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FORSCHUNG/2302: In Kürze - Nachrichten aus Europa (research*eu)


research*eu - Nr. 63, April 2010
Magazin des Europäischen Forschungsraums

In Kürze - Nachrichten aus Europa

IM TREND


Kooperation oder Tod

Eine französisch-portugiesische Forschergruppe des Pasteur-Instituts (FR) und der Universität Lissabon hat anhand des E. Coli-Bakteriums untersucht, wie Bakterien miteinander kooperieren. Ihre Studie wurde in der Fachzeitschrift Current Biology veröffentlicht. Dieses Bakterium lebt in der Darmflora und verträgt sich mit dem menschlichen Organismus sehr gut. Doch sobald sich die Interaktionen mit diesem oder mit anderen Bakterien ändern, kann es gefährlich werden. Sein Sekretom - die Gesamtheit der Proteine, von denen die vitalen Funktionen abhängen - wird sehr leicht von anderen Bakterien ausgenutzt und zwar über den horizontalen Gentransfer. Dabei springen sehr mobile Gene, die im Plasmid der Zelle kodiert sind, von einem Organismus zum anderen. Und dadurch wird E. Coli zu einem möglichen Kollaborateur, auch ohne sein Zutun.

Die Forscher wollten nun verstehen, warum dieses Phänomen fortbesteht, obwohl es den helfenden Organismen keine besonderen Vorteile bringt - jedenfalls, wenn es diese nicht schädigt. Der Studie zufolge ist dies durch einen dreifachen Prozess zu erklären.

Zahlreiche Gene des Sekretoms verfügen über das Merkmal "Kooperation". Sobald dieses auf andere Organismen übertragen wird, werden diese auch kooperativ. Um diese neue Population zu erhalten, haben sie sich mit anderen Genen ausgestattet, die eine Strafstrategie der Art "Kooperation oder Tod" verfolgen. Diese genetische Ähnlichkeit der infizierten Individuen begünstigt die Weitergabe des Merkmals von einer Generation zur nächsten über die Verwandtschaftslinie. Die Untersuchung dieses Prozesses macht den Weg frei für ein besseres Verständnis des Bakterienwachstums und seiner möglichen Manipulationen.
www.cell.com/current-biology/


Babys mit Akzent

Aus früheren Studien wusste man bereits, dass Babys die Sprache bevorzugen, die sie bereits im Mutterleib gehört haben. Heute weiß man aber auch, dass die Schreimelodien der Neugeborenen dieser Sprache entsprechen. Eine Gruppe des Zentrums für vorsprachliche Entwicklung und Entwicklungsstörungen des Würzburger Universitätsklinikums (DE) hat die Schreimelodien von 30 französischen und 30 deutschen Neugeborenen untersucht. Es scheint, dass die französischen Neugeborenen ihren Schrei zum Ende hin betonen, wie in der französischen Sprache üblich, wogegen die deutschen Babys den Schrei am Anfang betonen.

Hier liegt natürlich kein Akzent im wortwörtlichen Sinn vor, weil dieser die Betonung der Wörter betrifft. Die Studie bestätigt jedoch, wie wichtig die Sprachmelodie beim Spracherwerb ist, und zeigt deutlich, dass dieser bereits im Mutterleib beginnt, erst durch die Wahrnehmung und dann durch die Wiedergabe der gehörten Melodien. Den Forschern zufolge ist dies ein weiterer Hinweis, um das Rätsel der Sprachentstehung bei unseren Vorfahren zu lüften.
www.uni-wuerzburg.de/


NEUES AUS EUROPA

Genangriff auf die Alzheimersche Krankheit

Zwei in der Zeitschrift Nature veröffentlichten Studien ist es gelungen, drei neue Gene zu identifizieren, die im Zusammenhang mit Alzheimer stehen. Zwei davon, Clusterine (CLU) und CR1, wurden von der Gruppe von Philippe Amouyel, Professor für Epidemiologie und öffentliche Gesundheit an der Universität Lille 2 (FR), bestimmt. Mutationen dieser Gene ziehen wahrscheinlich Probleme bei der Eliminierung des Peptids Beta-Amyloid nach sich, welches das Nervensystem zerstört und sich im Gehirn der betroffenen Patienten ablagert. Damit wäre jede Forschung, die zur Unterdrückung dieses Peptids führt, ein Fortschritt auf dem Weg zu einer Therapie.

