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UROLOGIE/240: Gestatten, Da Vinci! - Ein Operationsroboter bei der Arbeit (einblick - DKFZ)


"einblick" - die Zeitschrift des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), Ausgabe 2/2011

Behandlung
Gestatten, Da Vinci!

Von Mario Fix


Für die Operation von Prostatakrebs-Patienten gibt es an der Urologischen Universitätsklinik in Heidelberg einen ganz eigenen Spezialisten: einen mit drei Armen, der mehr als 500 Kilogramm wiegt. Seit 2004 steht der Operationsroboter "Da Vinci" den Ärzten hier bei chirurgischen Eingriffen zur Seite. "einblick" hat dem Roboter bei der Arbeit über die Schulter gesehen.


"Kannste mal bitte den Professor anrufen?" Für einen kurzen Moment übertönt die Stimme der OP-Schwester alle Geräusche im Raum: das leise Summen der Geräte, die Musik aus dem Radio und die Gespräche der Anwesenden. Mindestens zehn grüngekleidete Personen ben sich an diesem Dienstagmorgen im Operationssaal 14 der Chirurgischen Universitätsklinik Heidelberg: Chirurgen, Anästhesisten, OP-Schwestern, Medizinstudenten. Inmitten ihres geschäftigen Treibens liegt ein Mann auf dem OP-Tisch; um ihn dreht sich heute alles. Seine Vorsteherdrüse, die Prostata, ist von Krebszellen durchsetzt und soll herausgenommen werden - mit Hilfe des Operationsroboters "Da Vinci".

Es ist kurz nach 9:00 Uhr. Die Vorbereitungen für den anstehenden Eingriff laufen bereits seit eineinhalb Stunden: Narkose, Lagerung, Anschließen der Beatmungsgeräte. Jetzt liegt der Patient auf dem Rücken, grüne Tücher bedecken den größten Teil seines Körpers. Zu sehen ist nur der Bauch. Im Moment haben die beiden Chirurgen, die links und rechts neben dem OP-Tisch stehen, nichts zu tun. Sie warten. Eben haben sie den letzten von sechs kleinen Einschnitten in die Bauchdecke des Patienten gemacht - jeder höchstens zwei Zentimeter lang. Durch diese kleinen Öffnungen hindurch soll später die komplette Operation vollzogen werden. Die Narkoseärztin am Kopf des Patienten betrachtet die farbigen Linien auf ihrem Monitor: Herzfrequenz, Blutdruck, Atmung. Alles im grünen Bereich. Ihr gegenüber, am Fußende des Tisches, erhebt sich mannshoch der "Da Vinci". Der 544 Kilogramm schwere Operationsroboter ist komplett mit steriler Folie eingepackt. Seine drei gewaltigen Arme schweben regungslos über dem Mann auf dem Operationstisch. Fast hat der Anblick etwas Bedrohliches, als müsse der Roboter jeden Moment von selbst anfangen, sich zu bewegen - ein Dirigent unmittelbar vor dem ersten Ton seines Konzerts. Am Ende der Roboterarme sind Instrumente angebracht, die im Bauch des Patienten verschwinden: Die beiden äußeren Arme tragen austauschbare Operationswerkzeuge - kleine Greifzangen, Scheren oder Haken; am mittleren Arm hängt eine Kamera. Zwei Monitoren, die links und rechts des OP-Tisches von der Decke hängen, zeigen, was sie gerade aufnimmt: ein gestochen scharfes Bild aus dem Inneren des Patienten. Bei einer offenen Operation mit einem großen Schnitt in der Bauchdecke hätten die Chirurgen freie Sicht auf ihr Arbeitsfeld. Bei einem sogenannten laparoskopischen Eingriff wie heute dagegen sind sie ganz auf die Bilder angewiesen, die ihnen die Kamera aus dem Körperinneren liefert.


