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NOTFALL/233: Laien am Defibrillator - es gibt positive Beispiele, aber auch offene Fragen (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 1/2010

Laien am Defibrillator
Für AED gibt es positive Beispiele, aber auch offene Fragen

Von Jan Dreckmann


AED sind heute schon im Supermarkt erhältlich. Entscheidende Faktoren sind die Bereitschaft und Kompetenz der Ersthelfer.


Der plötzliche Herztod (PHT) nach Kammerflimmern ist eine der häufigsten Todesursachen in Deutschland. 100.000 Menschen sterben jedes Jahr den Sekundentod. Dabei wären viele Patienten zu retten - zumindest theoretisch, denn die Bedingungen für die Rettung sind rigoros. Zwar gibt es hoffnungsvolle Beispiele und auch viel privates Engagement, aber immer auch noch offene Fragen.

Die Zahlen sind beeindruckend: Nach einem Kammerflimmern und einem damit verbundenen funktionellen Herzstillstand versterben jährlich 100.000 Bundesbürger. Für das bevölkerungsarme Schleswig-Holstein sind es jährlich immer noch 5.400 Tote. 15 Tote jeden Tag.

Dabei wäre ihre Rettung möglich und einfach: Mittels Defibrillation kann das Herz gestoppt und manuell wieder angetrieben werden. Defibrillatoren retten dabei Menschenleben und könnten noch viel mehr Menschen das Leben retten, würden sie denn unter den richtigen Bedingungen verstärkt eingesetzt, so die Befürworter.

Noch vor wenigen Jahren waren Defibrillatoren nur Intensivmedizinern vorbehalten. Allein geschultes ärztliches Personal auf Intensivstationen und in Aufnahmeabteilungen durfte die manuellen Geräte bedienen. Die Anwendung war somit weitestgehend auf Kliniken begrenzt. In den letzten Jahren hat die Technik große Fortschritte gemacht, sodass zunächst halbautomatische Geräte von Rettungsassistenten bedient werden durften. Seit 2001 sind Automatische Externe Defibrillatoren (AED) auch für die Laienanwendung zugelassen. AEDs der neuesten Generation bestehen aus Laiensicht nur noch aus zwei Elektroden, die nur noch richtig auf die Brust geklebt werden müssen, und einem sprechenden Kasten mit lediglich einem Knopf. Das Gerät misst zunächst ein EKG aus. Ist eine normale oder keine Aktivität messbar, gibt das Gerät keinen Strom frei. Nur wenn ein Kammerflimmern vorliegt, erfolgen die nächsten Schritte. Angeleitet vom Gerät wird der Ersthelfer durch den Vorgang geführt. Misst das Gerät dann eine Null-Linie, weist es die Wiederbelebungsmaßnahmen an. Urteil der Fachleute: Fehlbedienung unmöglich.

Damit erfüllt sich für Rettungsmediziner wie Dr. Peer Knacke aus Eutin ein Traum: "Nur die Frühdefibrillation führt beim Kammerflimmern zum Erfolg", so der Ärztliche Leiter des Rettungsdienstes Ostholstein.

Das Zeitfenster für eine lebenserhaltende und erfolgreiche Maßnahme ist klein. Und wenn es geschlossen ist, auch nicht mehr zu öffnen. "Eine Spätdefibrillation gibt es schlichtweg nicht", so Knacke. Mit jeder Minute nach Eintritt der Krise nimmt die Überlebenswahrscheinlichkeit um zehn Prozent ab - gleichzeitig steigt das Risiko hypoxischer Schäden und des Todes. Bis die Notfallretter in Schleswig-Holstein vor Ort sind, ist es meistens zu spät. In zwölf Minuten müssen die Retter laut Rettungsleitlinien am Einsatzort sein. Dies ist laut Knacke auch in einem dünn besiedelten Flächenland zu schaffen. Für die Patienten reicht es trotzdem nicht: Sind die Profi-Retter da, ist der Patient tot. Das Beste wäre, der Retter wäre schon da. Dies verspricht die neue Technik: Vollautomatische Defibrillatoren und anpackende Ersthelfer könnten die entscheidenden acht oder neun Minuten bis zum Eintreffen der Rettungsdienste überbrücken bzw. selbst schon lebensrettend tätig werden.

