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ETHIK/1220: Zugriff auf das menschliche Erbgut ... (Infobrief - Deutscher Ethikrat)


Infobrief des Deutschen Ethikrates Nr. 19 - Juli 2016 - 02/16

Jahrestagung
Mit CRISPR-Cas9 und Co. Zugriff auf das menschliche Erbgut


"Zugriff auf das menschliche Erbgut. Neue Möglichkeiten und ihre ethische Bewertung" war das Thema der Jahrestagung des Deutschen Ethikrates am 22. Juni in Berlin.


Die gezielte Veränderung des menschlichen Genoms galt lange als wissenschaftlich vorstellbar, aber technisch schwer erreichbar. Diese Einschätzung erfährt derzeit einen Wandel dank neuer Verfahren wie der CRISPR-Cas9-Technik. Sie erlauben Eingriffe in das Genom von bislang nicht gekannter Präzision, die effizient, kostengünstig und verhältnismäßig einfach zu handhaben sind. Bislang eher abstrakt diskutierte Anwendungsmöglichkeiten rücken nun in greifbare Nähe.

Damit stellen sich bereits bekannte Fragen der ethischen Debatte über den Zugriff auf das menschliche Erbgut neu. Insbesondere Eingriffe in die menschliche Keimbahn und ihre Auswirkungen auf Nachkommen sind stark umstritten. Der Hoffnung, mithilfe von Genveränderungen schwerwiegende Krankheiten zu lindern, zu heilen oder sogar zu verhindern, stehen nicht nur Sicherheitsrisiken gegenüber, sondern auch die Sorge vor der Ausweitung solcher Anwendungen auf Bereiche, die die Grenze zwischen Therapie, Prävention und verbessernden Maßnahmen, dem so genannten Enhancement, verschwimmen lassen.

Das Anliegen des Ethikrates war es, so der Vorsitzende Peter Dabrock, das Thema kritisch, nämlich "unterscheidungssensibel" zu diskutieren, denn "undifferenziertes Bedenkenträgertum ist per se genauso wenig die Aufgabe ethischer Reflexion wie die nachträgliche moralische Weihe schon längst etablierter Verfahren." Es gehe darum zu prüfen, "worauf wir uns als Gesellschaft mit CRISPR-Cas9 und Co. einlassen oder eben nicht einlassen wollen".

Wie groß das öffentliche Interesse an der Auseinandersetzung mit den neuen genchirurgischen Verfahren ist, zeigte sich nicht zuletzt daran, dass der Deutsche Ethikrat am 22. Juni mehr als 500 Besucher zu seiner Jahrestagung begrüßen konnte.

Potenziale und Risiken

Als Grundlage für die ethische Auseinandersetzung wurde zu Beginn naturwissenschaftliche, medizinische und juristische Expertise eingeholt. Jörg Vogel zeigte in seinem Einführungsvortrag, wo die Potenziale der neuen Methoden liegen, und auch, wie schnell derzeit Grenzen des technisch Machbaren verschoben würden. CRISPR-Cas9 sei ein Werkzeug, das in sämtlichen Mikroorganismen, Pflanzen, Parasiten, Einzellern bis hin zu Tieren und Menschen eingesetzt werden könne. Angesichts der Geschwindigkeit, mit der auch multiple Veränderungen des Genoms erreicht werden können, biete es enorme Möglichkeiten für die biomedizinische Forschung, auch zum Beispiel im Bereich der Erforschung multifaktorieller Erkrankungen wie Alzheimer. Der Einsatz in der Pflanzenzüchtung sei bereits sehr vielfältig. Es gebe Modellversuche mit fast allen Nutzpflanzen.

Eine aus ethischer Perspektive besonders sensible Situation ergebe sich mit der sogenannten Gene-drive-Methode, die auf die Überträger von Infektionskrankheiten zielt, indem beispielsweise die Anopheles-Mücke so verändert würde, dass sie den Malariaerreger nicht mehr übertragen kann. Durch die Kombination mit der Gene-drive-Methode könne bewirkt werden, dass diese Veränderung an praktisch alle Nachkommen weitergegeben wird, sodass Malaria innerhalb weniger Mückengenerationen von der gesamten Anopheles-Population nicht mehr übertragen werden kann. Allerdings seien solche Versuche bis lang nur im Labor erfolgt, denn man könne sich vorstellen, dass dies sehr stark reguliert würde und unklar sei, ob dies überhaupt zugelassen werde. "Die Risiken für die Ökosysteme sind zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht abschätzbar", so Vogel.