Hightech mit vielen Vorteilen

Mit leisem Zischen öffnet sich die Tür des Operationssaals. Ein hochgewachsener, schlanker Mann tritt ein: Professor Markus Hohenfellner, Ärztlicher Direktor der Urologischen Universitätsklinik Heidelberg. Er wird die Operation durchführen. "Alles klar?", fragt er, blickt in die Runde und nickt den Anwesenden zu. Dann geht er zielstrebig vorbei am Operationstisch und lässt sich vor einem großen grauen Kasten in der hinteren Ecke des Raumes nieder: dem Steuerpult des Da-Vinci-Systems. Von hier aus - knapp drei Meter von seinem Patienten entfernt - muss Hohenfellner den Operationsroboter lenken, dafür sorgen, dass er im richtigen Moment die richtigen Bewegungen ausführt. Er legt seine Hände auf zwei kompliziert aussehende Handgriffe unter dem Pult. Sie sind so angebracht, dass sie in allen Raumrichtungen bewegt werden können. Die Handbewegungen des Operateurs werden unmittelbar in Bewegungen der Roboterarme übersetzt, allerdings nicht maßstabsgetreu. Große Bewegungen am Steuerpult lösen gleichgerichtete, aber deutlich kleinere Bewegungen der Instrumente im Körper des Patienten aus. So kann der Chirurg die Zangen und Scheren selbst bei kleinsten Bewegungen von wenigen Millimetern noch präzise steuern. Sehr kleine Bewegungen - beispielsweise ein leichtes Zittern der Hände - werden dagegen nicht übertragen. Durch zwei handtellergroße Fenster im Steuerpult sieht der Operateur zudem alles, was die beiden Linsen der Kamera aufnehmen, als dreidimensionales Bild. "Das Operieren mit dem Roboter ist deutlich angenehmer als eine klassische Laparoskopie", berichtet Hohenfellner, "die Sicht ist viel besser, außerdem kann man im Sitzen arbeiten." Der Komfort für den Operateur war freilich nicht der Hauptgrund für die Anschaffung des 1,6 Millionen Euro teuren Da-Vinci-Systems. Vor allem die Patienten profitieren von der modernen Operationsmethode. Dank der dreidimensionalen Sicht und der guten Beweglichkeit der Instrumente kann der Chirurg praktisch genauso gut operieren wie bei einer Operation mit geöffneter Bauchdecke - ohne den Bauch tatsächlich aufschneiden zu müssen. Den Patienten bleiben dadurch große Narben erspart und sie verlieren weniger Blut. Gerade mal 100 Milliliter Blutverlust wird die Anästhesistin am Ende dieser Operation vermelden. Außerdem erholen sich die Patienten schneller von dem Eingriff und können eher wieder zum normalen Alltag übergehen. "Die meisten Menschen, die wir mit dem Da Vinci operieren, können schon am dritten Tag nach der Operation wieder nach Hause", bestätigt Hohenfellner. "Aber wichtiger als die Technik ist, wer den Eingriff durchführt. Das Ding hier hat keinen Autopiloten." Er beugt sich nach vorn über das Steuerpult und legt den Kopf auf ein Stirnpolster über den Sichtfenstern. Seine Stimme klingt jetzt gedämpft, als würde er in einen leeren Eimer sprechen: "So, los geht's, fangen wir an!"


Maschinen-Akrobatik

Im nächsten Moment erwacht der Roboter aus seiner Erstarrung. Wie von Geisterhand beginnen sich die drei Arme über dem Operationstisch zu bewegen. Ruckartig drehen oder schwenken sie ein Stück um eines ihrer zahlreichen Gelenke, verharren Sekundenbruchteile und zucken dann in die nächste Position. Meist sind es nur kleine Bewegungen, nur ab und zu vollzieht einer der Arme einen größeren Kreis durch die Luft. Dann müssen die Assistenten neben dem OP-Tisch ausweichen, um nicht mit dem Roboter zusammenzustoßen. Die Folie, in die der Da Vinci eingepackt ist, knistert leise bei den Bewegungen, sonst arbeiten die Roboterarme völlig lautlos. Nur ein immer wiederkehrender Piepton klingt durch den Saal und verkündet den ruhigen, gleichmäßigen Herzschlag des Patienten. Ab und zu gibt Markus Hohenfellner Anweisungen an seine Assistenten - auf Englisch; die beiden sind Gastärzte aus dem mittleren Osten. Sie gehören zu den zahlreichen Medizinern, die jedes Jahr aus aller Welt nach Heidelberg kommen, um hier das Operieren mit dem Da-Vinci-System zu lernen. Die Heidelberger Urologie ist dafür eine gute Adresse, niemand in Deutschland hat mehr Erfahrung: Schon seit 2004 arbeitet man hier mit dem Roboter; zunächst nur bei Prostata-Entfernungen, später auch bei der Operation von Blasen- und Nierentumoren oder Eingriffen im Beckenboden-Bereich. Mittlerweile kommt der Da Vinci etwa 250-mal pro Jahr zum Einsatz. Die Zahl könnte in den nächsten Jahren noch steigen: 2010 haben auch die Ärzte der Heidelberger Kopfklinik das Gerät eingesetzt, um einen Tumor im Rachen eines Krebspatienten zu entfernen. Es war deutschlandweit die erste Da-Vinci-OP im Kopf-Hals-Bereich, und sicher nicht die letzte.


