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ETHIK/1322: Desinformation in der Medizin - was können Bioethikkommissionen dagegen tun? (Infobrief - Dt. Ethikrat)


Infobrief des Deutschen Ethikrates Nr. 26 - April 2020 - 01/20

Internationales
Desinformation in der Medizin - was können Bioethikkommissionen dagegen tun?

von Nora Schultz


Die schnelle, unkontrollierbare und teilweise gezielte Verbreitung von Falschinformationen in sozialen Medien und im Internet unterminieren das Vertrauen in politische Entscheidungsprozesse und beeinflussen das Verhältnis der Menschen zu diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen der modernen Medizin. Welche Strategien Ethikgremien hiergegen einsetzen können, war Thema des Treffens der Ethikräte Deutschlands, Österreichs und der Schweiz im Oktober 2019 in Wien.


Gleich zu Beginn des Treffens betonte die amtierende österreichische Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein die Relevanz des Themas: "Die Bedrohung durch Desinformation ist allumfassend und grenzüberschreitend. Umso mehr ist die Zusammenarbeit zwischen den Ethikkommissionen und eine noch stärkere gemeinschaftliche Vorgangsweise auf europäischer Ebene notwendig", sagte sie in ihrer Eröffnungsrede. Besonders wichtig seien die Kommunikation und die sachliche Information der Bevölkerung.

Ingrid Brodning, Journalistin, IT-Expertin und digitale Botschafterin Österreichs bei der Europäischen Union, führte anschließend mit ihrem Hauptvortrag in die Thematik ein. Gerade im Bereich der Medizin seien falsche Informationen besonders gefährlich, da hierdurch Menschenleben gefährdet werden könnten. Zudem stützten sich Falschmeldungen oftmals auf Emotionen und erzeugten somit eine höhere Aufmerksamkeit im Netz. Nüchterne Sachargumente würden dagegen oftmals weniger stark wahrgenommen. Richtigstellungen sollten Emotionen daher ernst nehmen sowie klug und gut verständlich formuliert werden.

Strategien gegen Desinformationen
Ralf Jox, Mitglied der schweizerischen Nationalen Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin wies darauf hin, dass Politik und Gesellschaft mit einer neuen Art der Öffentlichkeit konfrontiert seien, die es jeder Person zu jeder Zeit ermögliche, Inhalte ohne Qualitäts- und Wahrheitskontrolle zu veröffentlichen. Kennzeichnend seien eine Verkürzung der Informationen, bildbasierte Kommunikation und ein Wettbewerb um Aufmerksamkeit. Demgegenüber stünden im Bereich der Medizin eine Explosion und Beschleunigung des Wissens sowie eine Hyperspezialisierung.

Ethikräte seien als Expertengremien auf der einen Seite zwar anerkannt und würden einen effektiven Beitrag zur Meinungsbildung leisten, auf der anderen Seite seien sie jedoch auch regelmäßig mit Legitimationsfragen konfrontiert und stünden unter Rechtfertigungspflicht, so Alena Buyx vom Deutschen Ethikrat. Wichtig sei daher, die Angreifbarkeit der Gremien zu reduzieren, beispielsweise durch mehr Transparenz bei Berufungsverfahren sowie Offenlegung von Interessenkonflikten und bessere Beteiligung der Öffentlichkeit.

Andrea Bronner von der österreichischen Bioethikkommission beleuchtete Verschwörungstheorien aus einer psychodynamischen Perspektive. Solche Theorien erfüllten eine sinnstiftende Funktion, indem sie komplexe Vorgänge auf eine spezielle Ursache reduzierten. Ein weiteres Merkmal sei die Unterteilung in "Gut" und "Böse". Dies würde den Anhängern erlauben, ohne Schuldgefühle und Beeinträchtigung des Selbstwertgefühls agieren zu können.

Verheißungen der Alternativmedizin
Ein weiteres Thema des Treffens waren alternativmedizinische Konzepte und ihre Wissenschaftlichkeit. Michael Freissmuth von der österreichischen Bioethikkommission führte in die Thematik ein und legte die Gründe dar, warum Alternativmedizin in Österreich von der Erstattung ausgeschlossen ist.

Am Beispiel der Mukoviszidose stellte Stephan Kruip vom Deutschen Ethikrat im Anschluss einige komplementärmedizinische Behandlungsmethoden vor, die trotz unzureichender Evidenz auf dem deutschen Markt angeboten werden. Selbst neue "schulmedizinische" Behandlungsmethoden führten nicht immer zu einer statistisch signifikanten Verbesserung der Lebensqualität, betonte er. Voraussetzung für eine wirksame lebenslange Therapie seien im Fall der Mukoviszidose eine regelmäßige Rehabilitation, eine systematische Patientenschulung und ein niedrigschwelliger Zugang zu Expertenwissen. Eine ausschließliche medikamentöse Behandlung sei daher nicht immer zielführend.

Tanja Krones von der schweizerischen Nationalen Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin forderte, dass Nutzen und Risiko von medizinischen Maßnahmen aus Patientensicht zu formulieren seien und die Verteilung der Ressourcen im Gesundheitswesen auf der Abwägung relevanter ethischer Prinzipien basieren sollte.

Desinformation zum Impfen
Wolfram Henn vom Deutschen Ethikrat beleuchtete, wie Impfskepsis durch gezielte Falschinformation in Impfverweigerung umschlagen könne. Der Irrglaube, dass Impfungen schädlich seien, würde durch die vorsätzliche Verbreitung von Verschwörungstheorien und die Schaffung von Bedrohungsszenarien verstärkt, insbesondere wenn die Personen, die diese Informationen verbreiten, sich als Autoritäten präsentierten. Henn stellte die Stellungnahme "Impfen als Pflicht?" vor, die der Deutsche Ethikrat im Juni 2019 veröffentlicht hatte und in der er ein Maßnahmenbündel zur Erhöhung der Masernimpfquote formulierte.

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Quelle:
Infobrief Nr. 26 - April 2020 - 01/20, Seite 18
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Mai 2020

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