CRISPR-Cas9 nähre auch im Bereich der Medizin, beispielsweise mit Blick auf die Bekämpfung von HIV, große Hoffnungen. Dennoch zeigten sich insbesondere im Hinblick auf mögliche medizinische Anwendungsbereiche noch erhebliche Hürden. Am Beispiel der Experimente mit menschlichen Embryonen in China unterstrich Vogel, dass das Verfahren bei Embryonen "bei Weitem nicht so effizient [ist], wie man sich das vorgestellt hat." Außerdem seien die Off-target-Effekte noch problematisch, auch wenn in den chinesischen Experimenten noch mit der "Rohversion" von CRISPR-Cas9 gearbeitet wurde und mittlerweile CRISPR-Cas9-Enzyme verfügbar seien, die erheblich zuverlässiger seien und erwartungsgemäß nur die Mutation an der Stelle einfügten, die man dort haben möchte. Vogel bescheinigte dem Verfahren ein hohes Potenzial für die somatische Gentherapie und auch für Keimbahneingriffe. Auch sei es grundsätzlich möglich, die Eingriffe reversibel zu gestalten. Man könne dann sowohl über einen Rückaustausch den ursprünglichen Zustand wiederherstellen, als auch über den Einbau von Sicherheitssystemen, wie sie beispielsweise in der synthetischen Biologie entwickelt werden, dafür sorgen, dass sich das System selbst zerstört, wenn beispielsweise eine Mutation an der falschen Stelle eingebaut wurde.

Die medizinischen Handlungsoptionen waren Gegenstand des Vortrags von Karl Welte, der zwar grundsätzlich mögliche Anwendungsfelder für CRISPR-Cas9 identifizierte, gleichzeitig aber einem Einsatz der Genom-Editierung kritisch gegenüberstand: "Es läuft alles auf die Frage hinaus, wer wir als Menschen sind und ob der Mensch diese Art der Macht ausüben sollte", so Welte. Die mit den neuen Methoden möglichen Eingriffe in das Genom seien zwar überraschend einfach, und die Behandlung genetisch bedingter Krankheiten könne davon profitieren; es gebe aber erhebliche Bedenken gegen Eingriffe in die Keimbahn. Solange nicht klar sei, welche Auswirkungen die gezielten Veränderungen der genetischen Information in der menschlichen Keimbahn mit sich brächten, so Weltes Plädoyer, sollten in der Medizin Alternativen wie die Präimplantationsdiagnostik und die Stammzelltransplantation weiter genutzt werden. "Im Hinblick auf die Bewertung einer medizinischen Anwendung der Genome-Editierung sollten explizit die konkreten Unterschiede zwischen Gentherapie an somatischen Zellen einerseits und vererbbaren genetischen Veränderungen an der Keimbahn andererseits beachtet werden." Eingriffe in die menschliche Keimbahn sollten, um dauerhaft Mutationen zu korrigieren, so Welte, beim derzeitigen Stand der Forschung nicht durchgeführt werden - zumal die Realisierung des Risikos erst am später geborenen Kind sichtbar würde. Gleichzeitig betonte er mehrfach die Einfachheit des Verfahrens und seine Einschätzung, dass es sich schon aus diesem Grunde nicht werde aufhalten lassen.