Dass dies nicht nur theoretische Überlegungen sind, beweisen die Erfahrungen im U-Bahnnetz der Münchener Verkehrsgesellschaft. In einem groß angelegten Projekt wurden hier seit 2001 auf 38 Bahnhöfen insgesamt 48 Automatische Externe Defibrillatoren (AED) installiert. In die Notrufsäulen integriert, sind die AEDs zentral und dennoch sicher verwahrt. Das Fach öffnet sich, wenn der Mitarbeiter der Notrufzentrale die Ernsthaftigkeit des eingehenden Notrufs erkennt und den Vorfall mit den Überwachungskameras erfasst hat. Somit ist Missbrauch ausgeschlossen. Die Notrufzentrale übernimmt dann zwei Aufgaben: Sie dirigiert im Gewirr großer Bahnhöfe die Retter an die richtige Stelle, und sie ist Ansprechpartner für die Ersthelfer.

Der Erfolg des Münchener Projektes ist beachtlich: Insgesamt 20 Mal kamen die AEDs zum Einsatz. Bei der Auswertung erwiesen sich 16 Fälle als echte Reanimationen: Zwei Patienten waren schon länger tot und hatten Null-Linien im EKG, die Reanimation wurde gleich wieder abgebrochen, und zwei Patienten hatten sich in suizidaler Absicht tödlich verletzt. Von diesen 16 Fällen konnten 14 Patienten ("Primärüberleber") wiederbelebt in die Klinik gebracht werden, vier Patienten starben jedoch im weiteren Verlauf. Zehn Menschen konnten die Klinik ohne Hirnschaden verlassen und leben heute noch ("Sekundärüberleber"). Somit haben - in Bezug auf die 16 echten Reanimationsfälle - 88 Prozent der betroffenen Menschen primär und 63 Prozent sekundär überlebt. Dagegen weist das Reanimationsregister der Berufsfeuerwehr München für das übrige Stadtgebiet lediglich eine primäre Überlebenschance von unter fünf Prozent auf.

Ein anderes gelungenes Großprojekt ist die "Casino"-Studie aus den USA. Im Spielerparadies Las Vegas findet sich die optimale Forschungspopulation für lebensrettende Maßnahmen nach Kammerflimmern: ältere Menschen in Stresssituationen, meist rauchend und übergewichtig. Das Personal wurde in lebensrettenden Sofortmaßnahmen geschult und mit tragbaren Defibrillatoren ausgerüstet; das Notrufmeldesystem wurde verbessert. Durch den Einsatz der Laienhelfer mit AEDs konnten viele Menschenleben gerettet werden.

Prof. Hendrik Bonnemeier, Kardiologe am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, ist erfreut über die Ergebnisse dieser Projekte. Er ist von der Wirksamkeit der AEDs überzeugt und macht sich für deren Verbreitung stark.

Prof. Hans-Joachim Trappe von der Ruhr-Universität Bochum hat sich mit weiteren auch kleineren Versuchen beschäftigt und formuliert vorsichtig: "Nach den bisher vorliegenden Studien scheint die Installation von AEDs an den Orten sinnvoll zu sein, an denen sich viele Menschen aufhalten." Er rät zu weiteren Studien.

Auch in Schleswig-Holstein gibt es Aktivitäten zur Verbreitung der mobilen Lebensretter. Besonders engagiert ist dabei die Landesarbeitsgruppe Herz-Kreislauf. Der seit 1982 bestehende Verein wirbt dafür, AEDs im öffentlichen Raum zu verbreiten. Gemeinsam mit dem Sparkassen- und Giroverband Schleswig-Holstein (SGVSH) wurden die Hauptstellen der Sparkassen mit Geräten ausgerüstet, und Personal wurde geschult. In einer groß angelegten Aktion schaffte der Verband 2008 auf einen Schlag 27 Geräte an. Gyde Jens, verantwortlich beim SGVSH für Sponsoring und eben diese Aktion, sagte, dass aber noch weitere Geräte von den einzelnen Filialen im Land angeschafft wurden. Aussagen über sachgerechte oder gar erfolgreiche Anwendungen konnte sie nicht machen, da diese nicht systematisch erfasst würden. Aber dass die Geräte durchaus Interesse finden, musste sie einräumen. Da die Sparkassen die AEDs bewusst im öffentlich zugänglichen SB-Bereich platzieren, finden die Geräte ungewollte Abnehmer: Die Sparkassen mussten schon mehrere geklaute Geräte ersetzen.