Eine Reise durch den Körper

Die Operation ist mittlerweile in vollem Gange. Die Werkzeuge greifen und schneiden, klammern oder veröden Blutgefäße und arbeiten sich Stück für Stück vorwärts. Die Kamera folgt ihnen, schwenkt über gelbe und weiße Stränge, rote von Adern durchzogene Flächen oder silbrig-glänzende Strukturen, die an extrem feine und dichte Spinnweben erinnern. Manchmal geht es auch wieder ein Stück zurück und an anderer Stelle weiter. Für einen normalen Betrachter ist nicht zu erkennen, was genau die Chirurgen tun oder wo im Körper sich ihre Instrumente gerade befinden. Markus Hohenfellner dagegen scheint immer ganz genau zu wissen, was er vor sich hat. Ruhig erklärt er, welcher "Plexus", welche "Faszie" oder welches "Nervenbündel" gerade zu sehen sind, ohne dabei seine Arbeit zu unterbrechen. "Wenn man die Anatomie nicht perfekt beherrscht, fügt man dem Patienten womöglich erheblichen Schaden zu", warnt er, während er mit geschickten, schnellen Bewegungen die Handgriffe vor sich hin und her führt, "man muss genau wissen, was sich in wenigen Millimetern Abstand befindet, auch wenn man es gerade nicht sehen kann." Seine Handbewegungen erinnern an die eines Marionettenspielers. Die Werkzeuge auf dem Bildschirm folgen gehorsam. Gleichzeitig betätigt er mit den Füßen verschiedene Pedale, wenn er die Kamera bewegen oder seine Werkzeuge unter Strom setzen will, um kleine Blutgefäße zu verschließen. Die Routine von mehreren hundert gemeisterten Da-Vinci-Operationen ist dem Heidelberger Urologen deutlich anzumerken.

Gegen 11:45 Uhr ist die Prostata endlich auch für den Laien zu erkennen: In der Mitte des Bildschirms liegt ein rot-braunes, kastanienförmiges Etwas. Das Organ wurde ringsherum von den benachbarten Körperteilen abgetrennt. Die Blutgefäße, die zu ihm führen, sind mit einem speziellen Faden zugebunden. Jetzt, so Hohenfellner, käme der anspruchsvollste Part. Mit der Prostata muss auch ein Teil der Harnröhre entnommen werden, da diese mitten durch die Vorsteherdrüse hindurch verläuft. Die unmittelbar darüber liegende Harnblase darf dabei nicht verletzt werden, sonst droht dem Operierten zumindest eine vorübergehende Inkontinenz. Erst nach weiteren dreißig Minuten ist der Übergang zwischen Blase und Harnröhre, der so genannte Blasenhals, ebenfalls frei präpariert - und unbeschadet. Die letzten, entscheidenden Schnitte können gesetzt werden. Von der Greifzange in eine Art Kescher befördert, verlässt die Prostata auf Nimmerwiedersehen den Körper. Etwa eine dreiviertel Stunde später wird im Körper des Patienten wieder alles vernäht und am rechten Platz sein; nur seinen Krebs ist dieser Mann wohl los.

Noch während der Da Vinci beweist, dass er nicht nur hervorragend schneiden, sondern mindestens ebenso gut auch nähen kann, klingelt das Telefon. Die Kollegen aus der Pathologie bestätigen den Erfolg der Operation: Die Gewebeproben, die rund um die entfernte Vorsteherdrüse noch entnommen wurden, seien allesamt frei von Krebszellen. Das bedeutet, dass mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit der Tumor vollständig entfernt wurde. Um 12:30 Uhr ist der Eingriff beendet. Markus Hohenfellner muss sofort weiter. Die nächste Operation wartet schon im Saal nebenan. Der Da-Vinci-Roboter hat einen etwas ruhigeren Arbeitstag als sein Chef: Er macht erstmal Pause bis zum Nachmittag. Und der Patient? Markus Hohenfellner ist optimistisch: "Mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit kann er in drei Tagen nach Hause gehen und dann diese ganze Geschichte vergessen."


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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 31:
Das Da-Vinci-Operationssystem besteht aus drei Teilen: Vom Steuerpult aus (links) lenkt der Arzt die Bewegungen des eigentlichen OP-Roboters (Mitte). Auf dem "Vision Cart" (rechts) stehen während der Operation unter anderem Bildschirme für die Assistenzärzte.

Abb. S. 32 und 33:
Der Da Vinci im Einsatz: Mit zwei kompliziert gebauten Handgriffen am Steuerpult (Bild S.32) lenkt der Chirurg die Bewegungen des OP-Roboters. Die Operationswerkzeuge (Bild S.33) sind beweglicher als eine menschliche Hand, sie beherrschen auch feinste Bewegungen wie Nähen und Knoten.


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Quelle:
"einblick" - die Zeitschrift des Deutschen Krebsforschungszentrums
(DKFZ)
Ausgabe 2/2011, Seite 30 - 33
Herausgeber: Deutsches Krebsforschungszentrum in der
Helmholtz-Gemeinschaft
Abteilung für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Im Neuenheimer Feld 280, 69120 Heidelberg
Telefon: 06221 / 42 28 54, Fax: 06221 / 42 29 68
E-Mail: einblick@dkfz.de
Internet: www.dkfz.de/einblick

"einblick" erscheint drei- bis viermal pro Jahr
und kann kostenlos abonniert werden


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Dezember 2011