Im gleichen Zeitraum hat sich eine britische Forschergruppe unter der Leitung von Julie Williams vom Alzheimer's Research Trust (UK) auch mit dem CLU-Gen beschäftigt und mit einem dritten Gen mit der Bezeichnung PICALM. Mit den für diese Forschung verwendeten DNA-Chips konnte der Grad der Genexpression von 20.000 gesunden und kranken Personen bestimmt werden. Obwohl durch diese Analysen die Beteiligung des Gens PICALM an dieser Form der Demenz ans Licht gebracht wurde, muss seine Rolle noch genau bestimmt werden.
www.univ-lille2.fr, www.alzheimers-research.org.uk


Ein Meeresbakterium gegen den Krebs

Ein Bakterium hat die Aufmerksamkeit des Unternehmens Nereus Pharmaceuticals in San Diego (USA) und von Biochemikern der TU München (DE) erregt. Salinispora tropica ist der lateinische Name des Meeresbakteriums. Es produziert ein Molekül, welches Proteasome zerstört und dadurch die entsprechenden Medikamente ersetzen könnte. Diese werden gegen die Verbreitung von Krebszellen eingesetzt und haben sehr schwere Nebenwirkungen, weil sie auch gesunde Zellen zerstören.

Proteasome sind die Müllverwertungsanlagen von Zellen. Werden diese deaktiviert, ersticken die Zellen an ihrem eigenen Müll. Salinispora tropica produziert ein Killermolekül, welches genau so wirkt. Es bricht das Proteasom auf und zerstört es anschließend, wie ein zerbrochener Schlüssel in einem Schloss. Den Forschern zufolge ist dies die beste Methode, das Proteasom zu blockieren. Da jetzt der Mechanismus im Detail bekannt ist, kann er gezielt variiert werden, um ein wirksames Medikament zu entwickeln.
http://portal.mytum.de/welcome/


Ewige Erinnerungen

Warum bleiben manche Erinnerungen auf ewig in unserem Gedächtnis, während andere sich verflüchtigen? Alles hängt von der Kapazität unseres Gehirns ab, neue Eindrücke in dauerhafte Erinnerungen umzuwandeln.

Die erste Etappe in diesem Prozess besteht darin, Erinnerungen einige Stunden lang zu speichern. Dabei wird die neuronale Übertragung durch eine Reihe chemischer Veränderungen an den Synapsen variiert. Doch wie verankern sich diese Kurzzeiterinnerungen dauerhaft im zerebralen Cortex?

Forschern des Karolinska Institutet (SE) ist es in Zusammenarbeit mit dem amerikanischen National Institute on Drug Abuse (NIDA) gelungen, bei gentechnisch veränderten Mäusen die Fähigkeit für Langzeiterinnerungen zu aktivieren und zu deaktivieren. Damit konnten sie die Rolle des Rezeptormoleküls nogo receptor 1 (NgR1) beleuchten. Wenn Nervenzellen aktiviert werden, wird das für NgR1 zuständige Gen abgeschaltet und man nimmt an, dass dies mit der Bildung von Langzeiterinnerungen zusammenhängt.

Die Forscher testeten ihre Hypothese, indem sie Mäuse mit einem zusätzlichen NgR1-Gen schufen, das aktiv blieb, wenn das normale NgR1-Gen abgeschaltet wurde. Mit dieser Entdeckung wurde ein weiterer Schritt bei der Suche nach Behandlungsmöglichkeiten von Gedächtnisstörungen getan.

"Und mit einem Mal war die Erinnerung da. Der Geschmack war der jenes kleinen Stücks einer Madeleine."
(Marcel Proust)

http://ki.se


Von empfindlichen Samenzellen ...

Forscher des Labors für Genetik, Fortpflanzung und Entwicklung des Inserm, das Wissenschaftler aus mehreren französischen Forschungseinrichtungen vereint, haben ein antioxidatives Protein entdeckt, das wahrscheinlich die Samenzellen schützt. Samenzellen reifen in den Nebenhoden heran und erhalten dort ihre Befruchtungsfähigkeit. Dennoch kann es gerade bei sehr empfindlichen Samenzellen passieren, dass ihre DNA durch einen oxidativen Stress fragmentiert wird. Und hier greift das Protein GPx5 ein.

Die Forscher haben entdeckt, dass männliche Mäuse, denen dieses Protein fehlte, morphologisch normale Samenzellen besitzen. Doch bei der Befruchtung weiblicher Zellen treten Entwicklungsfehler auf und es kommt zu einem Anstieg der Fehl- und Totgeburten. Sollten diese Ergebnisse auch auf den Menschen bertragbar sein, könnten sie auch Implikationen für künstliche Befruchtungstechniken haben. Sie könnten zum Schutz der Samenzellen beitragen, die beim Auftauen vor der künstlichen Befruchtung einem starken oxidativen Stress ausgesetzt sind.
www.inserm.fr