Der rechtliche Rahmen

Jochen Taupitz bezog den in den beiden Vorträgen dargestellten Sachstand, der auf internationalen Studien basiert, auf das, was rechtlich in der deutschen Forschungslandschaft in Bezug auf den Menschen möglich ist. Maßgeblich ist in diesem Zusammenhang das Embryonenschutzgesetz, welches zwar die künstliche Veränderung der menschlichen Keimbahn verbiete, gleichzeitig aber sowohl im Gesetz festgelegte Ausnahmen enthalte, als auch erhebliche Unklarheiten und Lücken aufweise. Besonders bedeutsam sei, dass es sich beim Embryonenschutzgesetz um ein Strafgesetz handele, das gemäß unserer Verfassung nicht über seinen Wortlaut hinaus ausgelegt werden dürfe, denn "selbst wenn es dem damaligen Willen des Gesetzgebers entspräche, der Wortlaut ist die Grenze". Ein weiteres Problem sah Taupitz in der Begründung des Gesetzgebers, Keimbahninterventionen wegen der damit verbundenen Gefahren für die danach geborenen Menschen unter Strafe zu stellen. Diese Begründung könnte, so Taupitz, künftig entfallen, wenn derartige Interventionen hinreichend sicher durchgeführt werden könnten - wenngleich noch zu klären sei, was "hinreichend sicher" bedeute. Im Hinblick auf eine rechtliche Einschätzung der bereits von Jörg Vogel zitierten chinesischen Embryonenversuche vertrat Taupitz die Ansicht, man könne mit guten Argumenten dafür eintreten, dass sie in Deutschland nicht verboten wären. Das Embryonenschutzgesetz schütze nur lebende Embryonen: "Lebend waren die chinesischen Embryonen, aber waren sie lebensfähig?" Zur Frage, wo der Schutz bei Embryonen ende, die aus genetischen Gründen nicht zur Geburt gelangen können, schweige das Gesetz. Aus verfassungsrechtlicher Sicht, so Taupitz, spräche in der gegenwärtigen Situation, in der eine Keimbahntherapie nicht ohne schwerwiegende gesundheitliche Risiken für das künftige Individuum denkbar seien, das Recht auf Leben und auf körperliche Unversehrtheit ebenso wie die Menschenwürde des zukünftigen Individuums für ein Verbot von Keimbahneingriffen. Für den Fall, dass zukünftig Keimbahnveränderungen "hinreichend sicher" seien, spräche allerdings das Recht auf Unversehrtheit sogar dafür, in die Keimbahn einzugreifen, um dadurch eine Erkrankung des künftigen Individuums zu verhindern. Skeptisch äußerte sich Taupitz mit Blick auf die Menschenwürde als Argument gegen Keimbahninterventionen. Einen Anspruch der Menschheit auf einen unverfälschten Genpool, wie ihn die UNESCO mit der Bezeichnung des menschlichen Genoms als Erbe der Menschheit ins Spiel bringt, sieht Taupitz jedenfalls nicht.

Der ethische Diskurs

Wie von Professor Dabrock einleitend gefordert, sollten die ethischen Fragen in der gesellschaftlichen Debatte "unterscheidungssensibel" betrachtet und diskutiert werden. Daher widmete sich die Tagung im Folgenden in zwei verschiedenen Formaten der ethischen Perspektive. Nach dem Hauptvortrag von Wolfgang Huber, in dem bereits wichtige ethische Argumentationslinien sichtbar wurden, wurden in vier Streitgesprächen einzelne Argumente in ihrem Gehalt und ihrer Bedeutung für das Thema entfaltet.

Wolfgang Huber eröffnete sein Überlegungen mit der Einordnung des neuen genchirurgischen Verfahrens: Die Methode werde als die wichtigste medizinische Neuerung des 21. Jahrhunderts bezeichnet. Es sei gar von einem "Gotteswerkzeug" oder einer "Zauberschere" die Rede. Er sprach sich dafür aus, "weder den Heils- noch den Unheilspropheten das Feld zu überlassen, sondern von Menschen erdachte Innovationen als Feld verantwortlicher Gestaltung anzusehen".