Auch Björn Lüth, Pressesprecher der Sparkasse Holstein, ist vorsichtig in der Nutzenbewertung der AEDs. Weder dass die Geräte genutzt wurden noch dass sie hätten genutzt werden können: Lüth sind keine Vor- oder gar Todesfälle in den Räumen der Sparkasse aus den letzten Jahren bekannt. Für die Eutiner Hauptstelle unterstütze er zwar die Aufstellung und auch die Schulung der Mitarbeiter. Doch die Rettungssituation in der Innenstadt von Eutin sei ohnehin aufgrund der kurzen Wege hervorragend. Eine eigentlich vorgesehene Kundenschulung und damit auch Sensibilisierung für das Thema ist bisher noch nicht umgesetzt.

Das Interesse an den Geräten selbst ist groß. Nicht nur Unternehmen, die sich vielleicht einen Imagegewinn durch ihr Engagement versprechen, oder Arbeitgeber, die aus Sorge um ihre Mitarbeiter handeln, schaffen sich solche Geräte an. Auch viele Privatpersonen kaufen sich AEDs. Mittlerweile vermarkten schon Lebensmittel-Discounter die mobilen Lebensretter. Zum Preis von 999 Euro erhält der Kunde ein vollautomatisches Gerät mit Sprachsteuerung und zusätzlich einen Gutschein über 25 Euro für einen Erste-Hilfe-Kurs.

Das Best-Practice-Beispiel in Deutschland - die Münchener U-Bahn - kann zwar gute Zahlen bieten. Aber die zehn erfolgreichen Maßnahmen resultieren nicht zuletzt aus einer äußerst günstigen Konstellation. Über den Betrachtungszeitraum von achteinhalb Jahren sind fast 3.000.000.000 Menschen auf engstem Raum an den 48 AEDs vorbeigekommen; 70 Prozent der Fahrgäste dabei in den wenigen Stunden der werktäglichen Rushhour. Aber nicht nur die Masse möglicher Patienten und Ersthelfer war für den Erfolg der Reanimationen verantwortlich. Ein entscheidender Faktor ist die Bereitschaft und Kompetenz der Ersthelfer. Nur wenn bekannt ist, was zu tun ist, wenn ein hilfloser Mensch aufgefunden wird, kann auch gehandelt werden. In München ist nur wenig über die Ersthelfer bekannt, da diese in der Regel nicht erfasst werden und nach dem Eintreffen der Rettungskräfte den Ort des Geschehens verlassen. Bekannt ist aber, dass in drei Fällen ein Medizinstudent, ein Arzt und einmal zwei als Ersthelfer ausgebildete Polizisten die Erstmaßnahmen anleiteten.

An einem anderen Problem arbeitet die Landesarbeitsgruppe gerade sehr aktiv: Oftmals unterbleibt eine Frühdefibrillation, weil die Standorte der AEDs nicht bekannt sind. Selbst die Rettungsstellen konnten den Ersthelfern nicht weiterhelfen. Mit einem Online-Kataster, das kürzlich veröffentlicht wurde, wurden alle Defibrillatoren erfasst, sodass Rettungsstellen Ersthelfern in Zukunft den Weg zum nächsten AED weisen könnten. (www.aed-kataster.net)

Bei aller Euphorie über gelungene AED-Anwendungen im öffentlichen Raum und eine funktionierende Technik darf nicht vergessen werden: Relevante Zahlen lassen sich nur in einer ausreichend großen Population erzielen. Und noch etwas darf nicht übersehen werden: 70 Prozent aller Krisen durch Kammerflimmern treten im häuslichen Bereich auf.


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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 1/2010 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2010/201001/h10014a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

1, 2, 3, kinderleicht ... Ob die laientauglichen Geräte auch wirklich erfolgreich eingesetzt werden, hängt von vielen Faktoren ab - am wenigsten aber von den technisch ausgereiften Geräten selbst.

Geld oder Leben: In der Eutiner Hauptstelle der Sparkasse Holstein hängen die Defibrillatoren im öffentlich zugänglichen Raum.


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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Januar 2010
63. Jahrgang, Seite 16 - 18
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz Bartmann (V.i.S.d.P.)
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. März 2010