...und empfindlichen sterilen Männern

Schenkt man einer Veröffentlichung in der Fachzeitschrift European Urology vom Dezember 2009 Glauben, haben unfruchtbare Männer eine viel empfindlichere Gesundheit als fruchtbare. Der Artikel stützt sich auf eine prospektive Studie, die zwischen September 2006 und 2007 an der Universität Mailand durchgeführt wurde. Die dortige Forschungsgruppe des Urologen Andrea Salonia untersuchte 344 unfruchtbare Männer im Alter von 18 bis 60 Jahren. Aus dem Vergleich mit der Kontrollgruppe, die aus 293 Männern derselben Altersgruppe bestand, geht hervor, dass weniger fruchtbare Männer auf der Charlson-Skala eine wesentlich höhere Komorbidität aufweisen. Damit werden diagnostisch abgrenzbare Krankheitsbilder bezeichnet, die beim Patienten zur gleichen Zeit auftreten. Das bedeutet in diesem Fall, dass diese Patienten im Vergleich zur fruchtbaren Bevölkerung neben der Unfruchtbarkeit in größerem Maße auch an anderen gesundheitlichen Störungen leiden. Angesichts der Probengröße ist es für Verallgemeinerungen allerdings noch zu früh und es sind größere Studien notwendig, um diese Ergebnisse zu bestätigen.
www.europeanurology.com


Zellen, die sich gegen Asthma wehren

Eine Forschungsgruppe der Interdisziplinären Gruppe für angewandte Genoproteomik an der Universität Lüttich (BE) unter der Leitung des Biologen und Tierarztes Fabrice Bureau hat in Mäuselungen Zellen entdeckt, die eine asthmatische Reaktion verhindern können.

Diese Zellen, bei denen es sich um Makrophagen handelt, sind mit den Dendriten in der Lunge verbunden und leiten Antigene an die T-Lymphozyten in den Lymphknoten weiter. Die Makrophagen entdecken ununterbrochen Antigene in der eingeatmeten Luft sowie die immunstimulierenden Moleküle, die diese begleiten, und verhindern die Wanderung der Dendritenzellen zu den Lymphknoten und damit die Reaktion des Immunsystems auf diese ungefährlichen Allergene.

Die Immunreaktion von Asthmatikern auf Allergene in der Luft ist allerdings gefährlich. Jedes Mal, wenn der Patient diesen Allergenen ausgesetzt ist, wird das Immunsystem der Lungen aktiviert, was zur Verengung der Bronchien und damit zu einer schlechten Sauerstoffversorgung führt. Das führt zur Annahme, dass sich Asthma aus einer Defizienz der Makrophagen an einem bestimmten Zeitpunkt im Leben eines Individuums heraus entwickelt.
www.ulg.ac.be


Neue Erkenntnisse zum HI-Virus

Das grün fluoreszierende Protein, dessen Entdeckung mit dem Nobelpreis für Chemie 2008 belohnt wurde, hat bereits zu neuen Fortschritten in der AIDS-Forschung geführt. So ist es Forschern der Universitäten München und Heidelberg (DE) gelungen, den Replikationsprozess des HI-Virus in allen Einzelheiten und in Echtzeit sowie den Prozess zu beobachten, durch den die neuen Viren freigesetzt werden, und die Nachbarzellen infizieren.

Dazu hat Biophysiker und Forschungsleiter Don Lamb von der Universität München Zellkulturen verwendet, die 8 von 9 Genen des HIV-1 enthalten, wobei eines davon verändert wurde, um eine fluoreszierende Form des GAG-Proteins zu erhalten (group-specific antigen), aus welchem die Virushülle, das Capsid, besteht.

Die Studie, die teilweise durch das 7. Rahmenprogramm unterstützt und in PloS (Public library of Science) Pathogens veröffentlicht wurde, zeigte, dass die Membran der Wirtszelle in ein bis maximal zwei Stunden nach Aktivierung des Replikationsprozesses des HIV-1 mit Viren bedeckt ist.

Jedes Virus wird einzeln zusammengebaut, nicht, wie bisher vermutet, auf einer Art zellulärer Plattform. Es dauert rund 15 Minuten bis das fertige Virus aus der Wirtszelle entlassen wird. Die Forscher konnten auch bestimmen, ob die Viren auf der Oberfläche einer Wirtszelle von dieser hergestellt wurden oder ob sie von infizierten Nachbarzellen stammen. Bis zu diesem Zeitpunkt war nur wenig über die interzellulären Kontaminationsmechanismen des HI-Virus bekannt. Diese Entdeckungen bringen eine neue Sichtweise ein.
www.cup.uni-muenchen.de www.plospathogens.org


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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 5: Escherichia Coli.
Abb. S.20 links: Zerebraler Cortex.
Abb. S.20 rechts: Fragmente von Krebszellen.
Abb. S.22 oben: Mäuselunge.
Abb. S.22 unten: Ansetzen des HI-Virus. Das Virus kommt aus der infizierten Zelle mithilfe zellulärer Partner des Zytoskeletts heraus, die an den sogenannten Filopoden, Zellverlängerungen, auftreten.


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Quelle:
research*eu - Nr. 63, April 2010, Seite 5, 20 - 23
Magazin des Europäischen Forschungsraums
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Internet: http://ec.europa.eu./research/research-eu

research*eu erscheint zehn Mal im Jahr und wird auch
auf Englisch, Französisch und Spanisch herausgegeben.


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Oktober 2010