersucht werden können. Früher mit Spiegeln, heute mit Glasfasertechnik ausgestattet.

NOTES (Natural Orifice Transluminal Endoscopic Surgery): Chirurgen nutzen für die narbenlose OP natürliche Körperöffnungen, um notwendige Gerätschaften in den Körper einzubringen.

Laserchirurgie: Als Domäne des Strahlen-Skalpells gilt u. a. die Augenheilkunde. Für die verschiedenen Bereiche und Operationen stehen spezielle Laser-Arten zu Verfügung.


*


Quelle:
Securvital 6/2010 - November/Dezember, Seite 6 - 10
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen
Herausgeber: SECURVITA GmbH - Gesellschaft zur Entwicklung
alternativer Versicherungskonzepte
Redaktion: Norbert Schnorbach (V.i.S.d.P.)
Lübeckertordamm 1-3, 20099 Hamburg
Telefon: 040/38 60 800, Fax: 040/38 60 80 90
E-Mail: presse@securvita.de
Internet: www.securvita.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Januar 2011