Nach einer "Zwischenbemerkung" dazu, was unter ethischer Reflexion zu verstehen ist, entwarf Huber in Anlehnung vor allem an Habermas' Unterscheidungen des Guten und Gerechten sowie des Ethischen und Moralischen einen theoretischen Rahmen für seine eigenen Ausführungen ebenso wie für eine Einordnung der Diskussionsrunden des Nachmittags. Als ein zweites Instrument ethischer Analyse schlug Huber die in der Medizinethik etablierten Prinzipien Wohltun, Schadensvermeidung, Selbstbestimmung als Achtung vor der menschlichen Person und Gerechtigkeit vor und zeigte, welche Schlussfolgerungen sich bezüglich CRISPR-Cas9-Anwendungen sich aus der Anwendung dieser Prinzipien ergeben. Huber erinnerte daran, wie wichtig es sei, zwischen der Beurteilung der Ziele und der Mittel, die eingesetzt werden, um gerechtfertigte Ziele zu erreichen, zu unterscheiden. Er warf die Frage auf, wie weit ethische Reflexionen in die Zukunft weisen und folglich Auswirkungen auf künftige Generationen mit bedacht werden müssen. Huber plädierte - wie später Martin Hein im Streitgespräch mit Andrea Esser - dafür, von einer an der Einzelperspektive orientierten Betrachtung zu einer gattungsethischen Reflexion überzugehen. Huber sprach auch über die schwierige, aber notwendige Grenzziehung zwischen Heilen und Perfektion, therapeutischen und verbessernden Eingriffen und - damit zusammenhängend - zwischen positiver und negativer Eugenik. "Auch die Rasanz der eigenen Entdeckung sollte Wissenschaftler nicht davon abhalten, nach dem Bild der Menschheit zu fragen, an dem sie sich orientieren, und die Ziele zu reflektieren, zu denen ihre Entdeckungen eingesetzt werden oder nicht", mahnte Huber und schlug damit die Brücke zum späteren Streitgespräch zwischen Sigrid Graumann und Reinhard Merkel zur Frage, ob Genomchirurgie beim menschlichen Embryo verboten, erlaubt oder gar geboten sei - insbesondere im Hinblick auf die unklaren Grenzen zwischen Therapie, Prävention und Enhancements. Mit Blick auf letztere hatte Huber auf die pragmatische Grenzziehung der Gemeinschaft der Versicherten verwiesen, wenn es um die Finanzierung genomchirurgischer Behandlungen gehe. Dieser werde man "nur Behandlungen zumuten, die zur Behebung von Krankheiten notwendig, medizinisch effektiv und in ihren Kosten vertretbar sind". Maßnahmen des Enhancement würden nur für Menschen erschwinglich sein, die sich diese zusätzlichen Kosten leisten können und wollen, womit ohnehin bestehende gesellschaftliche Ungleichheit verschärft würde. Die Frage, inwiefern "Natürlichkeit" dem Zugriff auf das menschliche Genom Grenzen zu setzen vermag, erhielt in einer eigenen Diskussionsrunde zwischen Dieter Birnbacher und Eberhard Schockenhoff nochmals Raum. Das letzte Streitgespräch zwischen Ingrid Schneider und Carl Friedrich Gethmann schloss vor dem Hintergrund des bis dahin Diskutierten auch noch einmal an die naturwissenschaftlich-medizinischen Ausführungen des Vormittags an, indem aus philosophischer und sozial-politikwissenschaftlicher Perspektive beleuchtet wurde, ob die Niedrigschwelligkeit der Anwendung der neuen Verfahren zu einer unkritischen Anwendung der Technik verleite.

Bei allen Divergenzen zeichnete sich in den Diskussionsrunden immerhin insofern ein Konsens ab, als die weitere Forschung auf dem Gebiet der Genomchirurgie durch den Deutschen Ethikrat aufmerksam verfolgt und durch einen breiten gesellschaftlichen Diskurs aufgegriffen werden muss. Übereinstimmung bestand darin, dass ein klinischer Einsatz sowohl für die somatische Gentherapie als auch für die Intervention in die menschliche Keimbahn so lange nicht infrage kommt, bis die Methode nicht als hinreichend sicher gilt. (Be)


INFO - QUELLE

Das Programm der Veranstaltung sowie auch die Vorträge und Diskussionsbeiträge der Teilnehmer inklusive des Audio- und Videomitschnitts können unter
http://www.ethikrat.org/veranstaltungen/jahrestagungen/zugriff-auf-das-menschliche-erbgut
abgerufen werden.

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Quelle:
Infobrief Nr. 19 - Juli 2016 - 02/16, Seite 12 - 15
Informationen und Nachrichten aus dem Deutschen Ethikrat
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. August 2016

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